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Mit dem Wurm dem Zelltod auf der Spur

Michael Hengartner, Latsis-Preisträger 2006. SNF

Für seine Arbeiten zum Thema Zelltod wird der Molekularbiologe Michael Hengartner mit dem prestigeträchtigen Latsis-Preis für junge Forscher geehrt.

Gegenüber swissinfo sagte er, man solle auch jungen Wissenschaftern in der Schweiz eine Chance geben. Der Schweizer war in Kanada aufgewachsen und hatte seine Forscherkarriere in den USA begonnen.

Michael Hengartner hat den mit 100’000 Franken dotierten Latsis-Preis am Donnerstag im Berner Rathaus entgegengenommen.

Bei seinen Forschungen zur Apoptose, dem programmierten Zelltod, benutzt der an der Universität Zürich tätige Wissenschafter den Fadenwurm Caenorhabditis elegans als Modellorganismus.

Hengartner untersucht diesen Parasiten, der in Tieren, Pflanzen aber auch im Boden lebt, seit rund 20 Jahren. Der Wurm hat eine simple Struktur und einen einfachen genetischen Aufbau. Das ist sehr wichtig für seine Arbeit.

Die Bedeutung seiner Forschung zeigte sich 2002, als Hengartners Mentor im Massachusetts Institute of Technology, Robert Horvitz, den Medizinnobelpreis erhalten hatte.

swissinfo: Weshalb studieren Sie den Zelltod?

Michael Hengartner: Es handelt sich um wichtige Mechanismen. Viele menschliche Krankheiten hängen mit zu vielen oder zu wenigen toten Zellen zusammen.

Wir hoffen, in Zukunft Krebszellen dazu bringen zu können, selbst abzusterben oder Hirnzellen zu überzeugen, nach einem Schlaganfall nicht abzusterben. So könnten wir gesundheitliche Probleme effizienter bekämpfen.

swissinfo: Sie verwenden für Ihre Forschung Fadenwürmer. Sind diese an sich faszinierend oder sind sie bloss ein Modell?

M. H.: Ich interessiere mich für den Menschen, nicht für den Wurm. Aber das Studium des Caenorhabditis elegans gibt eine gute Grundlage, biologische Prozesse zu verstehen.

Es ist wie bei einem Spielzeugauto. Wenn ich verstehen möchte, wie ein Auto funktioniert, könnte ich mein eigenes Auto in seine Einzelteile zerlegen. Dies wäre jedoch – es sei denn, ich wäre Experte – zu schwierig für mich.

Zeige ich aber die Funktionsweise anhand eines Spielzeugautos, kann ich die Funktionsweise des Originals ohne zu viele Zusatz-Informationen veranschaulichen.

Meine Würmer sind sicher komplizierter als ein Spielzeugauto, aber sie repräsentieren die Grundlagen. Klar unterscheiden sie sich sehr vom Menschen, sind aber immerhin ähnlich genug, um uns zu zeigen, wie wir funktionieren.

Die wichtigsten Zell-Mechanismen haben sich in der frühen Evolution entwickelt. Seither haben sie sich nicht mehr gross verändert. Fadenwürmer sind uns ähnlicher, als man vermuten würde.

swissinfo: Sie haben in einem nordamerikanischen Umfeld studiert. Hat das einen Einfluss darauf, wie Sie ihre Forschung anpacken?

M. H.: Ja, hat es. Ich denke zwar, dass ich meine Forschung gleich betreiben würde, wenn ich in der Schweiz aufgewachsen wäre, aber ich bin mir nicht ganz sicher. Mir gefällt die Art, wie man in den USA mit den Wissenschaften umgeht.

Sie finden in einer offenen Umgebung statt, man darf auch Fehler machen. Zudem wird man ermutigt, Neues auszuprobieren, verrückte Ideen zu realisieren. Fällst du dabei auf die Nase, stehst du wieder auf und versuchst etwas anderes.

In Europa ist es gar nicht so schlecht, wie manche Leute sagen. Wenn du aber eine verrückte Idee hast, sagt man dir eher, weshalb sie nicht funktionieren könne, anstatt dich zu ermuntern, sie zu realisieren.

swissinfo: Sie sind 40 Jahre alt. Sehen Sie sich als Vorläufer für eine künftige Schweizer Wissenschaft mit Forschern, die schon zeitig in ihren Karrieren akademische Positionen besetzen?

M. H.: Meiner Meinung nach müssen wir uns bemühen, jungen Menschen früher eine Chance zu geben, sich zu bewähren. Sie können scheitern, aber genauso gut auch etwas Wundervolles vollbringen. Ich wurde mit 27 Gruppenleiter. Viele sind der Ansicht, dies sei zu früh. Für mich aber war es genau richtig.

Wenn Menschen bereits in jungen Jahren auf einen Karrieresprung vorbereitet werden, und wenn sie die Kapazität besitzen, ein Labor zu leiten, bin ich dafür, ihnen eine Chance zu geben.

Junge Menschen treiben die Wissenschaften voran, weil sie die Energie, die Vorstellungskraft und den Willen haben, Risiken einzugehen.

swissinfo-Interview: Scott Capper
(Übertragung aus dem Englischen: Etienne Strebel)

Der programmierte Zelltod, die so genannte Apoptose, ist der “bewusste Selbstmord” einer ungewollten Zelle in einem vielzelligen Organismus. Jede Zelle hat ihre eigene biologische Uhr. Wenn diese abgelaufen ist, muss sie ersetzt werden, also eine neue gebildet und die alte abgebaut werden.

Dieser Vorgang geschieht in einem regulierten Prozess, der während einem Lebenszyklus eines Organismus im allgemeinen Vorteile generiert.

Die Apoptose ist eine der Hauptarten von programmiertem Zelltod. Sie kann stattfinden, wenn eine Zelle unwiederbringlich beschädigt, mit einem Virus infiziert ist oder unter Stressbedingungen “verhungert”.

Apoptose spielt auch bei der Prävention von Krebs eine Rolle. Wenn eine Zelle infolge Mutation oder biochemischer Hemmung ihrem programmierten Tod nicht entgehen kann, ist es möglich, dass sie sich weiter spaltet und zu einem Tumor entwickelt.

Die Latsis Foundation, eine privatrechtliche Stiftung, wurde 1975 von der griechischen Familie Latsis in Genf gegründet.

Sie verleiht jährlich vier Universitätspreise über je 25’000 Schweizer Franken sowie einen nationalen und europäischen Latsis-Preis von je 100’000 Schweizer Franken.

Der Nationale Latsis-Preis wird seit 1984 vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) im Auftrag der Latsis Foundation verliehen.

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