Nicht die Zahl der Gene macht den Menschen zum Menschen
Das menschliche Genom ist ab sofort öffentlich publiziert. Allerdings sind damit die medizinischen Hoffnungen noch nicht erfüllt. Und die Streitigkeiten um den Zugang zu den Forschungsergebnissen bei weitem noch nicht erledigt.
Hauptüberraschung der seitenlangen, komplizierten Veröffentlichungen ist sozusagen die Kürze: Die Erb-Information des Menschen ist “nur” auf rund 30’000 Genen gespeichert. 30’000 statt der vermuteten 100’000: Das sind bloss etwa doppelt so viele Gene, wie die Fruchtfliege aufweist. Oder kaum mehr als das Unkraut “Ackerschmalwand”.
Wann ist ein Mensch ein Mensch?
Es ist also nicht die Anzahl der Gene, die den Menschen einzigartig macht. Doch was ist es dann? Noch bleibt diese drängende Frage offen.
Sicher ist das Zusammenspiel der Gene noch viel bedeutender, als man bisher vermutete. Zudem erhalten diejenigen Theorien Auftrieb, die den Menschen nicht als Produkt der Gene, sondern vielmehr als Abbild der Umwelt sehen. Konkrete Hinweise dafür finden sich allerdings in den Daten nicht.
Funktion mehrheitlich noch unklar
Die chemische Analyse der Erbsubstanz, eine kilometerlange Kette von vier chemischen Grundsubstanzen, liegt nun vor. Über das Funktionieren des gesunden Körpers ist allerdings damit noch nicht sehr viel bekannt: Die Gene sind Codes für Proteine (Eiweisse). Und diese erst sind dann die eigentlichen Bausteine des Lebens. Erst von 40 Prozent aller Gene weiss man heute, für welche Proteine sie kodieren.
Für die verbreiteten Krankheiten wie Krebs, Alzheimer oder Herz-Kreislauf-Probleme sind zudem mehrere Gene und auch Umweltfaktoren mitverantwortlich. Wie dies alles zusammenspielt, darüber läuft die medizinische Spitzenforschung nun auf Hochtouren.
Schweizer mit dabei
Mit dabei sind bei dieser “funktionalen Genforschung” auch verschiedene Hochschulen, Pharmakonzerne und private Labors in der Schweiz. Gerade die Region “Lémanique”, Universitäten und ETH der Westschweiz, will hier mitmischen. Denn anders als bei der Entschlüsselung des Genoms, die von vielen Fachleuten als “Fleissarbeit” abqualifiziert wurde, geht es nun wirklich um Erkenntnisse zu den Bausteinen des Lebens. Der Bauplan dazu liegt mit den aktuellen Publikationen nun vor.
Grosse Konkurrenz unter Forschenden und Zeitschriften
Die englische Fachzeitschrift “Nature” spart in ihrer aktuellen online-Ausgabe nicht mit grossen Worten. Die Zeitschrift sei “proud to present: The Human Genom”. Stolz gibt sich auch das amerikanische Konkurrenzblatt: “Der Menschheit wurde ein grosses Geschenk gemacht”, so das Fachmagazin “Science”.
Gleichzeitig werden die Resultate der Gen-Sequenziergruppen publiziert, allerdings eben in den beiden konkurrierenden Fachzeitschriften. Symbol für den Konkurrenzkampf unter den zwei Forschungsgruppen, die an der Entschlüsselung des menschlichen Genoms gearbeitet haben.
Öffentlich aber nicht frei nutzbar
Hier die staatlichen Forscher, die in jahrelanger und internationaler Kleinarbeit die Puzzle-Steine zusammengesetzt haben und nun veröffentlichen. Da die private Dekodierungs-Firma “Celera”, die ihre Gensequenzen zwar publiziert, externen Wissenschaftler allerdings nicht erlaubt, die Daten kommerziell zu nutzen. Bereits haben sich renommierte Forscher aus der ganzen Welt gegen diese Einschränkung ausgesprochen. Wie der Streit um den Besitz der menschlichen Gene schliesslich ausgeht, ist noch unklar.
Eva Herrmann
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