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Noch kein hohes Fussball-Fieber in Genf

Im 30'000 Zuschauer fassenden Stade de Genève finden die Spiele zwischen Tschechien, Portugal und der Türkei statt. Keystone

Ein halbes Jahr vor Beginn der Euro 2008 hat sich swissinfo in Genf, einer der vier Host Cities, umgeschaut. Von Fussballbegeisterung ist noch wenig zu spüren. Vorfreude und Skepsis halten sich die Waage.

Im Stade de Genève gehen die Gruppenspiele zwischen Tschechien, Portugal und der Türkei über die Bühne. In dieser Gruppe ist auch die Schweiz.

“Das ist fast eine ideale Gruppe für uns”, sagt Ständerat Marc Müller gegenüber swissinfo. Er ist für die Organisation der Euro 2008 in Genf verantwortlich.

“Die Gruppe ist ausgeglichen, die Schweiz hat gute Chancen. Und die Portugiesen, die grösste ausländische Gemeinschaft in Genf, werden für eine grossartige Stimmung sorgen, ebenso die türkischen Fans.”

Mit der 30’000-köpfigen lokalen Gemeinschaft wird sich Portugal bei seinen zwei Spielen im Stade de Genève als Heimmannschaft fühlen. In der Calvin-Stadt werden auch türkische Fans erwartet, die aus der Region Basel sowie aus Deutschland und Frankreich anreisen.

“Portugal und die Türkei sind heissblütige Teams, doch wir sind sicher, dass alles fair ablaufen wird”, so Müller. Genf ist froh, dass nicht Deutschland oder Holland mit ihren zum Teil Hardliner-Fans zu Gast sind. Ganz zu schweigen von England, das sich nicht für die Euro qualifizieren konnte.

Skepsis überwinden

Bisher dominierte in der Schweiz im Vorfeld der Euro 2008 eher Skepsis – Sicherheitsprobleme, Lärm, Kosten für die Steuerzahler – statt Freude für den Fussball.

Die Genfer Zeitung Le Temps gibt Gegensteuer: “Jetzt hat der Riese ein Gesicht. Vielleicht sollten wir jetzt aufhören, Angst zu haben und versuchen zu lachen.”

Die Schweiz müsse beweisen, dass sie mehr als nur “Goldbarren, Uhren und Schokolade” sei. “Als internationale Stadt sollte Genf kulturelle Offenheit und Feststimmung zeigen”, sagt die in Genf wohnende Johanna Medellin gegenüber swissinfo.

Vorbereitungen in Gang

Die Genfer Organisatoren der Euro 2008 sind aktiv. “Genf ist allen anderen voraus”, sagt Marc Müller.

Doch abgesehen von den wenigen Euro 08-Postern und -Tafeln im Genfer Bahnhof ist wenig ersichtlich, dass in der Stadt das nach der Fussball-Weltmeisterschaft und den Olympischen Spielen drittgrösste sportliche Ereignis im kommenden Jahr hier über die Bühne gehen wird.

“Das ist normal; in der Schweiz kommt die Begeisterung nur langsam”, sagt Frédéric Hohl gegenüber swissinfo, einer der Euro 2008-Organisatorern in Genf. Er weist darauf hin, dass im Juni 2008 “rund eine Million Menschen” in der Stadt die Spiele verfolgen könnte.

Tickets für die Spiele im 30’000 fassenden Stade de Genève sind bereits fast ausverkauft. Die Stadt Genf plant Fan-Meilen mit Grossleinwänden in der Innenstadt (Pleinpalais, für 100’000 Leute) und im südlichen Quartier Le Bout-du-Monde (für 30’000 Leute). An beiden Orten sind auch Konzerte und andere kulturelle Veranstaltungen geplant.

“Nur Geld”

Viele Genferinnen und Genfer stehen der Euro 2008 skeptisch gegenüber. Sie befürchten Lärm, Ausschreitungen, Sachbeschädigungen.

“Das geht doch nicht. Wieso passiert das nicht anderswo? Die Stadt kümmert sich nicht um uns. Ich werde Genf während diesen drei Wochen verlassen”, sagt ein Plainpalais-Quartier-Bewohner.

“Es geht ja nur ums Geld”, erklärt die 78-jährige Jacqueline Dabbagh gegenüber swsissinfo. “Die Behörden sind froh, wenn die Leute sich für Fussball interessieren und nicht für die anderen, gesellschaftlichen Probleme.”

Bier, Bier, Bier…

Die meisten Genfer Geschäftsleute sehen es anders. “Während der Fussball-WM 2006 in Deutschland gab es hier eine Grossleinwand. Wir konnten sogar die Bier-Nachfrage kaum bewältigen”, sagt Walid Panschiri, Besitzer eines kleinen Ladens im Pleinpalais-Quartier.

Aber es gibt immer eine unerfreuliche Tatsache: “Es ist wirklich eine Schande, dass sich England nicht für die Euro 2008 qualifizieren konnte”, sagt ein Genfer Taxi-Fahrer. Die englischen Fans gelten als die grössten Biertrinker…

swissinfo, Simon Bradley, Genf
(Übertragung aus dem Englischen: Jean-Michel Berthoud)

Laut Zahlen 2006 sind die Portugiesen mit 174’000 die drittgrösste ausländische Gemeinschaft in der Schweiz, nach den Italienern und Serben. An 5. Stelle, hinter den Spaniern, folgt mit 74’000 die türkische Gemeinschaft, die sich mehrheitlich in Basel befindet.

Gemäss der Zeitung Le Matin Bleu werden Fans mit Tickets für die Spiele in Genf kaum Hotelplätze (9200 total) finden. Viele davon sind bereits vergeben an Teilnehmer des Jahreskongresses der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), der vom 30. Mai bis 15. Juni 2008 stattfindet.

Euro 2008 Spiele in Genf: 7. Juni: Portugal-Türkei; 11. Juni: Tschechien-Portugal; 15. Juni: Türkei-Tschechien.

Die Schweiz und Österreich sind für die Fussball-EM 2008 vom 7.-29. Juni 2008 in den beiden Ländern automatisch qualifiziert.

Die 31 Spiele finden in vier Schweizer (Basel, Bern, Genf, Zürich) und vier österreichischen Städten (Innsbruck, Klagenfurt, Salzburg, Wien) statt. Der Final geht am 29. Juni in Wien über die Bühne. Die Schweiz spielt alle ihre Gruppenspiele in Basel.

Die Euro 2008 wird im TV in 170 Ländern mit rund 8 Mrd. Zuschauern übertragen.

Etwa 5,4 Mio. Fussball-Fans werden in der Schweiz die Euro 2008 verfolgen, darunter 1,4 Mio. aus dem Ausland.

Laut dem Europäischen Fussball-Verband UEFA bemühten sich 8 Mio. Leute um die 1,05 Mio. Tickets im Umlauf.

Laut einer Umfrage von MasterCard wird die Euro 2008 über 2,3 Mrd. Franken Umsatz für die europäische Wirtschaft generieren.

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