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Parteien mit klaren Themen dominieren die Politik

Aufschwung dank klarer Thematik: das neue Präsidium der Grünen Partei. Keystone

Wer heute in der Politik Erfolg haben will, muss sich mit Themen positionieren. Dies ist wohl eine der wichtigsten Erkenntnisse der Wahlstudie Selects, welche die Wahlen im Zeitraum zwischen 1995 und 2007 untersucht hat.

Ausländer, Asyl und Migration. Dieser Themenbereich hat der Schweizerischen Volkspartei (SVP) nach dem Sieg der Wahlen 2003 vier Jahre später noch einmal einen Zuwachs an Wählerstimmen beschert.

Sie kam auf einen Stimmenanteil von fast 30 Prozent. Dies hat vor ihr seit der Einführung des heutigen Wahlsystems 1919 noch keine Partei geschafft.

“Der SVP ist es gelungen, das ganze rechte Parteienspektrum an sich zu binden”, sagt Politologe Georg Lutz, der Autor der Studie. Und dies nicht erst kurz vor den Wahlen, sondern über längere Zeit.

Der Vergleich über den Zeitraum von 1995 bis 2007 zeigt eine starke Umgruppierung des bürgerlichen Lagers. Noch vor zwölf Jahren bewegten sich die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP), die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) und die SVP im gleichen Wählersegment in der Mitte und rechts davon.

“Zwölf Jahre später hat sich das fundamental geändert”, erklärt Lutz. “Die SVP dominiert ganz klar den rechten Rand. Die anderen bürgerlichen Parteien sind in diesem Spektrum marginalisiert.”

Punkten mit Themen

Die Studie führt dies namentlich auf den Umstand zurück, dass es die SVP verstanden hat, konsequent auf Themen zu setzen.

“Insgesamt ist die Bindung an die Parteien in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren massiv zurückgegangen”, betont Lutz. Heute sei für Wählende viel wichtiger, wer bei den grossen Themen führend sei.

“Und dort punktet im konservativen Wählersegment die SVP mit den Themen Anti-EU, isolationistische Aussenpolitik und dem Themenkomplex Ausländer, Asyl und Migration.”

Dieses Phänomen ist auch auf der linken Seite des Spektrums festzustellen: Die Grünen konnten durch konsequente Positionierung als Umwelt-Partei besonders der Sozialdemokratischen Partei (SP) Stimmen abjagen.

Bürgerliche Rollensuche

Schwerer hatten es die beiden bürgerlichen Parteien CVP und FDP. Sie decken traditionell eine breitere Palette von Themen ab. “Heute müssen Wahlkämpfe zugespitzter, reduzierter sein”, sagt Lutz. Dies sei bei differenzierteren Positionen, wie sie diese Parteien vertreten, schwierig.

“Umgekehrt aber haben diese beiden Parteien auch ihre neue Rolle nicht gefunden.” Nämlich den Wechsel von einer Milieu-Partei, die Wählende langfristig über Vereine und Organisationen an sich bindet, zu einer Partei, die primär auf Wahlkampf und Wählerschaft ausgerichtet ist.

Besonders die FDP habe Mühe mit diesem Wechsel, so Politologe Lutz. “Dem jetzigen Parteipräsidenten Fulvio Pelli ist es bisher nicht gelungen, die Partei zu konsolidieren – obwohl er doch einige Zeit im Amt ist. Hier hat die FDP noch viele Hausaufgaben zu machen.”

Auf der linken Seite der Schweizer Politik graben sich SP und Grüne gegenseitig das Wasser ab. “Die Linke ist insgesamt in einer schwierigen Situation, weil es ihr bisher nicht gelungen ist, die eher Ungebundenen, die sich in der Mitte positionieren, für sich zu gewinnen”, sagt Lutz.

Potenziale

“Wenn sich eine der beiden Parteien nicht anders positioniert, wird das auch in Zukunft schwierig sein”, betont Lutz, der auch die Potenziale der Parteien für die Zukunft untersucht hat.

Mehr brach liegendes Potenzial hätten die beiden gebeutelten Parteien CVP und FDP. Die grosse Herausforderung für sie werde sein, diese Wählerschaft zu mobilisieren.

“Besonders die FDP hat zur Zeit eine sehr schlechte Ausschöpfung ihrer potenziellen Wählerschaft. Das heisst aber umgekehrt, dass es der FDP fast nicht mehr schlechter gehen kann.”

Auch für die SVP ortet die Studie noch zusätzliches Wählerpotenzial, wenn auch nicht mehr im bisherigen Ausmass. “Insgesamt gehe ich davon aus, dass die SVP noch sehr weit und sehr lange davon entfernt ist, das maximale Potenzial von 40% auszuschöpfen”, vermutet Lutz.

Wichtiges Elternhaus

Schliesslich fragte die Studie auch, welche Wählerschichten welche Parteien wählen. Dabei kamen die Politologen zu einer interessanten Feststellung: Am wichtigsten ist, in welcher Familie man aufgewachsen ist. Rund 50% wählen gleich wie die Eltern.

Andere Faktoren sind das Einkommen, die Ausbildung und das Alter. Ob jemand aber eine Frau oder ein Mann ist, spielt beim Ausfüllen des Wahlzettels kaum eine Rolle.

swissinfo, Christian Raaflaub

Parteistärken im Nationalrat nach den Wahlen 2007:
SVP: 28,9%
SP: 19,5%
FDP: 15,8%
CVP: 14,5%
Grüne: 9,6%

Für die Studie werteten die Experten Daten von vier Nachwahl-Befragungen zwischen 1995 und 2007 aus.

Die Befragung zu den Wahlen vom 21. Oktober 2007 wurde zwischen dem 22. Oktober und 5. November durchgeführt.

Insgesamt 4392 Personen aus der ganzen Schweiz wurden dazu telefonisch befragt.

Selects ist ein Wahlforschungs-Projekt, das seit 1995 besteht. Es wird von diversen politikwissenschaftlichen Instituten der Schweizer Universitäten getragen.

Das Selects-Projekt wurde Anfang 2008 der neu gegründeten Stiftung für die Forschung in den Sozialwissenschaften (FORS) in Lausanne angegliedert.

Der Autor dieser Studie, Politologe Georg Lutz, ist seit 1. Januar 2008 Projektleiter von Selects.

2007 wurde die Befragung zum grössten Teil vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) finanziert. Zusätzliche Beiträge lieferten die Kantone Genf, Tessin und Zürich.

Ein zweiter Teil der Studie befasste sich mit den Kosten für den Wahlkampf 2007.

Insgesamt haben die Kandidierenden 25 Mio. Franken ausgegeben, was vergleichbar mit anderen Ländern ist.

Bürgerliche Kandidierende gaben mit 15’000 Franken mehr als doppelt so viel aus wie Kandidierende der SP (6800 Fr.) und fast fünfmal so viel wie grüne Kandidaten (3100 Fr.).

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