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Mit Sonntagsverkauf der Krise entgegenwirken?

Keystone

Sollen Schweizer Läden länger geöffnet bleiben dürfen, um die Finanzkrise abzuschwächen und die kränkelnde Tourismusindustrie zu stützen? Darüber wird zur Zeit kontrovers diskutiert.

Sonntagsverkäufe werden in vielen Gebieten der Schweiz immer noch nicht gern gesehen. Vorschläge, um dies zu ändern, stossen bei den Gewerkschaften auf harten Widerstand.

Die wirtschaftlichen Prognosen für die Schweiz fielen in den letzten Monaten schlecht aus: fallende Exportzahlen und Stagnation der Wirtschaft.

Die Regierung hat drei Hilfspakete verabschiedet, um die Finanzkrise zu bekämpfen. Wichtige Punkte betreffen die Arbeitslosigkeit und Anreize für Investitionen.

Der Tourismus, eine wichtige Einnahmequelle, leidet unter dem Fernbleiben ausländischer Gäste. Jürg Schmid, Direktor von Schweiz Tourismus, erklärte kürzlich gegenüber der SonntagsZeitung, dass der Umsatz bei den Hotels bis zu 10%, die Zahl von Logiernächten um 7% fallen könnte.

“Um den Schweizer Tourismus zu retten, müssen wir den Markt liberalisieren und die Ladenöffnungszeiten auch auf den Sonntag ausdehnen, weil sich dann in den Städten viele Besucher tummeln”, sagte Schmid gegenüber Sonntag.

Dieser Vorschlag, der bereits früher in der Wirtschaftswelt Unterstützung fand, stösst jedoch bei den Gewerkschaften und linken Parteien auf Widerstand.

“Was macht es für einen Sinn, Angestellte auch am Sonntag arbeiten zu lassen, nur weil diese Massnahme – welche im Übrigen noch zu beweisen ist – die Schweizer Wirtschaft fördern könnte?”, sagt Doris Bianchi vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund SGB.

Uneinheitliche Gesetze

Auch wenn zu den Ladenöffnungszeiten ein Bundesgesetz existiert, ist die Situation nicht einfach, weil jeder der 26 Kantone diesbezüglich seine eigenen Vorschriften hat.

Im Jahr 2005 befürwortete das Schweizer Stimmvolk eine Änderung des Arbeitsgesetzes, das den Sonntagsverkauf bei den grössten Bahnhöfen und Flughäfen im Land zulässt.

Zwei Jahre später hiess das Parlament es gut, dass Geschäfte bis zu vier Mal im Jahr an einem Sonntag geöffnet sein dürfen. Allerdings müssen die Ladenbetreiber ein dringendes Bedürfnis nachweisen, bevor sie gegen das Prinzip vom Ruhetag am Sonntag verstossen.

Die kantonalen Vorschriften der Öffnungszeiten für unter der Woche sind ebenfalls uneinheitlich geregelt. Um dies zu ändern, hat sich das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) dafür ausgesprochen, den Verkauf von gewissen Lebensmitteln an Kiosken und Tankstellenshops zwischen ein und fünf Uhr nachts weiterhin zu verbieten.

In Zürich wird diese Vorschrift allerdings seit 10 Jahren missachtet, was laut Seco das gültige Bundesgesetz verletzt. Das Seco-Vorhaben löste Empörung aus.

24 Stunden lang Einkaufen

Ein Komitee von Politikern aus dem Mitte-Rechts-Lager, angeführt vom freisinnigen Genfer Nationalrat Christian Lüscher, hat bereits 27’000 Unterschriften gesammelt, die sich dafür einsetzen, dass Tankstellenshops künftig jederzeit Lebensmittel verkaufen dürfen.

“Dies entspricht einem Bedürfnis der Konsumenten. Des weiteren muss in einer Marktwirtschaft aufgrund von Angebot und Nachfrage entschieden werden, ob etwas nötig ist oder nicht”, sagt Lüscher gegenüber swissinfo.ch.

“Es geht um das Recht der Stadtbewohner, sich während 24 Stunden alles kaufen zu können, was sie brauchen. In vielen anderen Ländern ist das bereits möglich”, fügt er hinzu.

Zürich hat zudem ein weiteres Projekt geplant: So soll es von Oktober bis Dezember Ladenbetreibern erlaubt sein, ihre Geschäfte an Samstagen bis 20 Uhr offen zu halten.

“In touristischen Regionen sind Sonntags- und Abendverkäufe, vor allem im Sommer, ein wichtiger Faktor im internationalen Wettbewerb. Zudem sorgen sie für eine lebendigere Atmosphäre”, sagt Frank Baumann, Pressesprecher von Tourismus Zürich, gegenüber swissinfo.ch.

Den Preis zahlen

Gewerkschaften befürchten jedoch, dass die Angestellten den Preis für die längeren Öffnungszeiten bezahlen müssen.

Wie Bianchi vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund erklärt, ist die Sonntagsarbeit laut Gesetz zwar freiwillig, doch befürchten die Angestellten, sie könnten ihre Stelle verlieren, wenn sie sich weigerten.

“Ausserdem muss man in diesen mageren Zeiten bedenken, dass wenn die Leute ihr Geld am Sonntag ausgeben, es am Montag sein lassen. Es ist nicht einmal erwiesen, dass eine solche Liberalisierung den Konsum steigert und somit die Wirtschaft ankurbelt”, sagt sie.

Für die Gewerkschaften sind die arbeitsfreien Sonntage eine wichtige soziale Errungenschaft. Und gemäss christlicher Tradition sei dieser Tag immer noch für die Religion und die Familie reserviert. Viele Menschen seien immer noch der Meinung, der Sonntag sei ein Ruhetag.

“In einer Gesellschaft, in der Arbeitslosigkeit die Angestellten in ein Abhängigkeitsverhältnis bringt, ist es nötig, Klarheit darüber zu haben, ob diese freie Wahl tatsächlich existiert”, sagt Bianchi.

Vorschriften über den Sonntagsverkauf sind in der Europäischen Union nicht einheitlich geregelt, sie stützen sich auf die jeweiligen nationalen Gesetze.

Schweden hat die Pionierrolle inne beim Sonntagsverkauf: Seit 1972 haben alle Geschäfte die Wahl, von fünf Uhr morgens bis Mitternacht geöffnet zu sein.

Die Tschechische Republik, Irland und Ungarn haben sonntags unbeschränkte Öffnungszeiten.

In Spanien und Grossbritannien hängt die Öffnungszeit von der Grösse des Geschäfts ab: je grösser der Laden, desto strikter die Regelung.

Italien hat strengere Regelungen: nur an 13 Sonntagen können die Geschäfte ihre Türen öffnen, wovon 8 auf die Sonntage vor Weihnachten fallen.

(Übertragung aus dem Englischen: Sandra Grizelj)

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