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Obama muss Kompromisse machen

US-Präsident Barack Obama zeigt Verständnis für das Unbehaben der Bevölkerung angesichts der Wirtschaftslage. Keystone

Barack Obama hat bei den US-Kongresswahlen eine herbe Niederlage erlitten. Für Kompromisse mit den Republikanern müsse der Präsident seine Ambitionen nach unten korrigieren, sagt Alfred Defago, früherer Schweizer Botschafter in Washington.

swissinfo.ch: Sind die Wahlresultate ein Misstrauensvotum gegen Barack Obama und seine Politik?

Alfred Defago: Die Resultate sind sicher ein sehr klares Alarmzeichen. Grosse Teile der amerikanischen Bevölkerung haben genug vom eingeschlagenen Weg, der auf Wirtschaftswachstum und damit auf steigenden Staatsschulden und Steuern gründet.

Die Botschaft der Wählerinnen und Wähler ist: Wir fordern die Eingrenzung der Rolle des Staates und die Ausweitung der individuellen Freiheit.

Ich denke jedoch nicht, dass das Wahlresultat ein “Nein” gegen Barack Obama an sich darstellt. Die Zahl der Amerikaner, die gegenüber dem Präsidenten positiv eingestellt ist, bleicht relativ hoch.

swissinfo.ch: Geht Washington in eine Sackgasse oder Richtung Kompromiss?

A.D.: Das ist im Moment wirklich schwierig zu sagen. In seiner Pressekonferenz nach den Kongresswahlen zeigte sich Präsident Barack Obama sehr kompromissbereit.

Doch die Wahlkampagne für die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2012 haben bereits begonnen. Dies wird jegliche Kompromisse beträchtlich erschweren.

swissinfo.ch: Was kann Barack Obama bis 2012 unternehmen, um sein politisches Programm zu retten? Und welche Projekte muss er wohl aufgeben?

A.D.: Sicher ist, dass Obama seine Ambitionen nach unten korrigieren muss. Wenn er Glück hat, kann er die grundlegenden Elemente seiner umstrittenen Gesundheitsreform retten.

Die Republikaner werden an allen Fronten kämpfen, um mindestens gewisse Teile dieses Gesetzes zu bodigen. Obama wird auch bei seinen ambitionierten Projekten im Umwelt- und Energiebereich deutliche Abstriche machen müssen.

Zudem wird er von den Republikanern absolut keine Unterstützung bekommen für neue Wirtschaftsankurbelungs-Programme.

swissinfo.ch: Welchen Einfluss hat die Niederlage der Demokraten auf die Gouverneurssitze und die lokalen Parlamente in den US-Bundesstaaten?

A.D.: Die Niederlage wird schon bald einschneidende Folgen haben. Die neue und solide Mehrheit der republikanischen Gouverneure wird erhebliche Auswirkungen auf die nächste Aufteilung der Wahlkreise haben.

Diese Aufteilung wird sich wiederum beträchtlich auf die Parlamentswahlen und indirekt auch auf die kommenden Präsidentschaftswahlen auswirken.

Mit den Parlamenten der US-Bundesstaaten werden die republikanischen Gouverneure sicher auch versuchen, die Implementierung der Gesundheitsreform von Barack Obama zu blockieren.

swissinfo.ch: Die US-Kongresswahlen waren der erste nationale Wahltest für die Tea Party, die zum Erfolg der Republikaner beigetragen hat. Welche Rolle wird diese Bewegung kurz- und langfristig in der amerikanischen Politik spielen?

A.D.: Dienstag war für die Tea Party zweifellos ein grosser Tag. Es geht nicht um ein Strohfeuer. Die Partei widerspiegelt die tiefe Unzufriedenheit des Durchschnitts-Amerikaners gegenüber der Regierung und den Parteien. Die Tea Party hat die Republikanische Partei deutlich mehr nach rechts getrieben.

In Anbetracht anderer Beispiele in der Geschichte Amerikas denke ich jedoch nicht, dass diese Bewegung ein dauerhaftes politisches Gewicht bleibt. Zahlreiche Kandidaten der Tea Party sind gar von den Republikanern als zu radikal oder als verrückt bezeichnet worden.

swissinfo.ch: Inwiefern hat die Wahlschlappe Auswirkungen auf die Aussenpolitik?

A.D.: Das kann man noch nicht sagen. Die Aussenpolitik stand nicht im Zentrum der Zwischenwahlen. Barack Obama macht auch nicht den Anschein, als wolle er als Präsident der Aussenpolitik wahrgenommen werden.

Doch wer weiss, wenn die nächsten beiden Jahren innenpolitisch in eine Sackgasse führen, könnte Obama in die internationale Politik “flüchten”. Das hat auch Bill Clinton nach seiner Wahlschlappe bei den Zwischenwahlen gemacht.

swissinfo.ch: Könnte es sein, dass Präsident Barack Obama nach nur einer Amtszeit abtreten muss?

A.D.: Obamas Wiederwahl in zwei Jahren ist nicht gesichert. Er wird dafür kämpfen müssen. Doch seine Lage ist alles andere als hoffnungslos. Die Republikaner werden grosse Schwierigkeiten haben, eine überzeugende Alternative zu Barack Obama zu finden.

Alle möglichen Präsidentschaftskandidaten des Tea-Party-Flügels stehen zurzeit im Scheinwerferlicht, doch es scheint mir völlig unvorstellbar, dass sie von einer Mehrheit der Amerikaner gewählt werden könnten.

Sarah Palin zum Beispiel hat praktisch keine Chance, von ihrer Partei unterstützt zu werden. Sie spaltet die Bevölkerung zu stark, auch die Republikaner.

swissinfo.ch: Die Wahlbeteiligung war mit 42% erneut sehr niedrig. Aus den Umfragen geht hervor, dass die Amerikaner, die nicht wählen gingen, weder die Republikaner noch die Demokraten unterstützen. Was bedeutet das für die beiden Parteien und die amerikanische Demokratie?

A.D.: Die Kongresswahlen waren nicht nur für die Demokraten und Barack Obama eine schwere Niederlage. Sie waren ein Misstrauensvotum gegenüber beiden politischen Parteien. Der Sieg der Republikaner bedeutet nicht unbedingt, dass sie so weiter machen sollen wie bisher.

Ich glaube jedoch nicht, dass das Wahlergebnis eine fundamentale Krise widerspiegelt. Es bedeutet auch nicht das Ende des traditionellen Zweiparteien-Systems.

Die Republikaner haben im Repräsentantenhaus den grössten Sieg einer Partei seit 1948.

Sie eroberten mindestens 60 Sitze im Repräsentantenhaus, die bislang von Demokraten gehalten wurden.

Lediglich 39 hätten sie benötigt, um die Macht in der 435-köpfigen Kammer zu übernehmen.

Im Senat behalten die Demokraten mit mindestens 51 von 100 Sitzen zwar die Mehrheit, aber auch dort feierten die Republikaner den Zugewinn von sechs Mandaten.

Alfred Defago ist Gastprofessor für internationale Beziehungen an der University of Wisconsin-Madison und der Florida Atlantic University.

Von 1997 bis 2001 war Defago Schweizer Botschafter in Washington.

Zuvor war er von 1994 bis 1997 Generalkonsul der Schweiz in New York.

(Übertragung aus dem Französischen: Corinne Buchser)

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