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“Die Schweiz als Mediatorin muss auf alle Seiten gut verknüpft sein”

Mann vor Wandbild
Keystone / Christian Brun

Friedensförderung ist eine Priorität der Schweizer Aussenpolitik. Doch die Schweiz ist eine junge Playerin. Wie und warum die Schweiz zum Profi der Konfliktbewältigung wurde, erzählt Markus Heiniger, der hautnah dabei war.

Markus Heiniger war während vieler Jahre in der Friedenspolitik des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) tätig. Vor seiner Pensionierung erstellte er 2017 eine Studie über das Friedensengagement des EDA seit 1990.

Studie: 30 Jahre Friedensengagement

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swissinfo.ch: Man spricht gerne über die humanitäre Tradition der Schweiz und ihre Neutralität. Für die Friedensförderung allerdings setzt die Schweiz sich erst seit rund drei Jahrzehnten ein, warum?

Markus Heiniger: Nach dem Zweiten Weltkrieg kultivierte die Schweiz den Alleingang, die eigene Verteidigung stand zuvorderst. Während des Kalten Krieges konzentrierte sie sich auf die militärische Sicherheit. Eine Friedenspolitik, die auf Kooperation fokussiert, wurde im Klima der gegenseitigen Abschreckung nicht versucht. Man hat eine extreme Form der Neutralität kultiviert: Die Neutralität war Daseinszweck, statt ein Instrument der Aussenpolitik.

Das änderte sich durch den globalen Kontext. Als sich die Blöcke ab 1989 auflösten, war die strikte Schweizer Neutralität nicht mehr so attraktiv. Die Schweiz war 1990 nirgends dabei, nicht bei der Nato, der Uno, der EU, nicht mal bei der Weltbank oder im Währungsfonds. Die Alleingangsstrategie wurde zum Risiko. Deshalb trat die Schweiz zunächst den Bretton Woods Institutionen bei, später auch der Uno.

Markus Heiniger
Markus Heiniger arbeitete 2002–2017 für das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA), unter anderem war er stellvertretender Leiter der Sektion Friedenspolitik und der damaligen Politischen Abteilung 4 (heute Frieden und Menschenrechte). Drei Jahre war er Special Advisor für Peacebuilding des EDA in Nepal. Zuletzt arbeitete er für die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA in Bern. In dieser Funktion erstellte er eine Studie über das Friedensengagement des EDA seit 1990, die 2017 abgeschlossen wurde. zvg

War Friedensförderung für die Schweiz eine unverfängliche Möglichkeit, trotz fehlender EU-Mitgliedschaft multilateral aktiv zu sein?

Friedensförderung wie Wahlunterstützung, Entminungsaktionen, Polizeiunterstützung und Missionen in Tschetschenien und Georgien waren sicherlich kein Ersatz für eine EU-Mitgliedschaft, aber sie waren eine Möglichkeit, zu zeigen, dass man einen Beitrag für die internationale Zusammenarbeit leisten will.

Sie schreiben in Ihrer Studie, Kanada und Norwegen seien der Schweiz anfänglich aussen- und friedenspolitisch voraus gewesen.

Ja, das wurde damals auch von der Schweizer Diplomatie so wahrgenommen. Man sagte: Oh, was die können, das wollen wir auch.

Gerade Norwegen hatte mit der Nato- und Uno-Mitgliedschaft bereits im Kalten Krieg stark auf Multilateralismus gesetzt. Das Land hatte eine andere Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg gezogen als die Schweiz. Norwegen sagte sich: Wir müssen mitmachen, wir können nicht allein überleben. Deshalb waren sie früh viel besser vernetzt und hatten mehr Informationen. Norwegen setzte auch grosse finanzielle Mittel ein. Bei Kanada war das ähnlich.

Ist es heute umgekehrt?

Die Schweiz hat inzwischen aufgeholt bei den Kapazitäten und beim Knowhow. Das wird auch anerkannt in diesen Ländern. Man kennt sich ja gut, man hat auch zusammengearbeitet. Im Fall von Sri Lanka beispielsweise hatte Norwegen das offizielle Mandat von den Konfliktparteien und die Schweiz konnte mithelfen.

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Was waren die wichtigsten Erfolge des Schweizer Friedensengagements?

Ich würde sagen das Friedensabkommen in Kolumbien zwischen der FARC-Guerilla und der Regierungsarmee, der Friede zwischen Maoisten und der Regierung in Nepal, die Vermittlung im mosambikanischen Konflikt 2019, aber auch das Abkommen in den Nuba-Bergen zum Schutz der Sezessionisten im Sudan 2002 oder das Abkommen Türkei-Armenien von 2009 – das zwar nur beschränkt umgesetzt wurde.

Die Schweiz hat das nicht immer allein erreicht, meist arbeitet man mit anderen Ländern zusammen, aber in diesen Fällen war ihr Beitrag wichtig.

Und für Sie persönlich?

Über den Erfolg in Nepal freue ich mich besonders, weil ich selbst in dem Land gearbeitet habe. Die Schweiz hat zwischen der Regierung und den maoistischen Guerilla-Gruppen ein Friedensabkommen mitvermittelt. Sie hat anschliessend bei der Umsetzung des Abkommens, die ja oft fast schwieriger ist als das Abkommen selbst, weiter vermittelt und sie hat auch geholfen, faire Wahlen durchzuführen – bei denen zum allgemeinen Erstaunen die Maoisten gewannen. Dies alles war aus zwei Gründen möglich: Erstens hatte die Schweiz schon während Jahren Entwicklungszusammenarbeit in Nepal geleistet, war bekannt, und kannte deshalb alle Akteure. Zweitens liessen die grossen Regionalmächte, also Indien, China (und die USA), die Schweiz machen. Es ist toll, dass Nepal nicht in den Bürgerkrieg zurückgefallen ist.

Ein weiteres Erfolgserlebnis war zum Beispiel die Vergangenheitsaufarbeitung in Guatemala. Dort wurde in einer alten Garage ein verstecktes ehemaliges Polizeiarchiv gefunden. Die Schweiz hat geholfen, die alten Dokumente zu retten, was wichtig war für die gerichtliche Aufarbeitung. Aber auch sonst: Die Leute wollen wissen, was passiert ist. Wie ist mein Mann gestorben? Ist er umgebracht worden?

Vergangenheitsaufarbeitung ist sehr wichtig in Friedensprozessen, sie ist einer der Schwerpunkte der Schweiz. Man muss mit den Parteien zusammen über die Vergangenheit reden, in einem Ton, der auf Versöhnung aus ist und nicht auf Anschuldigung und Rechthaberei.

Und was waren die schlimmsten Niederlagen?

Eines der dramatischsten Beispiele ist Sri Lanka: Die Schweiz hat, neben Norwegen, viel investiert, sie war sehr engagiert, man war nahe an einer möglichen Lösung. Es ist sehr deprimierend, dass es ganz anders herauskam. Der Krieg endete 2009 mit einem militärischen Sieg der sri-lankischen Regierungstruppen über die Liberation Tigers of Tamil Ealam. Das Land kommt bis heute nicht zur Ruhe, es ist schwer gespalten und wird immer mehr autokratisch regiert von der Familie Rajapaksa. Auch die Minderheit der Muslime wird seit ein paar Jahren schlecht behandelt.

Friedensvermittlung ist ein Geschäft mit einem gewissen Risiko. Viele Länder fallen zurück in den Krieg. Trotzdem ist es richtig, dass die Schweiz langfristig engagiert bleibt. Wobei man nicht vergessen darf, dass man von aussen ja nur unterstützt, im Inneren leidet die Zivilbevölkerung, wenn ein Friedensprozess scheitert. Und: Frieden schliessen, das müssen die Konfliktparteien, das ist das Schwierigste. Das Risiko im Konfliktland ist also viel grösser als dasjenige für Friedensvermittler.

Anders als andere Länder bleibt die Schweiz auch mit bewaffneten Gruppen wie den Tamil Tigers in Kontakt und verbietet solche Organisationen nur, wenn sie wie die Al-Kaida auf einer Uno-Liste stehen. Wird die Schweiz dafür kritisiert?

Warum macht die Schweiz das? Im Beispiel der Tamil Tigers war es wichtig, Kontakt zu den Separatisten zu haben, das wurde auch von der sri-lankischen Regierung unterstützt. Nicht etwa, weil man die Tamil Tigers toll findet, sondern man will wissen, wie sie ticken. Das muss einen interessieren, wenn man an einem Friedensprozess beteiligt ist. Sonst kann man keinen Input geben. Es gab zwar einen gewissen Druck seitens der EU und der USA, welche die Tamil Tigers verboten hatten. Die Schweiz erklärte, als Friedensprozess-Unterstützerin müsse man auf alle Seiten gut verknüpft sein – und das wurde dann verstanden.

Andere Länder haben auch schon davon profitiert, dass die Schweiz mit problematischen Gruppen in Kontakt blieb, weil sie den Kanal der Schweiz nutzen konnten.

Ja, das ist auch schon passiert. Die Schweiz kann anderen Ländern oder multilateralen Akteuren helfen. Diese fragen dann: Was haben sie gesagt? Man darf nicht alles erzählen, weil es vertraulich ist, aber man kann ein Gesamtbild geben. Es ist wichtig zu wissen, was die Parteien wollen und welche Absichten oder auch Probleme die Führungen haben.

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Sie kommen in der Studie über das Schweizer Engagement zum Schluss, es bleibe der Gesamteindruck einer Art “Friedensboutique”. Was meinen Sie damit?

Damit ist gemeint, dass man zwar Kapazitäten in der Vermittlungsarbeit, Mediation, Föderalismusberatung und Vergangenheitsaufarbeitung und so weiter aufgebaut hat, dass es aber bei einem recht eingeschränkten Friedensförderungskonzept bleibt. Frieden in der Aussenpolitik sollte nicht in einzelnen Abteilungen stattfinden, sondern er sollte die Gesamtpolitik prägen. Bis hin zur Personalpolitik des Aussendepartements. Ein Beispiel: Alt-Botschafter Josef Bucher, der das Abkommen in den Nuba-Bergen verhandelt hat, war genau deshalb so gut, weil er zuvor mehrere Jahre in der Region postiert war und alle Akteure bereits kannte. Das Aussendepartement sollte Personen immer so gezielt einsetzen.

Man müsste auch die Friedenspolitik kohärenter machen. Die Schweiz darf nicht im entscheidenden Moment opportunistisch sein und zugunsten von Waffenausfuhren oder eigenen Wirtschaftsinteressen handeln. Die Friedenserhaltung sollte die Oberdevise der gesamten Politik sein, das sagt auch die Uno in der Resolution “Sustaining peace” von 2016. Die Schweiz sollte zudem sehr konsequent und langfristig an bestimmten Konflikten dranbleiben.

Das ist ein Gegenkonzept zum dem, was ich “Hotelier-Konzept” nenne: Man hat ein Hotel in Genf und wartet, bis jemand eine Konferenz machen will. Das kann man immer noch machen, aber die aktive Friedensförderung ist wichtiger. Es gibt nämlich auch andere Länder und Plattformen, die in der Friedensförderung aktiv sind: NGOs, andere Länder und die Uno. Es gibt z.B. Doha, Oman, Oslo und andere Gastgeber-Städte, auch Wien. Man kann nicht dasitzen und warten, bis jemand kommt.

Die Schweiz hat ihr Friedensengagement in den letzten 30 Jahren massiv ausgebaut – auch personell und finanziell. Würden Sie sagen, die Bevölkerung steht hinter diesem Kurs?

Laut jährlichen Umfragen der ETH ist es eindeutig so. Etwa zwei Drittel der Bevölkerung sind für Frieden und Sicherheit durch Kooperation und etwa ein Drittel ist im Moment eher für das frühere Alleingang-Modell. Diese zwei Strömungen hat es in der Schweiz schon immer gegeben, seit sicherlich mehr als 100 Jahren. Mal war die eine Strömung stärker, mal die andere.

Meiner Meinung nach sollte das Aussendepartement die Öffentlichkeit stärker über die Friedensförderung informieren. Als ich die Studie erstellt habe, merkte ich, wie wenig zu dem Thema publik ist. Natürlich sind manche Sachen vertraulich. Aber man könnte der Bevölkerung das Friedensengagement der Schweiz näherbringen.

Wie weit es die globale Situation der Schweiz auch in Zukunft erlaubt, als Friedensvermittlerin tätig zu sein, wird sich zeigen. Aber die Schweiz sollte jetzt nicht klein beigeben. Friedensförderung oder Friedenspolitik – ausgeweitet auf “sustaining peace” – sind eine Chance für die Schweiz, auch für ihre Sicherheit.

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