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Zuwanderungsstopp: Weg aus oder ins Desaster?

Manchen wird es zu eng in der Schweiz, andere fühlen sich wohl in der Menge. Das Thema "Zuwanderung" scheidet die Geister. Keystone

"Die Überbevölkerung stoppen" und "die natürlichen Lebensgrundlagen sichern". Das ist das Ziel der Ecopop-Initiative. Was vernünftig tönt, hat laut den Gegnern einen gefährlichen Haken: Mit dem Zuwanderungsstopp würden keine Probleme gelöst, sondern neue und grössere geschaffen. Ein Streitgespräch.  

«Die Personenfreizügigkeit befeuert die neoliberalen Konzepte. Menschen werden zu Waren, die man beliebig verschieben kann», sagt Cornelia Keller, Vizepräsidentin des Vereins EcopopExterner Link. «Wir wollen, dass die Menschen dort ein würdiges Leben führen können, wo sie sind.» Die Initiative des Vereins verlangt, dass die Bevölkerung in der Schweiz infolge Zuwanderung um höchstens 0,2 Prozent wächst. Ausserdem sollen 10% der staatlichen Entwicklungshilfe in die Familienplanung in Entwicklungsländern fliessen. 

Cornelia Keller Keystone

«Die Personenfreizügigkeit ist eine freiheitliche Errungenschaft, die vielen Menschen hilft, wohlhabender zu sein», sagt Stefan Schlegel, Vorstandsmitglied der neuen pro-europäischen Bewegung «Operation LiberoExterner Link«, welche die Ecopop-Initiative bekämpft. Für swissinfo.ch haben Keller und Schlegel die Klingen gekreuzt.

swissinfo.ch: Frau Keller, ein Blick auf Ihre Biografie erweckt den Eindruck, dass Ihnen die Natur am Herzen liegt. Ist sie Ihnen wichtiger als die Menschen?

Cornelia Keller: Die Menschen sind Teil der Natur. Menschen haben ohne Natur keine Zukunft.

swissinfo.ch: Sind die Menschen von heute in Ihren Augen ein Desaster für die biotische Gemeinschaft?

C.K.: Ich würde das nicht mit diesen Worten sagen, aber es sieht seit einigen Jahrzehnten so aus, als würde der Mensch zu einer grossen Bedrohung nicht nur für sehr viele Arten, sondern für das ganze Ökosystem, also letztlich auch für sich selber.

Stefan Schlegel Ornella Cacace

swissinfo.ch: Herr Schlegel, haben Sie für die Natur und Landschaft in der Schweiz nichts übrig?

Stefan Schlegel: Ich bin der Sohn eines Raumplaners. Ich habe das Anliegen einer intakten Umwelt in meine politische DNA aufgenommen. Aber ich halte die Verknüpfung der Themen ‹Ökologie› mit ‹Zuwanderung› für krude. Die Wahrung der Natur und Landschaft ist eine Frage der Raumplanung, des geschickten Umgangs mit Ressourcen.

C.K.: Die 40-jährige Geschichte der Raumplanung ist ein einziges Desaster. Im besten Fall organisiert sie den Landverschleiss, aber sie verhindert ihn nicht. Im letzten Satz der neuen Raumplanungsverordnung steht: ‹Die Baulandreserven dürfen ausgedehnt werden, wenn die Bevölkerungsentwicklung dies verlangt.›

swissinfo.ch: Herr Schlegel, eine Schweiz mit 8 Mio. Einwohnern sieht ziemlich anders aus, als mit 6 Mio., wie es Jahrzehnte lang der Fall war.

S.Sch.: Ja, aber die Frage ist, ob sie eine schlechtere Ökologie hat. Die Rechnung ‹mehr Menschen gleich schlechtere Ökologie› ist viel zu einfach. Es kommt darauf an, wie wir leben. Die Gewässerqualität hat trotz  Bevölkerungswachstum zugenommen. Es gibt mehr Wald als vor 10 Jahren.

C.K.: Was Herr Schlegel völlig ausblendet, ist die Tatsache, dass in der Schweiz immer weniger verschiedene Güter – Möbel, Nahrung – produziert werden. Diese Produktion wurde in den letzten Jahren zunehmend ausgelagert. Heute werden die Güter importiert, z.B. aus China, oder aus dem Amazonas-Gebiet, wo sie gigantische Umweltprobleme verursachen.

Verein Ecopop

Die parteiunabhängige Umweltorganisation wurde vor 40 Jahren gegründet. Vor der Lancierung ihrer  Initiative «Stopp der Überbevölkerung – zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen» (Ecopop-Initiative genannt) war sie in der Öffentlichkeit wenig bekannt. Der Verein Ecopop formierte sich anfangs der 1970er-Jahre im Kontext des damaligen Überbevölkerungsdiskurses. Von vielen Zeitgenossen weltweit wurde die steigende Bevölkerungszahl angesichts der beschränkten Ressourcen als die grösste Bedrohung für die Menschheit gesehen. 

swissinfo.ch: Möchten Sie wieder eine Schweiz wie zu Gotthelfs Zeiten?

C.K.: Nein, heute ist vieles besser als damals. Aber die Umweltprobleme gab es damals noch nicht. Darum müssen wir uns heute kümmern.

swissinfo.ch: Mit einer Zuwanderungsbeschränkung? Was ändert sich denn am CO2-Ausstoss, wenn ein Deutscher anstatt in Hamburg hier in Bern Auto fährt?

C.K.: Die Menschen kommen, weil sie hier mehr verdienen, und dann aber auch mehr konsumieren. Und wenn sie ihre Verwandten zuhause besuchen, fahren sie längere Strecken. Und einige Zuwanderer kommen aus Klimazonen, die weniger ‹ressourcen-aufwändig› sind, wo z.B. mit weniger Material gebaut werden kann. Aber das ist nicht das Hauptargument.  

swissinfo.ch: Sondern?

C.K.: Das Nachhaltigkeitsprinzip. Es wurde vor mehr als 20 Jahren an der ersten internationalen Umweltkonferenz in Rio festgeschrieben. Es überträgt die Verantwortung für die Umweltbilanz den Nationalstaaten. Bevölkerung und Ressourcenverbrauch sollen in einem Gleichgewicht stehen. Die Umweltziele der UNO betreffen die Staaten nach dem Grundsatz «global denken – lokal handeln».

S.Sch.: Ihre Argumente sind eine seltsame Mischung. Einerseits argumentieren Sie aus einer globalen Sicht, andererseits tun Sie so, als ob die Schweiz ein geschlossenes Ökosystem wäre. Wenn Ihnen die Ökologie etwas bedeutet, müssen Sie sich dafür stark machen, dass Länder wie China und Brasilien nachhaltigere Produktionsmethoden verwenden. Stattdessen wollen Sie verhindern, dass Chinesen und Brasilianer hier herkommen. 

Operation Libero

Die neue pro-europäische Bewegung trat auf den Plan, nachdem das Schweizer Stimmvolk im Februar 2014 mit knapper Mehrheit Ja gesagt hatte, zur Begrenzung der Zuwanderung wieder Quoten einzuführen. Damit würde die Schweiz das Personenfreizügigkeits-Abkommen mit der EU verletzen. «Operation Libero» wurde von jungen Akademikern lanciert. Sie haben Verbindungen zur Denkfabrik «Foraus». Ihre Plattform umfasst eine breite Palette von Themen für eine liberale Gesellschaft.

swissinfo.ch: Frau Keller, ist es nicht egoistisch, zuwanderungswillige Menschen daran zu hindern, bei uns ein besseres Leben führen zu können?

C.K.: Wir sagen nicht, dass die Leute in anderen Ländern keinen Anspruch auf den gleichen Ressourcenverbrauch haben wie wir. Aber wir möchten nicht, dass die Leute dem Kapital nachreisen und Wanderarbeiter werden müssen. Sie sollen dort ein besseres Leben haben, wo sie sind.   

swissinfo.ch: Aber Ihre Initiative trägt nichts dazu bei, dass sich das Leben in diesen Ländern verbessert?

C.K.: Man kann ein ‹Weltrettungsprogramm› nicht in eine Initiative packen. Aber der Verein Ecopop ist eine der ersten Umweltbewegungen, welche die Umwelt und die Bevölkerungszahl in einen Zusammenhang bringt.

swissinfo.ch: Herr Schlegel, seitdem die Schweiz mit der EU das Personenfreizügigkeits-Abkommen abgeschlossen hat, ist die Zuwanderung signifikant gewachsen. Wollen Sie die Grenzen für alle Leute unbeschränkt öffnen? 

S.Sch.: Ich wünsche allen Menschen ein besseres Leben. Deshalb setze ich mich für eine schrittweise Liberalisierung der Migrationspolitik ein. Migration ist für den Transfer von Know-how und Innovation, sie ist der Königsweg aus der Armut, nicht nur für jene, die migrieren, sondern auch für die Zurückbleibenden.

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swissinfo.ch: Aber wünschen Sie sich denn für Ihre Kinder und Enkel nicht, dass es hier in der Schweiz auch noch Grünflächen gibt?

S.Sch.: Es ist in der Schweiz gelungen, trotz hohem Siedlungsdruck Grünflächen zu bewahren.

C.K.: Viele Arten sind ausgestorben oder bedroht, weil sie in der Schweiz keinen Lebensraum mehr haben. Wenn die Schweiz einen minimalen Selbstversorgungsgrad behalten will, muss die Landwirtschaft auf den immer kleiner werdenden Flächen immer intensiver produzieren. Und diese Intensivierung setzt der Biodiversität zu.

swissinfo.ch: Rechnen Sie damit, dass die Landwirtschaft wieder naturnäher produziert, wenn Sie die Zuwanderung stoppen?

C.K.: Wir haben jetzt 8 Mio. Menschen im Land, und damit ist die Landwirtschaft schon stark unter Druck. Ich habe nicht die Illusion, dass sich der biologische Anbau stark ausdehnen würde, aber der Status quo wäre besser als eine 12-Millionen-Schweiz.

S.Sch.: Die Zuwanderung mit Gesetzen gegen den Konjunkturverlauf zu beschränken, ist noch nie und nirgends erfolgreich gewesen. Im Ausländerrecht steht sinngemäss, ‹wenn man Arbeitskräfte braucht, kann man sie holen›. Das würde auch bei der Umsetzung der Ecopop-Initiative irgendwo stehen. Es ist ein Selbstbetrug, der aber nicht schadlos ist, sondern dazu führt, dass Migranten eine schlechtere rechtliche Stellung haben.

C.K.: In der Schweiz haben wir eine Zuwanderung, die dem Konjunkturverlauf entgegengesetzt ist. Das Bruttoinlandprodukt stagniert, obwohl die Zuwanderung immer neue Spitzenwerte erreicht.

S.Sch.: Weil die Schweiz ein Arbeitsplatz-Wunder ist. Sie produziert gute, hochwertige Arbeitsplätze, wie sonst nirgends in Europa.

C.K.: Was hat die ansässige Bevölkerung von dieser Entwicklung?

S.Sch. In Ländern, in denen die Zuwanderung hoch ist, ist auch die Arbeitslosenquote unter älteren Arbeitnehmern am tiefsten, das zeigt auch der jüngste Bericht der OECD. Und in den Branchen, in denen am meisten Stellen für Ausländer geschaffen wurden, sind auch am meisten Stellen für Schweizer entstanden. Alle profitieren von diesem Wachstum.

C.K.: Sie singen wirklich ein Loblied auf den Neoliberalismus. Die Arbeitsproduktivität ist in der Schweiz aber gesunken, die Lebenshaltungskosten und die Arbeitslosigkeit sind gestiegen.

swissinfo.ch: In einer freien Marktwirtschaft führt die Erhöhung des Angebots zu niedrigeren Preisen, also im Fall des Arbeitsmarkts zu tieferen Löhnen.

S.Sch.: In der Theorie, aber in der Praxis ist es nicht eingetreten. Und noch was: Keine Personenfreizügigkeit in der Schweiz würde bedeuten, keinen Zugang zum europäischen Binnenmarkt. Wer meint, dass die Löhne in der Schweiz gleich hoch wären, ohne Zugang zu diesem Markt, glaubt im Schlaraffenland zu leben.

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