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Politiker: Von der Dreistigkeit bis zur Delinquenz

Im Auge des Zyklopen: Die drei Tessiner Parlamentarier Maspoli, Bignasca und Lombardi (v.l.n.r.). (Montage swissinfo) swissinfo.ch

Die Tessiner Abgeordneten im Schweizer Parlament machen Negativschlagzeilen. Man fragt sich: Ruinieren die Politiker den Kanton Tessin?

Obwohl es im Bundeshaus unterschiedliche Meinungen dazu gibt, ist eine gewisse Besorgtheit spürbar.

Der Tessiner Nationalrat Meinrado Robbiani hebt die Arme zum Himmel und seufzt: “Ich weiss nicht, was ich sagen soll.” Er schämt sich offensichtlich ein wenig über das schlechte Image, das drei seiner Ratskollegen dem Südschweizer Kanton bescheren.

Der jüngste Fall

Der 47-jährige Tessiner Ständerat Filippo Lombardi von der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) war letzten Frühlung auf der Autobahn zu schnell unterwegs – zudem ohne Führerschein. Den hatte er für 22 Monate abgeben müssen, unter anderem wegen Fahren in angetrunkenem Zustand.

Wegen den Verstössen gegen das Strassenverkehrsgesetz erhielt Lombardi eine auf ein Jahr ausgesetzte Gefängnisstrafe von 20 Tagen und eine Busse von 2000 Franken.

Das Verfahren wegen Irreführung der Rechtspflege wurde indes eingestellt. Die Tessiner Staatsanwaltschaft entlastete Lombardi vom Verdacht, den Aargauer Behörden nach seinem Tempo-Exzess vorsätzlich eine Drittperson als angeblichen Lenker angegeben zu haben.

Die CVP liess Lombardi nicht fallen; er ist jedoch nicht mehr im Präsidium mit dabei. Der seit 1999 amtierende Ständerat hat sich beim Tessiner Volk für seine Verkehrssünden entschuldigt.

Tessiner Präzendenzfälle

Nicht nur Übertretungen wie Ständerat Lombardi haben sich zwei andere Tessiner Volksvertreter zu Schulde lassen kommen: Sie haben Gesetze gebrochen. Es sind die beiden Vertreter der Lega dei ticinesi, Flavio Maspoli und Giuliano Bignasca.

Maspoli musste sich vor Gericht wegen Bankrott und Fälschung von Referendums-Unterschriften verantworten. Bignasca wurde mehrmals wegen Betrug, Dokumenten-Fälschung und Drogenkonsum verurteilt.

Der Kanton Tessin ist in Bern mit zehn Abgeordneten vertreten; proportional dazu liegt die Zahl jener, die mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind, also in einsamer Höhe. Der sarkastische Kommentar eines Vertreters der Schweizerischen Volkspartei (SVP), der nicht namentlich genannt sein will: “Bei den kommenden Parlamentswahlen müssen die Tessiner lediglich zwei andere Spezialisten solchen Kalibers wählen, dann erfüllen diese das Quorum für eine eigene Fraktion der Kriminellen.” Der Kanton Tessin als Bananenrepublik also.

Nur ein kleines Drama?

Der freisinnige Zürcher Nationalrat Felix Gutzwiller dagegen will nicht dramatisieren: “Für mich sind die beiden Lega-Vetreter Maspoli und Bignasca Karikaturen, niemand identifiziert den Tessin mit ihnen.”

Die als Protestbewegung entstandene Lega hat zwar an Popularität verloren, gehört aber im Tessin seit über zehn Jahren zum politischen Alltag.

Die Delikte von Ständerat Lombardi sind für Gutzwiller nicht wirklich gravierend: “Das Tempo beim Autofahren ist eine Art Ausdruck des lateinischen Temperamentes.” Der Zürcher Präventivmediziner räumt indes ein, dass Autofahren nach Alkoholkonsum “keine gute Sache ist”.

Viele Ratskollegen im Bundeshaus, vor allem bei der politischen Rechten, wollen Lombardi nicht auf die gleiche Ebene setzen wie seine beiden “Illegalitäts-Kollegen” Maspoli und Bignasca. Andere sind da kritischer, auch bei den Bürgerlichen. Der Appenzeller FDP-Ständerat Hans-Rudolf Merz: “In meinem Kanton würde mir auch ein Vergehen wie jenes von Lombardi nicht verziehen. Ich müsste zurücktreten.”

In Lombardis CVP schweigt man zu dem Fall. Man versteckt sich hinter den offiziellen Stellungnahmen. Definitiv zu Ende ist lediglich dessen Mitgliedschaft im Präsidium der CVP Schweiz.

Mafiöses Tessin?

Die Deutschschweizer Presse hat mehrmals die beiden Lega-Politiker Maspoli und Bignasca sowie jetzt auch Lombardi deutlich kritisiert. “Gewiss ist Fahren ohne Führerschein nicht so schwerwiegend wie Kokainkonsum, das Führen von Bordellen und das Unterlassen von Sozialleistungs-Zahlungen für die eigenen Angestellten, wie das Bignasca tat; aber beides ist illegal”, schreibt eine Journalistin des Zürcher “Tages-Anzeiger”.

Ähnlich sieht es die Vizepräsidentin der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz, die Zürcher Nationalrätin Christine Goll: “Viele Politiker auf der rechten Seite verharmlosen das Vergehen Lombardis. Aber wo endet die Legalität, wenn Volksvertreter als erste diese nicht respektieren?”

“Seit es im Tessin die Lega gibt, haben wir ein Problem mit dem Image der Legalität”, fügt ein Tessiner Abgeordneter bei. Und Christine Goll wird deutlich: “Ich habe immer mehr den Eindruck, dass in diesem Kanton ein mafiöses System herrscht, und das nicht nur bei den Lega-Leuten.”

Demission oder Wahlen?

Die grüne Nationalrätin Cécile Bühlmann sagt: “Wenn Bignasca erklärt, die Grünen sollte man in eine Telefonkabine sperren und diese in die Luft sprengen, dann glaube ich, dass alle Bescheid wissen über den Respekt, den die Lega-Leute für die Demokratie haben.” Und weiter: “Wenn die anderen Parteien beweisen wollen, dass sie von solchen Dreistigkeiten noch nicht angesteckt sind, sollte Lombardi zurücktreten.”

Im Bundeshaus ist man also besorgt über die Lage der Tessiner Politik. Alle haben zwar Sympathie für den italienisch-sprachigen Kanton in der Südschweiz, doch die bangen Fragen häufen sich. “Viele Mitbürgerinnen und -bürger fragen mich, was los sei, aber ich weiss nicht, wie ich ihnen meinen Kanton erkläre”, sagt ein entmutigter Tessiner Bundeshaus-Korrespondent.

swissinfo, Daniele Papacella
(Übertragung aus dem Italienischen: Jean-Michel Berthoud)

Jeder Schweizer Bürger hat verfassungsgemäss die gleichen Rechte. Gewählt werden kann auch jemand, der mit dem Gesetz in Konflikt gekommen ist. Eine gewählte Person kann nicht abgesetzt werden, wenn sie Gesetze übertritt. Es kann ihr höchstens “nahegelegt” werden, auf das Mandat zu verzichten.

Vieles wird aber nicht einfach toleriert. 1989 musste die erste Bundesrätin, die freisinnige Elisabeth Kopp, von ihrem Amt als Justizministerin zurücktreten. Sie hatte ihrem Mann, einem Wirtschaftsanwalt, telefonisch Informationen über ein Untersuchungsverfahren gegen seine Person zukommen lassen.

Im vergangenen Jahr wurde der Präsident der Paraplegiker-Stiftung, Nationalrat Guido Zäch, in erster Instanz zu zwei Jahren bedingt verurteilt wegen Veruntreuung von Stiftungsgeldern. Nach dem Urteil ist Zäch als Nationalrat zurückgetreten.

Schlagzeilen machte auch ein Fall eines Kantonspolitikers: 2001 wurde der Bündner Regierungsrat Peter Aliesch wegen Amtsmissbrauchs, Begünstigung und passiver Korruption angeklagt. Aliesch wurde schliesslich entlastet, aber seine politische Karriere war zerstört.

Und dann gibt es noch einen weiteren Tessiner Fall. Der SVP-Kantonsparlamentarier Roger Etter, ein Waffennarr, schoss einen Kollegen in den Kopf. Hinter dem Vorfall standen wirtschaftliche Schwierigkeiten. Etter musste zurücktreten.

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