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Recht schaffen im Wilden Osten

LARC hofft, die Bauern über ihre Rechte zu informieren. swissinfo.ch

In der Sowjetzeit gab es keine unabhängige Justiz. Und danach griffen die Mächtigen auch mal zu Mafia-Methoden. Die Land-Privatisierung verlief gelegentlich alles andere als korrekt.

Anwälte unterstützen Bauern mit Schweizer Hilfe, Recht zu bekommen.

“Der stellvertretende Gemeinde-Chef verlangte die Hälfte meines Landes. Eines Abends kamen seine betrunkenen Kollegen zu meinem Haus. Sie drohten, mein ganzes Land zu besetzen”, erinnert sich Tapaiev Amarvek.

Ursprünglich waren ihm bei der Landprivatisierung für seine Pferdezucht dreissig Hektaren Land zugesprochen worden. Doch bald begannen eben die Probleme. “Die Miliz wollte mir nicht helfen, die Gerichte wiesen mich ab. Dann hörte ich vom LARC.”

“Legal Assistance to Rural Citizens” (LARC) ist ein Programm, das die Landbevölkerung bei Rechtsproblemen unterstützt. Ziel ist die Verbreitung eines allgemeinen Rechtsverständnisses, die Stärkung der Rechtssprechung und damit ein Beitrag zur transparenten, verlässlichen Regierungsführung (Good Governance).

Finanziert wird das Jahres-Budget von 850’000 Franken durch die Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) und das US-amerikanische Hilfswerk USAID. Vor Ort wird es von der Schweizer NGO Helvetas umgesetzt.

Präzedenzfälle vor Gericht

Seit Projektbeginn vor drei Jahren wurden im ganzen Land 21 LARC-Büros mit je zwei bis drei Anwälten aufgebaut. Einer davon ist Kachynbaev Nadyrbek, der Leiter des LARC-Büros in Jalal Abad im Süden Kirgistans. Er kennt solche Fälle wie die angedrohte Landbesetzung zur Genüge.

“Die Privatisierung brachte viele Probleme mit sich und nicht alle wurden im neuen Gesetz geregelt”, sagt er. “Darum schaffen wir Präzedenzfälle, an die sich alle halten müssen.” Regelmässig tauschen sich die LARC-Büros untereinander aus. So gelten Fälle aus den Regionen im ganzen Land.

Das Wichtigste sei die Information der Bevölkerung, sagt der Anwalt. Viele Menschen auf dem Lande kennten ihre Rechte nicht oder nur mangelhaft. Auch die offiziellen Stellen seien nicht immer sicher, was gelte. Und sie griffen gelegentlich auch zu illegalen Mitteln, um ihre Ansprüche durchzusetzen.

Das bestätigt Nishanbaev Gairat, Gemeinde-Chef von Bazar-Korgon, wo 30’000 Menschen leben. “Um Leute davon abzuhalten, Äcker zu bebauen, die ihnen nicht gehören, liess ich früher das Land auch mal kurzerhand konfiszieren. Das ist aber illegal”, bekennt er freimütig. “Jetzt mache ich das nicht mehr, sondern gehe vor Gericht.” Das LARC sei für ihn ebenso Ansprechpartner wie für Leute, die Ansprüche durchsetzen wollten.

Gairat betont auch, dass er als Behörden-Vertreter keine spezielle Beziehung zu den LARC-Anwälten habe. “Sie können ihre Arbeit nur machen, weil sie neutral sind.”

Rechtskultur keimt im Wilden Osten

Beispielsweise wurde unter Aufsicht der LARC-Anwälte ein System erarbeitet um Gemeinde-Land zu versteigern. “Interessenten müssen belegen, dass sie das Wissen haben das Land zu bewirtschaften und offen legen, ob sie unbezahlte Kredite haben”, erklärt Nadyrbek. Das entlastet auch den Gemeindepräsidenten: “Ich stehe nicht mehr unter Druck, meinen Verwandten zu bevorzugen und mit dem Erlös können wir Gemeinde-Sozial-Dienste aufrecht erhalten”, sagt er.

Dass sich langsam aber sicher eine Kultur des Rechtsverständnisses entwickelt, zeigt sich auch konkret an einem Ordner, den Nadyrbek präsentiert: “Das sind Formulare mit Standard-Verträgen, die wir herausgeben.” Geschäfte – beispielsweise zwischen Baumwoll-Bauern und einer Spinnerei – würden je länger je mehr mit einem schriftlichen Vertrag geregelt.

Ziel: selbsttragend arbeiten

Alle Beteiligten sind sich einig, dass die grössten Probleme der Land-Privatisierung unterdessen gelöst sind. Die Arbeit wird den Anwälten aber nicht ausgehen: Im Jahr 2003 betreuten die drei Anwälte im Büro Jalal Abad 439 Klienten, davon waren 109 Frauen. “Vermehrt befassen wir uns mit Pacht- und Erbangelegenheiten”, erklärt Nadyrbek.

Eine grosse Veränderung wird die Einführung von Gebühren. So soll das Projekt mittelfristig selbsttragend und damit nachhaltig werden. Für den Büro-Chef ist klar: “Das setzt uns selber auch unter Druck, gut zu arbeiten. Denn kein Bauer bezahlt für einen Service, der ihn nicht überzeugt.”

Überzeugt vom LARC und seiner Hilfe ist der Pferdezüchter Amarvek. “Nachdem sich die Anwälte meines Falles angenommen hatten, wurde alles besser und ich bekam all mein Land”, berichtet er. “Und eineinhalb Jahre später wurde der stellvertretende Gemeindechef abgesetzt.”

swissinfo, Philippe Kropf und Jacob Greber, Jalal Abad

Das Logo von LARC zeigt einen Mann – erkennbar am traditionellen kirgisischen Hut – der ein Gesetzbuch studiert.
Die Farben Schwarz und Weiss symbolisieren, dass es in Rechtsfragen keinen Graubereich gibt.

Die Agrarland-Privatisierung die 1996 begann, brachte viele Probleme und Rechtunsicherheiten mit sich.

Unterdessen sind das meiste Land und Teile der ehemaligen Kollektiv-Farmen legal verteilt.

Angestrebt werden jetzt eine Stärkung des Rechtssystem und die Entwicklung einer Rechts-Kultur.

Ein konkretes Beispiel für den Fortschritt, sind Vertragsabschlüsse in schriftlicher Form, die immer üblicher werden.

Das LARC-Projekt gibt dafür auch einen Ordner mit Standard-Verträgen heraus.

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