Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Regierung für Radikalkur bei Mehrwertsteuer

Will den Mehrwertsteuer-Radikalschnitt: Hans-Rudolf Merz. Keystone

Die Schweizer Regierung will bei der Mehrwertsteuer-Reform Nägel mit Köpfen machen: Sie will einen Einheitssatz von 6,1 % und fast alle der zahlreichen Ausnahmen abschaffen.

Der neue Einheitssatz soll die heutigen drei Sätze (7,6%, 3,6%, 2,4%) ersetzen und auch das Gesundheitswesen erfassen. Das Reformprojekt dürfte in Politik und Gesellschaft für heisse Köpfe sorgen.

“Diese Reform ist zweifellos kühn”, sagte Merz bei der Vorstellung der Botschaft. Der Finanzminister ist sich bewusst, dass er mit viel Widerstand rechnen muss. “Aber ich werde für die Vorlage kämpfen.”

Nach kontroversem Echo in der Vernehmlassung wählte die Schweizer Regierung die von Merz favorisierte Radikalvariante.

Die Reform soll dem Parlament im Sommer in zwei Teilen vorgelegt werden: Der weniger umstrittene erste Teil umfasst eine Totalrevision des Gesetzes mit Vereinfachungen in 50 Punkten. Im zweiten Teil sind der Einheitssatz und die Abschaffung der Ausnahmen verankert.

Der Einheitssatz von 6,1% soll frühestens 2012 die heutigen drei Sätze ablösen. Stimmen das Parlament und dann 2010 oder 2011 auch Volk und Stände zu, wäre dies “eine Pioniertat”, sagte Merz. Die Schweiz hätte dann die einfachste und weitaus tiefste Mehrwertsteuer (Mwst) in Europa.

Auch das Gesundheitswesen

Um die leidigen Abgrenzungsprobleme zu beseitigen und die Basis der Steuer zu erweitern, will der Bundesrat 20 der 25 Ausnahmen aufheben. Gegen starken Widerstand beschloss er dies auch für den Gesundheits- und Sozialbereich, wo die Schattensteuer (taxe occulte) besonders stört. Hier werden zu den bisherigen 5000 weitere 22’000 bis 23’000 Unternehmen steuerpflichtig.

Auch ehrenamtlich geführte Vereine (beispielsweise im Sport) und gemeinnützige Institutionen sollen von der Steuer nicht mehr ausgenommen sein.

Der Bundesrat sieht aber vor, die Umsatzgrenze für die Steuerpflicht auf über 250’000 Franken zu erhöhen, so dass die Zahl der Abrechnungspflichtigen kaum steigen wird.

Sozialpolitisches Korrektiv

Die Besteuerung von Spital-, Arzt- und andern Leistungen des Gesundheitswesens führt zu einem einmaligen Teuerungsschub von 2,5% bei den Krankenkassenprämien.

Um die Mehrbelastung der 40% schwächsten Haushalte via Prämienverbilligung zu kompensieren, wurde der Einheitssatz statt auf 6,0 auf 6,1% fixiert.

Dieses umstrittene Korrektiv sei rein politisch bedingt, führte Merz weiter aus. Insgesamt werde der durchschnittliche Haushalt durch die Reform nur um monatlich 6.30 Franken belastet – “den Preis von zwei Café crème”. Dem stehe dank des zusätzlichen Wirtschaftswachstums ein Einkommenszuwachs zwischen 100 und 700 Franken pro Jahr gegenüber.

Haushaltneutral

Für den Bund ist die Reform praktisch haushaltsneutral. Weil mit der Neuunterstellung von rund 30’000 Unternehmen nachträgliche Ansprüche auf Vorsteuerabzug entstehen, muss der Bundeshaushalt allerdings einmalig 1,7 Mrd. Franken bezahlen. Laut Regierung wird der langfristige Wachstumseffekt von 0,3 bis 0,8% des Bruttoinland-Produktes (BIP) auch dies ausgleichen.

Den über 300’000 steuerpflichtigen Unternehmen ermöglicht die Reform Kostensenkungen um 20 bis 30%. Dazu trägt wesentlich die Totalrevision des Mwst-Gesetzes bei. Sie umfasst 50 Massnahmen, die administrative Entlastungen, mehr “Kundenfreundlichkeit” und mehr Effizienz, aber auch mehr Rechtssicherheit bringen sollen.

Kontroverse Reaktionen

Während der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse sich über Erleichterungen freut, sind die Schweizer Detailhändler enttäuscht. Mit dem Einheitssatz werde der Detailhandel mit jährlich 950 Mio. Franken zusätzlich belastet.

In den Hotels würden die Zimmerpreise mit einem Einheitssatz von 6,1% höher, sagte Christoph Juen, CEO des Branchenverbandes hotelleriesuisse. Mit einem Einheitssatz bis 5,5% ohne Ausnahme und versteckte Steuererhöhung habe sich hotelleriesuisse schon vor zwei Jahren einverstanden erklärt.

Nicht zufrieden sind auch die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP), die Schweizerische Volkspartei (SVP) und die Sozialdemokraten (SP).

swissinfo und Agenturen

Die Mehrwertsteuer (Mwst) wurde in der Schweiz 1995 als Nachfolgerin der Warenumsatzsteuer eingeführt. Das heutige System kennt drei verschiedene Steuersätze.

Güter des täglichen Bedarfs wie Esswaren, alkoholfreie Getränke, Medikamente, Getreide, Vieh, Blumen, Futter- und Düngemittel, Zeitungen, Bücher, Radio und TV werden mit 2,4% belastet.

Die Hotellerie profitiert bei Übernachtung und Morgenessen von einem Sondersatz von 3,6%.

Der Normalsatz beträgt 7,6%.

Banken, Versicherungen, Spitäler und die landwirtschaftliche Produktion sind von der Mehrwertsteuer befreit.

Insgesamt gibt es einen Katalog mit 25 Ausnahmeregelungen.

2006 flossen 19 Mrd. Franken an Mehrwertsteuer-Geldern in die Bundeskasse.

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft