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Roboter hilft Rückenmark-Verletzten auf die Beine

Der Lokomat gibt Teil-Gelähmten das Gefühl des Gehens wieder zurück. swissinfo.ch

Eine Schweizer Erfindung hilft teilweise gelähmten Patienten und Opfern von Schlaganfällen in der ganzen Welt wieder auf die Beine.

Der Lokomat-Gehroboter wurde von der Firma Hocoma entwickelt und an der Universitätsklinik Balgrist in Zürich getestet.

Der Lokomat ist das Kind von Elektronik-Ingenieur und Firmengründer Gery Colombo, der für seine Erfindung gleich mit zwei prestigeträchtigen Schweizer Industriepreisen ausgezeichnet wurde.

Bereits 2001 hatte er den Preis der De Vigier Stiftung erhalten, und 2004 erkor die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungs-Firma Ernst & Young Colombo zum Geschäftsmann des Jahres in der Kategorie der Start-up.

Der Hi-Tech-Roboter umfasst die Patienten behutsam und hilft ihnen, trotz ihrer Behinderung aufrecht auf einem Laufband zu gehen.

Wie am Fallschirm

Die Patienten werden mit einer Seilwinde aus dem Rollstuhl gehievt und an fallschirmähnlichen Riemen befestigt.

Eine Stütze stabilisiert die Hüften, die Beine sind mit Klettbändern am Apparat festgemacht und ein durch Computer gesteuertes System von Gewichten bietet den nötigen Widerstand.

Optische Sensoren unterstützen den Therapeuten bei der Überwachung des Trainings; zunehmender Widerstand wird grafisch auf einem Monitor dargestellt.

Ein Schritt vorwärts

Vor der Lancierung des Lokomat im Jahr 2001 waren für das Training auf dem Laufband zwei Therapeuten nötig. Diese brauchten zudem viel Kraft, um die Patienten zu stützen und gleichzeitig deren Beine von Hand zu führen.

Colombo wusste um die Grenzen des manuellen Betriebs, als er vor elf Jahren mit seiner Forschung für den Lokomat begann. “So kam ich auf die Idee, eine Maschine zu bauen, die das besser kann”, sagt er gegenüber swissinfo.

An der Abteilung für Physiotherapie der Universität von Illinois in den USA ist der Lokomat seit zweieinhalb Jahren im Einsatz.

George Hornby, der Leiter der Physiotherapie, sagt gegenüber swissinfo, der Roboter habe die Arbeit mit rückenmarkgeschädigten Patienten grundlegend verändert.

Zwar gebe es auch Nachteile. “Die Patienten haben die Tendenz, sich allzu sehr zu entspannen.”

Doch Hornby ist zuversichtlich: “Ich denke, die nächste Generation von Lokomats mit anpassungsfähigen Kontrollen wird dem viel besser Rechnung tragen. Die Maschine wird selbsttätig auf die Patienten auf dem Laufband reagieren und den Widerstand nach Bedarf vergrössern oder verkleinern.”

Freude an der Bewegung

Auf Besserung hoffen können allerdings nur Patienten, die nicht komplett gelähmt sind. Unterstütztes Gehen sendet Signale an das zentrale Nervensystem und lehrt die intakten Teile des Gehirns, diese neu zu interpretieren.

Unfallopfer Petra Dokladal ist 29 und von der Hüfte abwärts gelähmt. Obschon sie keine Aussicht auf vollständige Heilung hat, trainiert sie regelmässig mit dem Lokomat.

“Das Training verbessert meinen Stoffwechsel und macht mich angenehm müde. Und es stellt mich auf, mir im Spiegel beim Gehen zuzuschauen”, sagt sie.

Harziger Start

Als Colombo seine Gehroboter-Pläne bekannt machte, glaubten die Risikokapital-Anleger nicht an seinen Erfolg. Mit finanzieller Unterstützung von privater Seite gelang es ihm 1996 dennoch, seine Firma Hocoma zu gründen. Viereinhalb Jahre später stand der erste Prototyp in Betrieb.

Die meisten Spitäler waren sich nicht gewohnt, viel Geld in Physiotherapie-Anlagen zu investieren. Colombo musste seine zukünftigen Kunden erst davon überzeugen, dass Einsparungen beim Personal die anfänglichen Auslagen mehr als nur wettmachen würden, da der Betrieb der Maschine nur einen Therapeuten erfordert.

Seit 2003 bewegt sich die Hocoma in den schwarzen Zahlen, nicht zuletzt dank einem Forschungsbeitrag von der KTI/CTI Förderagentur für Innovation des Bundesamtes für Berufsbildung und Technologie (BBT).

Laufend Verbesserungen

Ähnliche Roboter werden mittlerweile auch in Deutschland und in den USA entwickelt, doch Hocoma versucht, sich durch die Verbesserung der Bewertungstechnik des Lokomat weiter an der Spitze des Feldes zu behaupten.

Im Gegensatz zu seinen Konkurrenten kann der Schweizer Roboter feststellen, in welchem Mass der Patient sich aktiv am Training beteiligt; das erlaubt ihm, die Trainingsstrategie zu optimieren.

Inzwischen hat die Firma ein neues Produkt namens ERIGO lanciert, das die Patienten auf einem Neigetisch in eine senkrechte Lage bringt und dabei gleichzeitig deren Beine bewegt. Damit werden die gleichen Sekundärwirkungen erzielt wie beim Lokomat – kardiovaskuläre Stimulation und die Verhinderung von Muskel- und Gelenkschäden –, allerdings kostengünstiger und mit weniger Kraftaufwand.

Der erste Test von ERIGO wurde mit einem Koma-Patienten durchgeführt, der damals auf Stimulation von aussen keinerlei Reaktion zeigte. Nach drei Wochen regelmässigen Trainings auf ERIGO konnte der Patient nach Angaben von Hocoma seine Kopfbewegungen kontrollieren, war bedeutend aufmerksamer und hatte begonnen, auf die Interventionen des Therapeuten zu reagieren.

Bei der Lancierung von ERIGO an einer Konferenz von Neurologen im Oktober war die Nachfrage überwältigend. Nach Angaben der Firma stehen interessierte Kunden Schlange.

swissinfo, Julie Hunt
(Übertragung aus dem Englischen: Dieter Kuhn)

Ein Lokomat-Gehroboter kostet 200’000 bis 300’000 Franken.

Der Einsatz des Roboters stimuliert das Herz, verbessert den Metabolismus und hilft, Muskel- und Gelenk-Schäden zu senken.

Seit der Markteinführung 2001 hat sich der Absatz des Roboters Jahr für Jahr verdoppelt.

Insgesamt wurden bisher 40 der Geräte an Spitäler in Europa und Nordamerika verkauft.

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