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Scheidungs-Geiseln

Elisabeth Malash in ihrem Zimmer in der Schweizer Botschaft in Kairo. Im Hintergrund ihre Kinder bei den Aufgaben. Keystone

In Kairo leben drei Kinder und ihre Mutter seit zwei Monaten abgeschirmt in der Schweizer Botschaft.

In Ägypten spielt sich zur Zeit eines jener Scheidungsdramen ab, wie sie vor allem binationale Paare durchleben. Jedes Jahr werden mehrere Dutzend Schweizer Kinder von einem Elternteil entführt.

“Einige tun diesen Schritt, wenn sie keine andere Möglichkeit mehr sehen, um ihre Kinder bei sich zu haben”, führt Evelyne Thönnissen vom Service Social International aus, einer NGO mit Sitz in Genf, die in über 120 Ländern aktiv ist.

“Aber”, so Thönnissen weiter, “es ist auch ein Mittel, um den Expartner oder die Expartnerin unter Druck zu setzen. Das Tragische daran ist, dass für Eltern, die so handeln, nicht das Interesse der Kinder im Vordergrund steht. Denn die sind nach solchen Konflikten im Allgemeinen traumatisiert.”

Zwei Monate hinter verschlossenen Türen

So wie Noura (11 Jahre alt), Tarek (14) und Khaled (15), die drei Kinder der Schweizerin Elisabeth und ihres ägyptischen Ehemannes Fawzy Malash.

Sie können nicht ausgehen, haben keinen oder wenig Besuch. Ihr Lebensraum beschränkt sich auf den Garten der Schweizer Botschaft in Kairo. Da der Platz fehlt, leben sie in einem einzigen Zimmer von rund 10 Quadratmetern Grösse.

Ein Telefon und ein Internetanschluss sind ihr einziger Kontakt mit der Aussenwelt. Seit zwei Monaten sind sie nun so abgeschirmt. Und es wird langsam zu einem Albtraum.

Gegenseitige Anschuldigungen

Wie kam es dazu? Die Mutter, Schweizer Bürgerin, will das Sorgerecht für ihre Kinder behalten, das ihr in einem Gerichtsurteil in ihrem Land zugesprochen wurde. Und Elisabeth beschuldigt ihren Exmann, die Kinder entführt zu haben, als er nach Ägypten zurückkehrte.

Fawzy Malash wirft seiner Exfrau seinerseits Entführung vor. Und er fordert, seine Kinder in Kairo erziehen zu können. Dieses Recht steht ihm nach ägyptischem Gesetz zu.

Doch scheint sich trotz der Vermittlungsversuche von Schweizer wie von ägyptischer Seite kein Ausweg abzuzeichnen. Diese Pattsituation beunruhigt Bern.

Eine Psychologe vor Ort

Das Schweizer Aussenministerium einen Psychologen nach Kairo geschickt. Dieser soll der Mutter und ihren Kindern helfen, mit ihrem Leidensweg so gut wie möglich fertig zu werden. Das ist alles, was die Botschaft tun kann.

Laut Evelyne Thönnissen zeigt dieses neue Drama einmal mehr die besonderen und grossen Schwierigkeiten, auf welche binationale Paare stossen, wenn sie sich trennen oder scheiden lassen.

In diesen Fällen müssen die Expartner nicht nur den Schmerz überwinden, durch den die meisten geschiedenen Paare gehen, sondern auch noch die geografische Distanz.

Das Haager Übereinkommen

Dazu kommt ein kultureller und rechtlicher Graben, wie der Fall der in Kairo eingeschlossenen Familie zeigt. Das ägyptische Recht spricht die elterliche Gewalt meist dem Vater zu, während in der Schweiz die Gerichte im Allgemeinen zugunsten der Mutter entscheiden.

Ausserdem hat Ägypten, wie alle arabischen Staaten, das Haager Übereinkommen über die zivilen Aspekte der internationalen Kindsentführungen nicht unterzeichnet. Das Übereinkommen aus dem Jahr 1980 ist von rund sechzig Staaten ratifiziert worden. Dank ihm hat die Justiz in Streitfällen das letzte Wort über das Sorgerecht oder das Besuchsrecht bei den Kindern.

Der gute Wille der Eltern

Ausserhalb der Justiz hängt das Schicksal der Kinder also allein vom guten Willen ihrer geschiedenen Eltern ab. Ein guter Wille, der sehr oft fehlt: Laut Thönnissen werden jedes Jahr zwischen 100 und 300 Kinder vom einen oder anderen Elternteil entführt.

Das Bundesamt für Justiz hat letzte Woche eine Statistik veröffentlicht, aus der hervorgeht, dass im vergangenen Jahr 108 formelle Gesuche wegen Entführungen durch einen Elternteil gestellt wurden.

Die Zahl ist tiefer als jene, die der Service Social International angibt. Sie betrifft allerdings nur Bürgerinnen und Bürger von Staaten, welche das Haager Übereinkommen ratifiziert haben.

Frédéric Burnand in Genf
Übertragen aus dem Französischen von Charlotte Egger

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