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Schockierende Arbeitsbedingungen in der Schweizer Landwirtschaft

un dortoir pour les ouvriers agricoles
RTS

Um Saisonspitzen abzudecken, greifen manche Schweizer Bauernbetriebe auf ausländische Arbeitskräfte zurück – die unter miserablen Bedingungen beschäftigt und untergebracht werden. Diese Arbeiter:innen sind oft unsichtbar, auch wenn sie seit vielen Jahren in der Schweiz tätig sind.

Sie sind ein unsichtbares, aber wichtiges Glied in der Schweizer Landwirtschaft: die ausländischen Arbeitskräfte, die oft von weit herkommen, um in der Hochsaison auf den Feldern und in den Obstplantagen zu arbeiten. Ihre Arbeitsbedingungen sind zum Teil schockierend.

“Es gibt Chefs, die zahlen zwölf Franken pro Stunde, andere 13, 14 oder 15”, erzählt ein Arbeiter, der aus Guinea-Bissau ins Wallis gekommen ist, anonym in der Sendung A Bon Entendeur des französischsprachigen Schweizer Radios und Fernsehens (RTS). “Es gibt viele Chefs, die weniger als 14 Franken pro Stunde zahlen.”

>> Die ganze Sendung A bon entendeur von RTS (auf Französisch):

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“Keine Rechtfertigung”

Mehrere dieser Arbeiter:innen berichten, dass sie 2500 Franken im Monat verdienen, bei einer Arbeitszeit von rund 50 Stunden pro Woche. “Manchmal müssen sie 14 Stunden am Stück arbeiten, und dann kann es sein, dass sie an einem Regentag ohne Arbeit sind und somit keinen Lohn erhalten”, sagt Manuel Leite, ein ehemaliger Gewerkschafter, der sich für diese besonders vulnerable Bevölkerungsgruppe einsetzt.

“Im Allgemeinen sind unsere Arbeitsbedingungen in der Schweiz viel besser als das, was man hört”, entgegnet hingegen Jimmy Mariéthoz, Direktor vom Schweizer Obstverband.

Aus dem Archiv von SRF (Kassensturz vom 16.05.2017):

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Der Schweizerische Bauernverband empfiehlt für diese Kategorie von Arbeiter:innen einen Monatslohn von 3320 Franken. Mariéthoz meint daher: “Die Arbeitsbedingungen sind relativ gut, vor allem was die Löhne angeht, verglichen mit dem, was sie für die gleiche Arbeit in ihrem Land verdienen würden.”

Laut Mariéthoz gibt es keine Rechtfertigung für diejenigen, die diese Mindestlöhne nicht zahlen können.

Der Stundenlohn von Arbeiter:innen in der Landwirtschaft variiert stark von einem Kanton zum anderen. Im Wallis legt der Normalarbeitsvertrag die Arbeitsstunde für ungelernte und unerfahrene Arbeitskräfte auf 13,90 Franken brutto fest. Wenn beide Parteien damit einverstanden sind, ist es jedoch legal, die Arbeit niedriger zu entlohnen.

In der Westschweiz ist der Stundensatz in Genf mit 17,10 Franken pro Stunde am höchsten. Dieses Niveau liegt jedoch weit unter dem Mindestlohn, der in diesem Kanton für alle anderen Branchen gilt und 23,27 Franken pro Stunde beträgt.

Zu teurer Wohnraum

Zu den niedrigen Löhnen kommt noch dazu, dass die Unterkünfte dafür oft sehr teuer sind. Der Arbeiter Aurélien Rolaz erzählt, dass er in Gilly, oberhalb von Rolle (VD), 330 Franken pro Monat für ein Bett in einem Zimmer mit vier weiteren Betten und einer Gemeinschaftsküche bezahlt. Der Winzer, für den er arbeitet, findet hingegen, dass seine Arbeitskräfte gut untergebracht sind.

In der Tat ist die Situation in vielen Fällen noch schlimmer. “Ich zahle 400 Franken für ein Baustellenbett in einem Zimmer, das ich mit einem anderen teile”, erzählt ein Saisonarbeiter, der im Wallis tätig ist.

“Auch die Wohnsituation ist prekär”, bestätigt Manuel Leite. Jeder bezahle praktisch den Preis für das ganze Zimmer, auch wenn mehrere Personen darin lebten. “Der Vermieter kassiert also drei- bis viermal mehr Miete, als er sollte.”

Grosse Detailhändler werden angeprangert

Konfrontiert mit den Vorwürfen, weist Staatsrat Christophe Darbellay die Verantwortung den grossen Einzelhandelsketten zu. Diese würden die Preise zu stark drücken. “Es ist klar, dass uns das als Menschen und vor allem als Konsumierende beschäftigen muss”, so der Vorsteher des Wirtschaftsdepartements.

Es gebe eine starke Konkurrenz durch niedrige Preise im Ausland. “Dazu kommt, dass die Grossverteiler bei Früchten und Gemüse praktisch zwei Drittel der Marge selbst einstreichen.” Dafür, dass sie lediglich die Waren für den Verkauf in eine Auslage stellten, sei das sehr gut bezahlt.

Adaptiert aus dem Französischen: Sibilla Bondolfi

Sibilla Bondolfi

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