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Schweiz bleibt für Deutsche Auswanderungziel Nr. 1

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Die Schweiz bleibt für Deutsche das beliebteste Auswanderungsland: Im letzten Jahr wuchs die Gemeinde der nördlichen Nachbarn um knapp 10% auf über 172'000 Personen.

Künftig werden deutsche Fachkräfte und Spezialisten aber vermehrt im eigenen Land gebraucht: Die deutsche Wirtschaft wächst, die Arbeitslosenzahl sinkt.

“Deutsche kehren der Schweiz den Rücken”, titelte jüngst ein Schweizer Gratisblatt. Wie bitte? Da avancierte die Schweiz 2005 zum beliebtesten Auswanderungsland der nördlichen Nachbarn, und jetzt sollen sie bereits wieder auf dem Rückzug sein?

Fehlanzeige, wie ein Blick in die Tabellen des Bundesamtes für Migration (BFM) ergibt. In der Schweiz leben und arbeiten so viele Deutsche wie nie zuvor. Ende letzten Jahres waren es 172’580, 15’000 mehr als im Jahr zuvor.

Die gut ausgebildeten Facharbeiter und hochqualifizierten Spezialisten tragen zur Steigerung des Schweizer Bruttosozialprodukts bei. Dieses wird im laufenden Jahr um 2,8% wachsen, wie die Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH Zürich Ende letzter Woche bekanntgab.

Sog abgebremst

“Nach wie vor wandern sehr viele Deutsche in die Schweiz ein, auch weil sehr viele Arbeitsstellen geschaffen werden”, bestätigt Serge Gaillard, Direktor für Arbeit im Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) gegenüber swissinfo.

Weil die deutsche Wirtschaft allmählich an Fahrt gewinnt, könnte die nachbarliche Wanderschaft über die deutsch-schweizerische Grenze jedoch abflauen. Mit der konjunkturellen Besserung seien die Perspektiven auf dem dortigen Arbeitsmarkt deutlich besser geworden, sagt Gaillard. Dies gelte insbesondere für den Westen Deutschlands.

Er rechnet deshalb bei deutschen Unternehmen mit einer “sehr starken Zunahme” der Nachfrage nach Arbeitskräften. “Deshalb wird es weniger attraktiv, auszuwandern”, so der oberste Hüter über den Schweizer Arbeitsmarkt.

Exodus allgemein rückläufig

Gaillards Annahme wird durch die Zahlen der deutschen Bundesagentur für Arbeit gestützt. Hatte die Behörde im letzten Jahr 3466 Deutsche in die Schweiz vermittelt, waren es im ersten Halbjahr 2007 noch 934.

“Der Rückgang hat mit der Schweiz nichts zu tun, er betrifft alle Länder”, relativiert eine Sprecherin der Zentrale für Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) in Bonn. Der Grund: die aufgehellten Wirtschafts- und Arbeitsmarktdaten im eigenen Land.

Dazu zwei Zahlen: In deutschen Unternehmen sind momentan 1,5 Mio. Stellen unbesetzt. Gleichzeitig fiel die Arbeitslosigkeit mit 8,4% auf den tiefsten Stand seit 12 Jahren.

Trotz des zunehmenden deutschen Eigenbedarfs sieht Serge Gaillard die Schweiz nicht auf dem Weg zur Arbeitdestination zweiter Wahl. “Sie ist als Wohn- und Arbeitsort sehr attraktiv, was die starke Einwanderung belegt.” Die hohen Lebenshaltungskosten seien zwar ein Nachteil, der SECO-Direktor macht aber in den letzten Jahren einige Verbesserungen aus.

Auch am Schweizer Konjunktur-Himmel sieht Gaillard keine dunklen Wolken aufziehen. Im Gegensatz zu früheren Hochkonjunktur-Phasen sei der Mangel an Fachkräften diesmal nicht so ausgeprägt. “Das zeigt, dass die Personenfreizügigkeit das Potenzial an qualifiziertem Personal stark vergrössert hat”, bilanziert er.

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Angstmacher-Propaganda widerlegt

Den freien Personenverkehr machen sich in erster Linie Arbeitskräfte aus den alten Mitgliedstaaten zunutze. Für die neuen EU-Länder aus Osteuropa sind die Arbeitsplätze in der Schweiz noch begrenzt. Und offenbar nicht sehr gefragt: Die Kontingente waren Ende Juni bei den Daueraufenthaltern nur zur Hälfte ausgeschöpft, bei den Kurzaufenthaltern immerhin zu drei Vierteln.

Die Zahlen sagen noch etwas anderes: Die “Überschwemmung” der Schweiz mit “billigen Ostarbeitern” hat es nicht gegeben. Die politische Rechte hatte 2005 genau mit solchen Bildern die Einführung des freien Personenverkehrs mit den neuen EU-Staaten bekämpft.

Lohndumping von oben

Die Gewerkschaften ihrerseits befürworteten die Personenfreizügigkeit, nachdem ein Paket flankierender Massnahmen gegen Lohn- und Sozialdumping in die Vorlage aufgenommen worden war.

Die Gesetzesparagraphen zeigen aber noch zu wenig Wirkung: Fast ein Viertel der in der Schweiz kontrollierten Bauunternehmen mit Gesamtarbeitsvertrag verstiessen gegen die Arbeitsbedingungen, wie ein Bericht zur Umsetzung der flankierenden Massnahmen von letzter Woche zeigte.

swissinfo, Renat Künzi

Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO): 2,6%; 1,9%

Schweizerische Nationalbank (SNB): 2,5%; 2,5%

Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF): 2,8%; 1,9%

BAK Basel Economics: 2,7%; 2,3%

Credit Suisse: 2,5%; 1,9%

UBS: 2,6%; 2,3%

Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD): 2,1%, 2,2%

Die Schweizer Stimmbürger sagten 2005 Ja zur Personenfreizügigkeit mit den neuen EU-Ländern.

Zum Schutz des Schweizer Arbeitsmarktes wurde eine schrittweise Öffung des Personenverkehrs vereinbart.

Daueraufenthalter (5 Jahre): Das Kontingent steigt schrittweise von 1700 (2006/2007) auf 3000 Personen (2010/2011).

Kurzaufenthalter (zwischen 4 und 12 Monaten): Das Kontingent steigt schrittweise von 15’800 (2006/2007) auf 29’000Personen (2010/2011).

Ausländische Arbeitskräfte dürfen nur einreisen, wenn sie einen Vertrag mit einem Schweizer Arbeitgeber besitzen.

Ab Ende April 2011 herrscht uneingeschränkter Personenverkehr.

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