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Schweiz lockt Trauernde mit Liberalität

Auch auf der Alp Spielmannda in den Freiburger Vor-Alpen sind Naturbestattungen möglich. RDB

Manche Deutsche reisen offenbar auch tot gern in die Schweiz. Damit wenden sie sich gegen die deutsche Vorschrift, dass Verstorbene auf einem Friedhof beigesetzt werden müssen.

Für die rund 600 Bestattungsunternehmen in der Schweiz und einige deutsche entwickelt sich dies zu einem lukrativen Geschäft.

Allein der Düsseldorfer Bestattungsunternehmer Dietmar Kapelle wird in diesem Jahr mehrere hundert eingeäscherte Landsleute zur letzten Ruhe auf seine Bergwiese im Wallis in der Schweiz bringen.

Auch seine 600 Schweizer Branchenkollegen haben immer wieder Kunden aus dem Nachbarland, wie Ursula Stalder vom Schweizer Verband der Bestattungsdienste berichtet. Der Grund: In der Schweiz kann man, wenn schon nicht dem Tod, so doch wenigstens dem Friedhof entgehen.

Kremation Voraussetzung

Voraussetzung ist, dass man sich verbrennen lässt. “In der Schweiz gilt die Verbrennung bereits als Bestattung”, erklärt Ursula Stalder. Danach können die Angehörigen die Urne mitnehmen und damit weitgehend machen, was sie wollen.

Sie können sie im eigenen Garten beisetzen oder im Haus aufbewahren, sie können die Asche in den Wind streuen, in einen See oder in einen Bach – was manchem tröstlicher scheint als Sarg und Grabstein. In Deutschland gilt dagegen selbst für eingeäscherte Tote in aller Regel die Friedhofspflicht. “Die Schweiz ist da schon ziemlich liberal”, so Stalder.

Zurück in die Natur dank Liberalität

Diese Liberalität wünschen sich offenbar auch viele Deutsche – so viele, dass der Düsseldorfer Dietmar Kapelle mit Ende 50 noch mal ins Pietäts-Gewerbe eingestiegen ist. Die Idee kam dem früheren Verkaufsleiter vor fünf Jahren, als er gerade an seinem Ferienhaus bei Sitten im Wallis Bäume setzte und sein Schweizer Nachbar ihm erzählte, dass er sich dereinst am eigenen Chalet beisetzen lassen werde.

“Ach, in der Schweiz geht so was?”, antwortete Kapelle. Ein paar Wochen später liess er seine “Oase der Ewigkeit GmbH” ins Firmenregister eintragen.

Inzwischen ruhen nach seinen Angaben um die 800 Männer und Frauen in 1450 Meter Höhe – dicht unter der Grasnarbe, die Bestatter Kapelle nur ein wenig anhebt, bevor er die sterblichen Überreste unter dem Grün dem Boden anvertraut: “Das ist wie Rollrasen.”

Manche lassen sich dazu noch einen Baum pflanzen, andere ziehen es vor, sich vom Bergbach in Richtung Mittelmeer davontragen oder vom Wind über die Alp verteilen zu lassen. “Die Angehörigen tun sich leichter mit dem Abschiednehmen, wenn sie sehen, dass die Asche in die Natur zurückgeht”, hat Kapelle beobachtet. Und angesichts der Dreitausender ringsum fühle man sich ohnehin der Ewigkeit näher.

Ohne grosse Verpflichtungen

“Viele wollen ihren Hinterbliebenen nicht die Verpflichtung zumuten, 15 oder 20 Jahre lang mit der Giesskanne auf den Friedhof zu rennen”, sagt Kapelle über seine Kunden. Zumal die Menschen immer mobiler würden und immer seltener in ihrem Geburtsort blieben: “Ich komme selbst aus Berlin. Das Grab meiner Eltern liegt 600 Kilometer entfernt.”

Die Bergwiese dagegen erspart den Angehörigen die Grabpflege und kostet weniger, als gemeinhin auf deutschen Friedhöfen zu zahlen ist. Die Urnen kommen mit der Post aus deutschen Krematorien, die letzten Kilometer bis zur Alp legen sie in Kapelles Kofferraum zurück.

Die einfache “Almwiesenbestattung” steht mit 510 Franken (322,80 Euro) auf der Preisliste, für 17 Franken (10,76 Euro)gibt es ein Edelweiss dazu, für die Teilnahme der Angehörigen wird ein Aufschlag von 170 Franken (107 Euro)fällig.

Deutlich teurer wird es, wenn die letzte Ruhestätte unter einem eingewachsenen Baum oder einem Felsen liegen soll.

Letzte Reise mit Retourbillett

Bisweilen wird für die letzte Reise auch eine Rückfahrkarte nach Deutschland gelöst. Denn manche von Kapelles Kunden wollen die Asche ihrer Verstorbenen lieber zu Hause haben als in den fernen Bergen. Ein deutscher Bestatter dürfte ihnen die Urne jedoch gar nicht erst aushändigen.

In der Schweiz geht das dagegen – zumindest vorläufig, damit sich die Angehörigen Zeit zur persönlichen Abschiednahme nehmen können, wie Kapelle erklärt.

Im Kanton Wallis sei es deshalb erforderlich, dass bei der Übergabe schon die spätere endgültige Ruhestätte reserviert sei. Das Freihalten und die spätere Bestattung sind vorab zu zahlen, so dass man den Davongegangenen für 430,40 Euro (680 Franken) wieder mit nach Hause nehmen kann – zur persönlichen und unbefristeten Abschiednahme.

Solche Umwege über das Ausland gibt es allerdings auch billiger. Einen davon nennt die Internetseite postmortal.de: Das holländische Krematorium Slangenburg händige ebenfalls die Asche von Verstorbenen an die Angehörigen aus – alles in allem für 202 Franken (128 Euro).

swissinfo, Wolfgang Harms, dpa

In der Kulturgeschichte gehört das Bestatten zu den ältesten Ritualen.

Friedhöfe gehören zu den ältesten bewusst gestalteten Orten.

Bis um 1800 gab es in Europa keine eigentlichen Friedhöfe. Normalsterbliche wurden in Massengräbern verscharrt.

Nur wenige reiche Leute wurden in einem Einzelgrab oder einer Familiengruft begraben.

Das Bestattungswesen in der Schweiz fällt in die Kompetenz der Gemeinden und Kantone.

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