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Schweiz will moderne Sklaverei bekämpfen

Opfer als Täterinnen: Bisher wurden illegal in der Schweiz anwesende Prostituierte rasch ausgeschafft. Keystone

In der Schweiz gibt es bis zu 3000 Opfer von Menschenhandel im Jahr. Die meisten von ihnen sind Frauen aus Osteuropa, die in der Prostitution landen.

Dies zeigt die erste Bilanz der Koordinationsstelle gegen Menschenhandel und Menschenschmuggel (KSMM) des Bundes.

“Menschenhandel und –schmuggel ist ein weltweites Problem, das auch die Schweiz betrifft”, sagte Daniel Höchli vom Bundesamt für Polizei gegenüber swissinfo. Die Schätzungen gingen von 1500 und 3000 Opfern im eigenen Land aus.

Mit der Koordinationsstelle gegen Menschenhandel und Menschenschmuggel (KSMM) will der Bund die beiden eng verknüpften Verbrechen wirksam bekämpfen. Die interdepartementale KSMM ist bereits seit Anfang Jahr aktiv und dem Bundesamt für Polizei angegliedert.

Frauen nicht mehr als Täterinnen betrachtet

Die Opfer sollen geschützt, die Täter bestraft werden, lautet die Devise. Die KSMM schafft die dazu nötigen Strukturen und Vernetzungen, indem sie die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen in den Bereichen Prävention, Strafverfolgung und Opferschutz koordiniert.

Damit strebt die Bundesstelle einen Paradigmenwechsel im Vorgehen gegen das so genannte Human Trafficking an. Bisher gingen die Kantone in den meisten Fällen lediglich gegen die Frauen vor. Diese wurden, falls aufgegriffen, als eigentliche Opfer zu Täterinnen gestempelt und ausgeschafft.

Die Drahtzieher im Hintergrund dagegen blieben meist unbehelligt und strichen die Profite ein. Verantwortlich dafür waren schnelle Rückweisungen der Opfer an den Grenzen sowie Ressourcenknappheit bei den Polizeien im Landesinnern.

Die Trafficking-Routen

“Die Frauen, die als Opfer von Menschenhändlern in die Schweiz gelangen, stammen vor allem aus der Ukraine, der Slowakei, Rumänien, den GUS-Staaten und den baltischen Staaten”, sagte KSMM-Geschäftsführer Stephan Libiszewski.

Neben transnationalen kriminellen Organisationen seien in der Schweiz auch kleinere, oft familiär oder ethnisch geprägte Gruppen in den Handel mit Menschen involviert.

Teufelskreis

“Das Problem liegt darin, dass die geschmuggelten Menschen bei den Schmugglern oft grosse Schulden haben. Diese können das ausnutzen, indem die Opfer verkauft oder zu Prostitution gezwungen werden, um die Schulden zurückzahlen zu können”, so Libiszewski gegenüber swissinfo.

Die Bekämpfung des Menschenschmuggels wird laut dem KSMM-Leiter auf gesetzlicher Ebene durch die eher niedrige Strafandrohung erschwert. Deshalb brauche es im neuen Ausländergesetz eine Erhöhung der Strafandrohung für den gewerbsmässigen Menschenschmuggel auf fünf Jahre.

Zudem soll der Menschenhandels-Paragraph des Strafgesetzbuches ausgeweitet werden. Neben dem Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung sollen neu auch die Zwangsarbeit und der Organhandel erfasst werden. Menschenhandel wird in der Schweiz mit bis zu 20 Jahren Zuchthaus bestraft.

Auch Freiwillige

Keine Zahlen sind dagegen bei den in die Schweiz geschleusten Menschen bekannt. Sicher ist laut KSMM lediglich, dass jährlich Tausende von Personen beim Versuch der illegalen Einreise in die Schweiz aufgegriffen werden.

Die Aufgriffe illegaler Migranten schwankten zwischen Höchstständen von 15’800 im Jahr 1998 und Tiefstständen um 5000 im Jahr 2001. Im vergangenen Jahr sei wieder ein starker Anstieg auf rund 7400 Fälle zu verzeichnen gewesen. In den Jahren 1998 bis 2001 konnte vor Gericht in nur rund einem Zwölftel der Fälle ein gewerbsmässiger Menschenschmuggel nachgewiesen werden.

Die Koordinationsstelle gegen Menschenhandel und Menschenschmuggel besteht aus Vertreterinnen und Vertretern des EJPD, des EDA, des EFD, des EDI, des EVD und der Kantone. Die von drei Mitarbeitenden betreute Geschäftsstelle der KSMM ist beim Bundesamt für Polizei angesiedelt.

swissinfo und Agenturen

Zwischen 1500 und 3000 Frauen werden schätzungsweise pro Jahr in der Schweiz Opfer von Menschenhandel.
Zur Anzeige gelangt nur ein Bruchteil. Im Jahre 2000 waren es 33 Fälle.
Insgesamt werden pro Jahr zwischen 120’000 und 500’00 Frauen, meist aus Osteuropa, nach Westeuropa “verkauft”.
Weltweit werden zwischen 700’000 und 2 Mio. Menschen Opfer von Menschenhandel.
International ist die die UNO-Organisation für Migration (IOM) seit einigen Jahren aktiv im Kampf gegen den Menschenhandel.

Das Geschäft mit der Ware Mensch blüht weltweit. Die Hauptrouten in den Westen Europas verlaufen quer durch den Balkan. Neben Bosnien-Herzegowina und dem Kosovo ist Mazedonien eine wichtige Drehscheibe geworden.

Die wirtschaftliche Not treibt immmer mehr Menschen im Osten Europas dazu, ihr Heil im Westen zu suchen. Für Frauen heisst das oft, dass sie mit Versprechen auf Arbeit in den Westen gelockt werden, dabei in die Fänge skrupelloser Händler geraten – und als Sex-Sklavinnen ausgebeutet in der Zwangsprostitution enden.

In der Schweiz sind es oftmals Frauen, die ursprünglich mit einem so genannten Artisten-Visum (Tänzerin in einem Nachtclub) ins Land kommen. Nach Ablauf der Bewilligung geraten diese Frauen häufig in die oben erwähnten Abhängigkeiten. Wenn sie ihre Peiniger anzeigen, riskieren sie, gleich abgeschoben zu werden.

Nun sind Bemühungen im Gange, zumindest die Abschiebe-Praxis zu lockern, um den Frauen eine Bedenkzeit zu geben, während derer sie sich mit der nötigen Unterstützung – etwa von Hilfsorganisationen – auf eine Aussage vor Gericht vorbereiten können.

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