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Schweizer Angst vor Deflation

Ein Preiszerfall führt zu höherer Arbeitslosigkeit - diese Deflationsgefahr sorgt die Ökonomen. swissinfo C Helmle

Die Wachstumsraten fallen und der Schweizer Franken steigt. Ökonomen sprechen wieder von einer echten Deflationsgefahr.

Ob die Schweiz in eine Deflations-Spirale gerät, ist umstritten. Dass ein solcher Preiszerfall schlimm wäre, darüber ist man sich einig.

“In der Schweiz besteht ein beträchtliches Deflationsrisiko. Diese könnte entweder durch einen Schock von aussen oder durch die Binnenwirtschaft ausgelöst werden”, schreibt Jean-Claude Manini, Analyst der Bank Lombard Odier Darier Hentsch & Cie in einem Bericht.

“Das Timing wäre schrecklich”, kommentiert Stephane Garelli von der Lausanner Business School IMD gegenüber swissinfo. “In den letzten zehn Jahren hatte die Schweiz nur einmal ein Wachstum von über drei Prozent, das war im Jahr 2000”, fügt er bei. “Wir haben bereits ein Wachstumsproblem – eine Deflation brauchen wir nicht auch noch.”

Flaute in Deutschland

Eine grosse Sorge ist, dass die kränkelnde Wirtschaft Deutschlands, dem wichtigsten Exportland der Schweiz, und der überbewertete Schweizer Franken die ohnehin geringe Wachstumsrate des Landes in einen negativen Trend umwandeln könnten.

Beide Faktoren haben dazu geführt, dass das Schweizer Wirtschaftsministerium letzten Monat die Wachstumsprognose 2003 für die Schweiz auf null zurückstufte.

Die Gefahr der Arbeitslosigkeit

Seit der grossen Depression Ende der 20er- und Anfangs der 30er-Jahre, als fallende Preise Firmen zwangen, Millionen von Arbeitskräften zu entlassen, wird in der Wirtschaftstheorie Deflation mit wachsender Arbeitslosigkeit verbunden.

Garelli weist darauf hin, dass die Unternehmen, wenn die Preise während einer Deflationsperiode fallen, keine andere Wahl haben, als die Kosten zu senken.

“Und die einzige Möglichkeit ist ein Lohnabbau oder die Entlassung von Angestellten”, erklärt er.

Wenn dazu noch ein hohes Schuldenniveau kommt, kann dieser Effekt beschleunigt werden. So wie sich die Schulden bei einer Inflation langsam verringern, steigen sie bei einer Deflation.

“Wenn das Einkommen sinkt, wird der Schuldendienst viel schwieriger”, so Garelli.

Euro wichtiger als Dollar

Zwar konzentriert sich die gegenwärtige weltweite Diskussion über das Deflationsrisiko auf Deutschland, die USA und Japan, wo sie bereits im Gang ist. Doch auch die Schweiz ist anfällig.

Die grösste Gefahr ist der Schweizer Franken, der laut Manini klar überbewertet ist.

Weil die Schweizer Wirtschaft so stark von der weltweiten wirtschaftlichen Situation abhängt und wenig Einflussmöglichkeiten hat, bleiben die Bewegungen des Euro für die Schweiz entscheidend: Wenn der Franken gegenüber dem Euro steigt, haben Schweizer Firmen Mühe, in die wichtigsten europäischen Märkte zu exportieren.

“Unsere Politik richtet sich auf jeden Fall nach dem Wechselkurs des Euro, nicht des Dollars”, bemerkt Garelli.

Export ohne Aussicht auf Besserung

Obwohl die Schweiz seit längerem an bescheidene Wachstumsraten gewöhnt ist, ist die wirtschaftliche Lage laut Garelli heute wegen der internationalen Trends der letzten 15 Jahre besonders prekär.

“Deflation gibt es bereits bei PCs, in der Telekommunikation, der Autoindustrie und überall dort, wo Produkte für eine internationale Kundschaft produziert werden.”

Einer der Vorteile der Globalisierung ist, dass man dort produzieren kann, wo die Kosten am niedrigsten sind.

“Wir gewöhnen uns daran, dass die Preise international fallen. Aber jetzt macht uns viel mehr die Tatsache Sorge, dass der Schweizer Franken immer teurer wird”, meinte Garelli weiter.

“Es wird deshalb schwierig, die Wirtschaft wieder anzukurbeln, in der Hoffnung, im Ausland mehr verkaufen zu können. Ausserdem hat Deutschland riesige Probleme und steht möglicherweise ebenfalls vor einer Deflation.”

Politik hat keine Munition mehr

Schlaflose Nächte bereitet den Ökonomen die Tatsache, dass der Politik nur noch wenig Manövrierraum bleibt.

Durch die Bundesverfassung werden der Landesregierung für Anleihen zur Ankurbelung der Wirtschaft enge Grenzen gesetzt.

Da kann nur noch die Schweizerische Nationalbank über die Zinssätze das Wachstum anregen.

“Die gesamte Last für das Verhindern einer Deflation liegt auf der Nationalbank”, führt Manini aus. “Aber mit einem Zinssatz von einem Viertel Prozent hat diese praktisch keine Munition mehr.”

Auch Garelli findet, dass die Nationalbank praktisch keine andere Wahl mehr hat als “zu beten und zu hoffen”.

swissinfo, Jacob Greber in Zürich

Das stagnierende Wachstum und der hohe Frankenkurs untergraben die Schweizer Exporte. Das intensiviert die Debatte über eine bevorstehende Deflation.

Fachleute warnen, weil in der Schweiz mit einer Wachstumsrate knapp über null das Risiko dazu besteht.

Eine Periode fallender Preise für Güter und Dienstleistungen könnte zu mehr Arbeitslosigkeit führen.

Fachleute sind sich einig, dass die Abwendung einer Deflation eine koordinierte Aktion der europäischen Zentralbanken erfordert.

Die Schweizerische Nationalbank, welche die Zinssätze bereits auf 0,25% gesenkt hat, hat praktisch keinen Manövrierraum mehr, um das Wachstum wieder anzukurbeln.

Deflation: Anhaltendes Sinken des allgemeinen Preisniveaus.

Im letzten Jahrhundert gab es zwei Beispiele:

Weltwirtschaftskrise in den 1930er-Jahren und eine Deflationstendenz in der japanischen Volkswirtschaft in den 80er und 90er-Jahren.

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