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Schweizer Wissenschaft will in Europa mitforschen

Goldatome auf einer Silizium-Oberfläche. Solche Ketten können industriell entwickelt werden. Keystone

Am Montag unterzeichnet Bundesrat Pascal Couchepin das neue Forschungsabkommen mit der Europäischen Union (EU).

Die Kooperation mit der EU sei sehr fruchtbar, lobt die Berner Biologin und Forschungsexpertin Marianne Geiser.

swissinfo: Der Vertrag über die Teilnahme der Schweiz am siebten Forschungsrahmen-Programm der EU wird heute in Luxemburg besiegelt. Ein Freudentag für Sie?

Marianne Geiser: Ja, sicher. Darauf warten wir Schweizer Forscher schon lange. Wir wollen auch beim neuen Forschungsprogramm der EU mitmachen. Kooperationen sind für uns wichtig, weil wir in einem kleinen Land wie der Schweiz nur begrenzt Forschungspartner finden.

swissinfo: Die Teilnahme ist mit 2,4 Milliarden Franken für sieben Jahre sehr viel teurer als in der letzten Programmperiode. Ist der Preis noch angemessen?

M.G.: Man muss die Aufstockung im grösseren Rahmen betrachten: Die EU will mehr in die Forschung investieren, damit steigt auch der finanzielle Beitrag, den die Schweiz als assoziiertes Land leisten muss.

Forschung wird tatsächlich immer teurer, weil die Fragestellungen komplexer und die Techniken anspruchsvoller werden.

swissinfo: Es gibt aber auch in der Wissenschaft Stimmen, die das Geld lieber in der Schweiz ausgeben würden als für die Forschungskooperation mit der EU.

M.G.: Sicher muss man auch weiterhin einen Teil des Forschungsbudgets in der Schweiz verwalten, damit man eigene Prioritäten setzen kann. Aber die Mitarbeit in den EU-Rahmenprogrammen öffnet uns Möglichkeiten, komplexe Fragestellungen in einem grösseren Umfang anzugehen.

Man kann heute nicht mehr nur im eigenen Kämmerlein forschen. Das erlauben auch die Finanzen nicht. Wir können zum Beispiel nicht alle Geräte selber anschaffen.

swissinfo: Sie sind als Expertin an der Auswahl der Projekte beteiligt, die von der EU gefördert werden. Wie wird ausgewählt?

M.G.: Wir arbeiten in Gruppen von acht bis zehn Fachleuten. Die Gesuche werden uns erst in Brüssel zugeteilt, wir können also nicht wählen, welche Eingaben wir beurteilen wollen.

Die Hürden sind sehr hoch: In unserem Gebiet werden nur etwa zehn Prozent der Gesuche bewilligt.

swissinfo: Geniale Ideen wie die Relativitätstheorie wurden von der Fachwelt zuerst oft abgelehnt. Hätte Albert Einstein heute eine Chance auf EU-Fördergelder?

M.G.: Einstein war seiner Zeit so weit voraus, dass anfänglich niemand seine Ideen würdigen konnte. Auch die EU-Forschungsgremien sind natürlich nicht vor Fehlurteilen gefeit.

Immerhin wird ein Gesuch immer von Wissenschaftern aus verschiedenen Fachgebieten beurteilt, das erweitert den Blick. Vielleicht wären Einsteins Chancen in Brüssel heute gar nicht so schlecht.

swissinfo: Die EU unterstützt auch Ihre eigene Forschung. Geraten Sie in einen Interessenkonflikt, wenn Sie andere Projekte beurteilen?

M.G.: Man muss in der EU seine eigenen Interessen offen legen, das funktioniert sehr transparent. Man ist nie Experte in derjenigen Gruppe, in der das eigene Gesuch beurteilt wird.

swissinfo: Neben Chancen beinhalten neue Technologien oft Risiken. Wird dies in der EU-Forschungsförderung ernst genommen?

M.G.: Ja, sehr. Ich sehe das bei Projekten in meinem Forschungsbereich der Nanotechnologie, wo auch mikroskopisch kleinste Teilchen hergestellt werden. Da taucht das Thema Gesundheitsrisiko ständig auf.

swissinfo: Welches sind die Risiken der Nanotechnologie?

M.G.: Winzige Nanopartikel haben ganz andere Eigenschaften als das gleiche Material in grösserer Form. Sie reagieren auch im menschlichen Körper anders. Unsere Forschungen haben gezeigt, dass sie ins Lungengewebe eindringen und sogar ins Blut gelangen können, wenn man sie einatmet.

Das wird man in der Medizin für sehr gezielte Behandlungen nutzen können, es kann aber natürlich auch Schäden verursachen.

swissinfo: Gelten Sie als Spielverderberin, wenn Sie die gesundheitlichen Risiken dieser wirtschaftlich interessanten Zukunftstechnologie erforschen?

M.G.: Nein, gar nicht. Die Industrie hat ein grosses Interesse zu wissen, welche gesundheitlichen Auswirkungen Nanopartikel haben könnten, die sie produzieren wollen. Wir erhalten diesbezüglich auch direkte Anfragen von der Industrie.

Früher war immer zuerst die Technik da, und die Risikoforschung kam später. Heute macht man das parallel – die dramatischen Gesundheitsschäden durch Asbest und andere Stoffe haben ein Umdenken bewirkt.

swissinfo-Interview: Simon Thönen, Brüssel

Die Biologin und Professorin für Histologie an der Universität Bern untersucht die Auswirkungen von mikroskopisch kleinen Nanopartikeln auf die menschliche Gesundheit.

Sie beurteilt als Expertin im Auftrag der EU Forschungsgesuche und ist an einem Projekt über die gesundheitlichen Folgen der Luftverschmutzung beteiligt, das von der EU mit 800 000 Euro unterstützt wird.

Die Schweiz beteiligt sich seit 2004 voll an den mehrjährigen Forschungsprogrammen der Europäischen Union (EU).

Am Montag werden Bundesrat Pascal Couchepin und EU-Forschungskommissar Janez Potocnik in Luxemburg den Vertrag über die Teilnahme der Schweiz am siebten Forschungsrahmen-Programm von 2007 bis 2013 unterzeichnen.

Da die EU ihr Forschungsbudget aufgestockt hat, muss auch die Schweiz mitziehen.

Die Gesamtkosten für die Schweizer Teilnahme während sieben Jahren betragen rund 2,4 Mrd. Franken. Die jährlichen Kosten der Beteiligung steigen damit um rund 50%.

Dank der Kooperation können sich Schweizer Forscher gleichberechtigt an den EU-Forschungsprogrammen beteiligen.

Die Schweiz ist zudem in den Leitungsinstanzen vertreten und kann so die Ausrichtung der Programme mitbestimmen.

Zu den Forschungsbereichen der neuen Rahmenprogramme gehören unter anderem
die Informations- und Kommunikationstechnologie, Gesundheit, Energie, Nanotechnologie und Umwelt.

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