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Tourismus im Dilemma

Luzerner Löwen-Denkmal: Ein Muss für chinesische Touristen. Keystone

Der Tourismus hat ein schwieriges Jahr hinter sich - und vielleicht auch vor sich. 2011 haben die Gäste aus Asien den Logiernächte-Rückgang aufgehalten. 2012 wirft Franz Webers Zweitwohnungs-Iniative für die einen Schatten, lässt andere dafür hoffen.

Die Anzahl der Logiernächte (LN) nahm 2011 in der Schweiz um 2% ab. Doch diese Bilanz wäre schlechter ausgefallen, wenn nicht vermehrt Touristen aus Asien gekommen wären und wenn die Inländer nicht weiterhin in der Schweiz Ferien machen würden. 

Schweiz Tourismus  (ST) gab diese Woche eine LN-Abnahme von 8,5% bei den Gästen aus Europa bekannt. Dem stand ein Wachstum der Gäste aus China von fast 50% gegenüber (siehe Spalte rechts). 

Die Anzahl Logiernächte von Inländern ging demgegenüber nur gering zurück, obschon der starke Franken ihnen günstigere Ferien in der Eurozone ermöglicht hätte.

Zweitwohnungen als Billigfaktor und Landschaftsfresser

Soweit die jährlichen, kurzfristigen Wachstums-Schwankungen. Ein langfristiges, da strukturelles Wachstumsdilemma im Schweizer Tourismus zeigt sich zur Zeit aber beim hohen Bestand an (meist leeren) Zweitwohnungen. 

Für viele Touristiker zerstören diese “Betonburgen” und die Zersiedelung das wichtigste Kapital des Schweizer Tourismus, nämlich die Landschaft. Diese wird seit vielen Jahren von den Ausländern in periodisch durchgeführten Umfragen als Grund Nr. 1 für einen Besuch in der Schweiz angeführt.

Auch ST-Direktor Jürg Schmid gibt zu bedenken, dass sich das Gefühl ausbreite, wonach bei den Zweitwohnungen langsam das Limit erreicht sei. Ein Mehr an Beton zerstöre genau jene Landschaft, die die Touristen eigentlich ins Land ziehe.

Anderseits, so Schmids Dilemma, hätten sich die Ferienwohnungen während der letzten Jahre als stabilisierender Preisfaktor gezeigt. Mit anderen Worten: Als Landes-Werber ist die ST an günstigen Bettenpreisen interessiert, um damit im Ausland das Image des Hochpreislandes Schweiz zu widerlegen.

Die Hoteliers hingegen könnten auch mit weniger Gästen bessere Renditen machen, wenn sie bei denen höhere Bettenpreise durchbrächten. Dabei stört es sie, dass die Zweitwohnungen neben ihren Hotels meist leer stehen und damit die Bettenpreise insgesamt drücken.

Doch stagniert seit 1975 die Anzahl der Hotelbetten mehr oder weniger bei 200’000. Die als “kalte Betten” verrufenen Zweitwohnungsbetten haben sich jedoch in gleichen Zeitabschnitt von 600’000 auf 1,3 Mio. erhöht. 

Franz Webers Damoklesschwert

Dieser starke Boom im Zweit- oder Ferienwohnungsbau hat auch andere Kräfte wachgerufen. Landschaftsschützer Franz Weber, dem die Zersiedelung schon lange ein Dorn im Auge war, hat eine Volksinitiative eingereicht, über die am 11. März abgestimmt wird.

Sie verlangt, dass eine Gemeinde schweizweit künftig nicht mehr als 20% Zweitwohnungen aufweisen darf – wobei der bestehende Bestand respektiert wird.

Die Sympathien in der Bevölkerung für die Initiative sind gross, die Auswirkungen hingegen schlecht abzuschätzen. In den Berggebieten im Speziellen ist die Meinung klar gespalten: Ein Teil der Tourismusbranche zittert, ein anderer hofft.

Franz Weber spaltet Tourismusbranche

Wer mit Immobilien zu tun hat, zittert. Doch die Interessen des Bausektors in den Alpen entsprechen nicht unbedingt jenen des Tourismussektors. Der Tourismus-Professor Hansruedi Müller sagt gegenüber swissinfo.ch: “Der Zweitwohnungsbau gehört zu den grössten Schändern am touristischen Kapital.”  

Vom ‘touristischen Kapital’ abgesehen, wären etliche Ferienhoteliers auch vom betrieblichen Kapital her nicht ganz unglücklich, die Billigkonkurrenz der Ferienwohnungsmasse einzudämmen – auch wenn sich ihr Branchenverband gegen die Initiative ausgesprochen hat.

Gemäss den neuesten Zahlen des Bundesamts für Statistik fielen die Logiernächte um 2% oder 772’000 gegenüber 2010.

Auf inländische Gäste entfielen 15,8 Mio. LN (-0.1%). Bei den ausländischen Gästen ergab sich ein empfindliches Loch von minus 3,5% auf 19,7 Mio. LN. 

Deutsch (-10.5%), Briten (-8.3%), Italiemer (-6.2%) und Franzosen (-3.8%) kamen weniger als 2010.

Aber Chinesen (+47.3%), Südkoreaner (+24%), Inder(+17.2%), Brasilianer (+15.2%) und Russen (+14.1%) kamen signifikant mehr.

Die grössten Einbrüche gab es in den Alpenregionen, besonders in Graubünden (-7.6%), im Wallis (-4.4%) und dem Berner Oberland (-2.5%). Auch das Tessin gab um 4.6% nach.

Dies führte zu Preisnachlässen. Entsprechende Betriebszahlen, die die Rentabilität der Unternehmen zeigen, werden aber erst in einem Jahr publiziert.

Wintersportorte hatten besonders grosse Einbussen. Ihnen half auch das späte Eintreffen des Schnees dieses Jahrs nicht weiter. 

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