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Und plötzlich war klar, dies ist kein Unfall…

Roland Bandelier: "... nichts als ein klaffendes Loch und ein Riesenfeuer." swissinfo.ch

Roland Bandelier, ein Schweizer, der seit 26 Jahren in New York ist, hat die Anschläge vom 11. September aus nächster Nähe erlebt.

“Die Anschläge haben die Sicht vieler Menschen auf das Leben verändert, auch meine”, sagt der mittlerweile selbstständige Finanzberater im Gespräch mit swissinfo.

Der 11. September 2001 war ein wunderschöner Herbsttag. Nichts deutete auf die Katastrophe hin, von der New York noch vor neun Uhr erschüttert wurde.

An einen Anschlag dachte niemand

“Ich kam wie immer mit der Fähre aus New Jersey, war etwa 8 Uhr 40 im Büro, startete den Computer. Kaum fünf Minuten später hörten wir eine riesige Explosion”, erzählt Roland Bandelier.

Diese erschütterte das Nebengebäude, den Nordturm des World Trade Center. Das Flugzeug habe man nicht gesehen.

“Wir schauten aus dem Fenster und sahen nichts als ein klaffendes Loch und ein Riesenfeuer.” Metallstücke fielen auf die Strasse herunter, dazu Massen von Papier-Fetzen. Die ersten Fernsehstationen meldeten, ein Flugzeug sei in den Turm gerast.

Hilfloses Zuschauen

An einen Anschlag dachte noch niemand. Doch der wirkliche Schrecken begann rasch. “Plötzlich sahen wir, wie Menschen sich in Panik aus dem brennenden Gebäude in die Tiefe stürzten.”

Sie waren so nah, dass man Details ihrer Kleidung wahrnehmen konnte. “Wir mussten tatenlos zuschauen, konnten nichts tun. Dies waren schreckliche Momente”, erinnert sich Bandelier weiter.

“Dann sahen wir ein Flugzeug, dass sich näherte. Wir dachten, es sei eine Maschine, die Wasser über der Brandstelle ablassen würde.” Doch dann flog die Maschine in den zweiten Turm.

Es war ein Anschlag

“Nun war plötzlich alles klar. Dies war kein Unglück, dies musste ein Anschlag sein.” Nun verliessen auch Bandelier und seine Leute ihre Büros und flohen, als die Türme in sich zusammensackten. Ihr Gebäude stürzte schliesslich am Nachmittag auch ein.

Alles bewegte sich Richtung Norden. Sämtliche Brücken aus und nach Manhattan waren geschlossen. “Es herrschte Kriegsstimmung, nicht zuletzt auch wegen der Kampfjets, die über unsere Köpfe hinweg donnerten.”

Die New Yorker rücken zusammen

Wie zahlreiche andere Menschen in New York und Umgebung verweist der Finanzmann darauf, dass die Anschläge sofort eine riesige Hilfsbereitschaft auslösten, die “typisch für Amerika” sei.

“Die Menschen in New York rückten zusammen. Wenn es in den Staaten eine Krise gibt, ist es erstaunlich zu sehen, wie die Leute ihre Kräfte mobilisieren.”

Die Symbolkraft der Attentate

Und am 11. September seien die USA wirklich in ihrem Selbstverständnis erschüttert worden, da es seit Pearl Harbor (1941) keinen direkten Angriff auf US-Territorium gegeben habe.

“Die symbolische Botschaft der Anschläge war gewaltig: Zwei der Zentren der Macht wurden frontal getroffen.”

Andere Werte

Wenn irgend etwas Gutes aus den Anschlägen gewachsen sei, so Roland Bandelier, sei es, dass die Menschen das Leben mit etwas anderen Augen ansehen. “Andere Werte als nur Geld und Arbeit haben wieder ihren Platz.”

“Der 11. September hat das Leben dieser Generation für immer verändert. Dies ist klar”, bekräftigt Bandelier seine Einschätzung der Lage aus heutiger Sicht.

Besuch von “Ground Zero”

Etwa zwei Monate waren vergangen, bevor Roland Bandelier den Ort der Anschläge wieder besuchte. “Es war unwirklich, merkwürdig. Die beiden Türme und die andern Gebäude sind weg, und doch geht der Blick hoch, fast wie von selbst.”

swissinfo, Rita Emch, New York

Der Schweizer Roland Bandelier befand sich im Nebengebäude, als das erste Flugzeug einschlug. Alle glaubten an einen Unfall, bis zum Moment, als eine weitere Maschine in den zweiten Turm des World Trade Centers raste.

Bandelier und seine Angestellten evakuierten ihr Gebäude nach dem zweiten Anschlag. Alle konnten sich retten. Vergessen wird diesen Tag niemand. Bandelier sagt, er habe das Trauma recht gut überwunden, doch etliche seiner Angstellten hätten länger damit gekämpft.

Die Anschläge haben laut Bandelier die Sicht vieler Menschen auf das Leben verändert; dies gelte auch für ihn. Wie viele Menschen in New York vermisst auch Bandelier die Türme noch heute.

Roland Bandelier kam 1976 nach New York. Aus dem Fricktal führte ihn seine berufliche Laufbahn nach Luzern, dann Genf und schliesslich nach New York. Hier war er zuerst für den damaligen Schweizer Bankverein tätig, der sich später mit der Bankgesellschaft zur heutigen UBS zusammenschloss.
1998 verliess der Finanzberater Bandelier die UBS und wechselte zur britischen Standard Chartered Bank , wo er am 11.9. für die Abteilung Lateinamerika zuständig war.
Einige Monate nach den Anschlägen verliess der Schweizer diesen Posten. Heute ist er als selbstständiger Finanzberater tätig.
Bandelier lebt mit seiner Familie in New Jersey. Er ist Vater von vier Kindern.

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