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Universität öffnet sich für Kinder

Professor Franz Jaeger vor seinem speziellen Uni-Publikum. Keystone

Die Hochschule St. Gallen hat die Schweizer Premiere mit einer Kinder-Uni gewagt: Die erste Vorlesung endete mit tosendem Applaus.

650 neugierige Kinder zwischen 9 und 12 Jahren folgten den Ausführungen von Wirtschafts-Professor Franz Jaeger zum Thema “Woher kommt das Geld?”.

Ganze Klassen, aber auch einzelne Kinder, zum Teil von ihren Eltern begleitet, pilgern am eigentlich schulfreien Mittwochnachmittag zur Universität St. Gallen. Über 800 Mädchen und Knaben aus der Ostschweiz haben sich für die Vorlesung angemeldet. Die Grösse des Audimax-Hörsaals erlaubt aber nur 650 Kindern den Eintritt.

Gleich zu Beginn der Vorlesung macht der bekannte Wirtschaftsprofessor Franz Jaeger seinen jungen Zuhörerinnen und Zuhörern klar: Das Geld kommt weder von einem Goldesel noch vom Bankomaten.

Er illustriert dies mit einer lustigen Goldesel-Grafik. welche die Kinder kichern lässt. Jaeger hat damit das Publikum auf seiner Seite. Und los geht es: Anhand von praktischen, der Erlebniswelt der Kinder entnommenen Beispielen arbeitet er heraus, dass fast nichts gratis ist. Auch nicht in der Welt der Kinder.

Von der Familie zum Staat

Von der Familie schlägt Jaeger einen Bogen zu Wirtschaft und Staat, die eigentlich nach denselben Prinzipien wie die Familie funktionierten. Auch der Staat solle auf Dauer nicht mehr ausgeben, als er einnimmt.

Immer wieder kehrt Jaeger bei seinen Ausführungen zurück in die Erlebniswelt der Kinder. Diese danken ihm dies mit ihrer Aufmerksamkeit, die erst nach rund 30 Minuten da und dort zu erlahmen scheint. Nur vereinzelt werden Papierflieger gefaltet.

Tosender Applaus

Dann, nach gut 45 Minuten, beendet Professor Jaeger seine Vorlesung. Donnernder Applaus brandet ihm entgegen. Die Kinder stampfen, pfeifen, johlen.

Man sieht beinahe den Felsbrocken, der von Franz Jaegers Herz rollt. “Noch nie zuvor hatte ich solches Lampenfieber”, hatte er vor der Veranstaltung gesagt. Nun ist ihm die Erleichterung ins Gesicht geschrieben.

Die Kinder strömen aus dem Saal. Ihr Grundtenor: Es sei lässig gewesen, spannend. Der 12-jährige Renato Engler meint: “Das meiste habe ich gewusst. Ich komme in einer Woche wieder und hoffe, dass etwas kommt, was ich noch nicht weiss.”

Am nächsten Mittwoch nimmt sich Franz Jäger dem Kreislauf von Geld, Gütern und Arbeit an. Die dritte Vorlesung beschäftigt sich mit der Frage: “Wer macht das Geld?”

Der 11-jährige Raffael fand vor allem die Gemeinsamkeiten von Familie und Wirtschaft sehr interessant: “Vorher habe ich mich gar nicht so für dieses Thema interessiert.”

Und Raffaels Vater ergänzt: “Die Universität sollte nicht in ihrem Elfenbeinturm warten. Es ist gut, wenn sie sich der Bevölkerung ein wenig öffnet.” Wichtig wäre seiner Meinung nach aber auch, den Kindern am Schluss zu erklären, was denn eine Universität überhaupt ist.

Gemeinschaftsproduktion der Familie Jaeger

Peter Gomez, Rektor der Hochschule St. Gallen (HSG), bezeichnet die Vorlesungsreihe als “Gemeinschaftsproduktion der Familie Jaeger”. Die Tochter Anna-Thea, 10 Jahre alt, überzeugte ihren Vater Franz von der Idee einer Kinder-Uni. Sie gewann ihren Vater als ersten Dozenten und ihre Mutter, Eva Nietlisbach Jaeger, nahm die Sache organisatorisch an die Hand.

Peter Gomez’ Ziel: “Wir wollen den Kindern beibringen, wie unsere Wirtschaft funktioniert.” Damit könne man nicht früh genug anfangen, da die Wirtschaft eine wichtiger Bestandteil des täglichen Lebens sei. “Die Kinder sollten frühzeitig, fundiert und in ihrer Sprache lernen, um was es hier geht.”

Allerdings: Dem St. Galler Konzept fehlt die Möglichkeit, dass Kinder Fragen stellen können. Es wäre vielleicht ganz gut, wenn ein Kind nachhaken könnte, wenn ein Schlüsselbegriff nicht verstanden wurde. Schlussendlich sind es ja die Fragen der Mädchen und Jungen, auf die eine Kinder-Uni Antworten geben will.

Vorbild Tübingen

Die Universität Tübingen in Deutschland hat bereits 2002 mit einer Kinder-Uni begonnen. Sie war damit die erste in Europa. Ihr Beispiel machte Schule, es gibt inzwischen Ableger in Rom und Wien.

In Tübingen werden allgemeine Themen behandelt wie: “Warum sind die Dinosaurier ausgestorben?”, “Warum gibt es Arme und Reiche?” oder “Weshalb spucken Vulkane Feuer?” Da kann es dann auch vorkommen, dass eine Nobelpreisträgerin eine Vorlesung bestreitet.

Zur St. Galler Themenauswahl äussert sich Rektor Peter Gomez so: “Wir sind eine Wirtschaftshochschule. Deshalb lag es auf der Hand, Vorlesungen anzubieten, die sich mit volkswirtschaftlichen, betriebwirtschaftlichen und rechtlichen Themen auseinandersetzen.”

Im Sommersemester wird Marketing-Professor Tomczak eine Lesung über Werbung halten. Titel: “Wie werden wir hinters Licht geführt?”

Auch Zürich und Basel

Im Lauf des Jahres werden auch die Universitäten von Zürich und Basel eine Kinder-Uni anbieten. In beiden Städten wird noch am Konzept gefeilt. In ein paar Wochen werden auch sie mit ihren Projekten an die Öffentlichkeit treten.

swissinfo, Etienne Strebel, St. Gallen

An der Kinder-Uni will die Universität St. Gallen gesellschaftsrelevante Themen behandeln – in Ergänzung zum Schulstoff.
Das Angebot richtet sich an alle Kinder, nicht nur an hochbegabte.

Die Kinder-Vorlesungen werden von ordentlichen HSG-Professoren und Professorinnen gehalten.

Es werden nur Themen aus HSG-Kernfächern vermittelt (Betriebswirtschaft, Volkswirtschaft, Recht).

Die Vorlesungen sind mehrteilig und haben den Anspruch, den Kindern das Thema verständlich zu machen.

Die Kinder-Vorlesungen sind ins öffentliche Programm der HSG eingebunden.

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