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Verbands-Beschwerderecht unter Druck

Der VCS bekämpfte den geplanten Neubau des Hardturm-Stadions in Zürich. Keystone

Das Schweizer Parlament diskutiert am Donnerstag einen Vorstoss, der das Verbands-Beschwerderecht der Umweltorganisationen einschränken will.

Die Freisinnigen ihrerseits sammeln Unterschriften für eine Volksinitiative zur Einschränkung der Verbandsbeschwerde.

Einsprachen gegen Bauvorhaben sind Personen vorbehalten, die Partikularinteressen geltend machen können. Das Interesse des Allgemeinwohls oder ideelle Argumente werden nicht berücksichtigt.

Das Natur- und Heimatschutzgesetz aus dem Jahr 1966 und das Umweltschutzgesetz aus dem Jahr 1983 sehen jedoch Ausnahmen vor. Demnach wird auch Umwelt- und Naturschutzverbänden ein Beschwerderecht eingeräumt. Sie vertreten somit an vorderster Front die Interessen der Umwelt.

Seit Jahren kritisieren Wirtschaftsverbände und das rechte politische Lager dieses Verbands-Beschwerderecht. Ihrer Meinung nach bremst das Rechtsmittel das Wirtschaftswachstum in der Schweiz.
Im Parlament werden immer wieder Vorstösse unternommen, das Verbands-Beschwerderecht einzuschränken. Doch bis anhin scheiterten alle Versuche an einer Parlamentsmehrheit.

Für besonders grosse Aufregung sorgten die Einsprachen gegen das neue Fussballstadion in Zürich. Den Umweltorganisationen, darunter vor allem dem Verkehrs-Club der Schweiz (VCS), wurde vorgeworfen, durch die Rekurse die geplanten Spiele der Fussball-EM 2008 in Zürich zu vereiteln.

FDP mit Volksinitiative

Die Polemik um das Fussballstadion hat die Diskussion um die Verbandsbeschwerde neu entfacht. Und sie hat dazu geführt, dass die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) des Kantons Zürich eine Eidgenössische Volksinitiative lanciert hat, die das Recht stark einschränken will.

Die Initiative verlangt, dass das Verbands-Beschwerderecht in Umwelt- und Raumplanungs-Angelegenheiten ausgeschlossen wird, wenn Bauprojekte auf Volksabstimmungen oder Parlamentsentscheiden beruhen.

Die Initiative wird auch von der FDP Schweiz unterstützt. “Es gibt gelegentlich einen Konflikt zwischen dem Volkswillen und dem Beschwerderecht, wie der Fall um das Hardturm-Stadion in Zürich gezeigt hat”, sagt FDP-Präsident Fulvio Pelli. Eine Diskussion über dieses Thema sei nötig.

Initiativtext kritisiert

Doch der Initiativtext ist von namhaften Juristen wie Georg Müller und alt FDP-Ständerat René Rhinow kritisiert worden. Gemäss den beiden Staatsrechtlern würde im Falle einer Annahme das Verbands-Beschwerderecht de facto abgeschafft. Denn praktisch alle öffentlichen Bauvorhaben fussen ihrer Meinung nach auf Volksabstimmungen oder Parlamentsentscheiden.

Auch Pelli räumt ein, dass es innerhalb der Partei Vorbehalte gegenüber dem Initiativtext gibt: “Doch für uns ist es wichtig, Druck ausüben zu können, damit die Probleme, die mit dem Verbands-Beschwerderecht verbunden sind, gelöst werden können.”

Parlamentarische Initiative

Mit einer parlamentarischen Initiative zum Verbands-Beschwerderecht muss sich in Kürze der Ständerat befassen. Hans Hofmann, Ständerat der Schweizerischen Volkspartei (SVP), fordert in einem Vorstoss neben einer Vereinfachung der Umweltverträglichkeits-Prüfung auch eine Beschränkung des Verbands-Beschwerderechts.

Um dieses Ziel zu erreichen, soll laut Hofmann strenger definiert werden, welche Umweltorganisationen von diesem Rechtsmittel überhaupt Gebrauch machen dürfen. Die Verbände müssten einen nationalen Charakter haben und keine lukrativen Ziele verfolgen. Ausserdem müssen sich die Beschwerden auf Themenbereiche beschränken, die seit mindestens zehn Jahren in den Verbandsstatuen erfasst sind.

Um Missbräuche zu vermeiden, ist zudem ein Verbot für aussergerichtliche Einigungen zwischen dem Bauherrn und dem Beschwerdeführer vorgesehen. Die Kosten für die Beschwerde muss im Falle einer Ablehnung der Verband tragen.

Widerstand der Ökologen

Für die Umweltverbände geht der Vorschlag zu weit, auch wenn das Verbands-Beschwerderecht nicht prinzipiell in Frage gestellt wird. Eine Allianz aus 16 Umwelt- und Naturschutzorganisationen – darunter WWF, Pro Natura, Greenpeace und VCS – will den gesetzlichen Ist-Zustand verteidigen.

“Die Initiative Hofmann vereinfacht das Beschwerderecht keineswegs”, meint die grüne Nationalrätin Franziska Teuscher. Sie kritisiert vor allem zwei Punkte im Vorschlag. “Die Gerichtskosten auf die Umweltverbände abzuwälzen, würde die Möglichkeiten unserer Organisationen zu Gunsten des Umweltschutzes stark einschränken”, gibt Teuscher zu bedenken. Ein Verbot für eine aussergerichtliche Einigung verunmögliche hingegen die Suche nach akzeptablen Kompromissen.

Sollte die parlamentarische Initiative Hofmann vom Plenum angenommen werden, könnte es laut Teuscher zum Referendum kommen: “Vor allem, weil bis heute niemand bewiesen hat, dass das Verbands-Beschwerderecht missbraucht wurde.”

swissinfo, Andrea Tognina
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

Gemäss einer Studie der Universität Genf sind beim Bundesgericht zwischen 1996 und 2003 genau 8768 Rekurse eingegangen.

Nur 84 dieser Rekurse stammten von Umweltorganisationen. Dies entspricht einem Mittel von 10,5 Fällen pro Jahr.

Die Erfolgsrate bei Verwaltungsbeschwerden liegt bei 18,6%, in Umweltfragen erreicht die Quote 63%.

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