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Verurteilung der Schweiz auf wackliger Grundlage

Zankapfel: Die Unternehmensbesteuerung gewisser Schweizer Kantone. (Imagepoint)

Die EU-Kommission wird wahrscheinlich diese Woche die kantonalen Steuerregime der Schweiz offiziell verurteilen.

Dies, obwohl sie die behauptete Verfälschung des bilateralen Freihandelsabkommens aus dem Jahr 1972 nicht wirklich nachweisen kann.

Wenn alles nach Plan läuft, wird die EU-Kommission gewisse kantonale Steuerregime am Dienstag oder Mittwoch offiziell als “diskriminierend” und “wettbewerbsverzerrend” verurteilen. Dies geht aus dem Beschluss-Entwurf hervor, den La Liberté und andere Westschweizer Zeitungen zitieren.

Zwar können Einwände der anderen EU-Kommissare den Entscheid noch verzögern – aber eine Verurteilung der Schweiz steht praktisch fest.

Das 17-seitige Papier listet am Beispiel der Kantone Zug und Schwyz ausführlich die Steuervergünstigungen auf, die die Kantone auf Auslandgeschäften von Holdings, Verwaltungsgesellschaften und gemischten Gesellschaften gewähren.

Im Kernpunkt bleibt die Argumentation aber vage: Im Entwurf wird behauptet, dass diese Steuerregime den Handel zwischen der Schweiz und der EU verfälschen – und deshalb ein Verstoss gegen das bilaterale Freihandelsabkommen sind.

Das Ausmass der behaupteten Handelsverzerrung ist aber nicht beziffert. Kein Wunder: Die Steuerrabatte gewähren die Kantone ja gerade für Auslandsgeschäfte.

Schutzmassnahmen angedroht

In Brüssel argumentiert man, dass diese Gesellschaften Firmen besitzen können, die im Warenhandel Schweiz-EU tätig sind. Zudem müsse man eine Handelsverfälschung nicht hieb- und stichfest beweisen: Gemäss Artikel 23 des Freihandelsvertrags reicht es aus, wenn eine Begünstigung den Handel “zu verfälschen droht”.

Hinter den Kulissen gibt man aber zu, dass man gegenwärtig gar nicht genügend Informationen besitzen würde, um “Schutzmassnahmen”, das heisst Strafzölle, gegen die Schweiz zu erheben. Denn dazu müsste die EU laut Artikel 27 des Abkommens “ernste Schwierigkeiten” im Handel nachweisen. “Schutzmassnahmen” behält sich die EU im Entwurf dennoch ausdrücklich vor.

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Pro-europäische Politiker nicht erbaut

Die indirekte Drohung soll die Schweiz zu Verhandlungen über die kantonalen Steuerpraktiken bewegen: Gemäss Entwurf will die Kommission dafür ein Mandat bei den EU-Staaten beantragen.

Bisher lehnte der Bundesrat Verhandlungen kategorisch ab. Ob die kommende Verurteilung der Steuerpraktiken die Schweizer Position aufweichen wird, ist fraglich.

Sogar eher pro-europäische Politiker und Politikerinnen sind über das Vorgehen Brüssels nicht erbaut. “Druck von aussen führt dazu, dass die Schweizer auf stur schalten”, sagt die sozialdemokratische Nationalrätin Hildegard Fässler. Der Christlich demokratische Ständerat Eugen David spricht sich zwar für den politischen Dialog aus. Darunter versteht er aber nur, “dass man sachlich prüft, ob wirklich eine Verfälschung des Warenhandels existiert.”

Argumentation überzeugt nicht

Ein gewisses Unbehagen über das Vorgehen Brüssels ist auch bei der Neuen Europäischen Bewegung Schweiz (nebs) spürbar. “Wir sind nicht das Sprachrohr der EU-Kommission”, stellt die nebs-Präsidentin und freisinnige Nationalrätin Christa Markwalder klar. “Das grundsätzliche Problem ist natürlich, dass die Schweiz nicht mit am Tisch sass, als die EU-Staaten sich auf Regeln gegen unfairen Steuerwettbewerb einigten”, sagt sie, nur als EU-Mitglied könne man mitbestimmen.

“Die Schweiz wird es sich nicht leisten können, ein allfälliges Verhandlungsangebot der EU einfach zu ignorieren”, findet Markwalder, fügt jedoch an: “Auf der Basis des Freihandelsabkommens sollte man nicht verhandeln.” Die Argumentation Brüssels, dass die Steuerregime den Handel verfälschen, überzeugt auch die Pro-Europäerin nicht.

swissinfo, Simon Thönen, Brüssel

Die Schweiz müsse eine Lösung finden beim Unternehmens-Steuerregime oder mit Konsequenzen rechnen.

Das sagte der Generaldirektor für Aussenbeziehungen der EU-Kommission, der Spanier Eneko Landaburu, der Genfer Zeitung Le Temps.

Ein entsprechender Beschlussentwurf wird laut Landaburu am Dienstag oder Mittwoch (13. oder 14. Februar) offiziell publiziert.

Landaburu räumte jedoch ein, die internen Diskussionen über das Dokument seien noch nicht zu Ende.

Es sei nicht überraschend, dass die Kommission gegenüber der Schweiz nun eine härtere Tonart angeschlagen habe. Vor mehr als einem Jahr habe die Kommission die Schweiz auf das Problem hingewiesen und seither seien keine Fortschritte zu verzeichnen.

Die Schweiz ist überzeugt, dass die Steuervergünstigungen, welche die Kantone auf Auslandgeschäften von Holdings, Verwaltungs-Gesellschaften und gemischten Gesellschaften gewähren, nicht unter das Freihandelsabkommen mir der EU aus dem Jahr 1972 fallen.

Das Abkommen regelt ausschliesslich den Handel von industriell und landwirtschaftlich gefertigten Gütern.

Die Schweiz hat Verhandlungen im Steuerstreit bisher mit dem
Hinweis auf die kantonale Steuerhoheit abgelehnt.

Bern stellt sich auf den Standpunkt, dass bei der Unterzeichnung des Abkommens nicht die Absicht bestanden habe, die Gesetze zu harmonisieren, weder im Bereich Handel, Wettbewerb, noch bei den staatlichen Subventionen.

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