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Volkszählung auch nach Systemwechsel ein Politikum

swissinfo.ch

Die Volkszählung 2010 wird nicht mehr als Vollerhebung, sondern auf der Basis von Registern und Stichproben durchgeführt. Um an die entsprechenden Daten zu kommen, schreckt der Bund vor Zwangsmassnahmen nicht zurück.

Für die Volkszählung von 1990 klopften noch Volkszählerinnen und Volkszähler bei den Einwohnern an die Haustüre. Im Jahr 2000 wurde die Volkszählung per Fragebogen durchgeführt.

Für 2010 gibt es einen noch grösseren Systemwechsel: von der alle zehn Jahre durchgeführten Vollerhebung hin zu einer jährlichen Registererhebung mit Stichproben.

Ein aufwändiges Unterfangen, mussten doch Kantone, Gemeinden und Bund ihre Register ausbauen und harmonisieren.

Für das Bundesamt für Statistik (BFS) lohnt sich der Aufwand: “Die Schweiz erhält damit ein modernes statistisches System, mit dem Struktur und Entwicklung der Bevölkerung und der Haushalte permanent beobachtet werden können”, heisst es auf der Website.

Dieses neue System bringe für die Gemeinden und die Befragten eine deutliche Entlastung. “Das System ist auf eine nachhaltige Investitionspolitik ausgerichtet und kann mit einem kostengünstigen Datenerhebungssystem ein Maximum an demografischen und sozioökonomischen Informationen zur Wohnbevölkerung in der Schweiz zur Verfügung stellen”, so das BFS weiter.

Nicht nur Zustimmung

Das Parlament hat die Totalrevision des Gesetzes über die eidgenössische Volkszählung im Juni 2007 angenommmen.

Die neue Volkszählung war bei Kantonen und Verbänden auf verschiedene Vorbehalte gestossen: Die Raum- und Verkehrsplanung sei auf lückenlose, vergleichbare Datenreihen angewiesen, wendeten sie ein. Auch wenn einige Kantone Stichproben erweiterten, trage dies starken regionalen Unterschieden nicht Rechnung, monierten sie.

Was ist neu?

Neu basiert die Volkszählung auf den Einwohnerregistern der Gemeinden und Kantone, den Personenregistern des Bundes sowie dem eidgenössischen Gebäude- und Wohnungsregister.

Diese Daten werden mit der Strukturerhebung bei 200’000 Personen ergänzt. Bei dieser jährlichen Stichprobenerhebung müssen die Befragten schriftlich einen Fragebogen mit Fragen nach Sprache, Religion, Kultur, Ausbildung, Arbeit, Mobilität, Haushalt, Wohn- und Arbeitssituation ausfüllen.

Auch die thematischen Statistiken, die im Fünfjahresrythmus bei 10’000 bis 40’000 Personen durchgeführt werden, gehen aus Stichprobenerhebungen hervor. Folgende Themenschwerpunkte alternieren: Mobilität und Verkehr, Aus- und Weiterbildung, Gesundheit, Familien und Generationen sowie Sprache, Religion und Kultur.

Vorgesehen ist zudem eine jährliche Omnibus-Erhebung bei rund 3000 Personen. Anhand dieser Zusatzerhebungen soll flexibel und schnell auf aktuelle politische oder wissenschaftliche Fragestellungen reagiert werden können.

BFS droht mit Busse

Die Volkszählung wird laut BFS “zum Rückgrat eines neuen Gesamtsystems für Haushalts- und Personenstatistiken”.

So hat auch das BFS für das neue Volkszählungssystem bereits bestehende Erhebungen ausgebaut und erneuert. Denn die Register- und Stichprobenerhebungen werden mit Datenquellen des BFS wie beispielsweise der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (Sake) kombiniert.

Für die Daten zu den Arbeitsbedingungen der SAKE, die neu vierteljährlich erhoben werden, braucht es laut BFS jährlich rund 125’000 Telefoninterviews. Diese haben vor der Einführung des neuen Systems der Bevölkerungsstatistik 2010 in der Schweiz für einer Kontroverse gesorgt: Kürzlich wurde zur “Qualitätssicherung” per Verordnung eine Auskunftspflicht für die Sake beschlossen. Das ist ein Novum: Es ist das erste Mal, dass bei einer Telefonumfrage bei Privatpersonen zum Obligatorium gegriffen wurde.

Die befragten Haushalte müssen Fragen zur Arbeitsmarktsituation, Einkommen, Aus- und Weiterbildung, Haushaltsstruktur und Haushaltsarbeit, demografischen Merkmalen wie Staatsangehörigkeit oder Zivilstand, Gesundheit beantworten, ansonsten droht eine Busse.

Schon früher gebüsst

“Dem Verhältnismässigkeitsprinzip wird Rechnung getragen. Das BFS hat aber nicht zum Ziel, Bussen auszusprechen, sondern zählt vielmehr auf die Mitarbeit der Befragten an der sowohl national als auch international wichtigen Erhebung”, so das BFS. “Das BFS war mit Bussen während der letzten Jahre äusserst zurückhaltend; an dieser Praxis wird sich nichts ändern.”

Die Volkszählung ist und bleibt ein Politikum: Nachdem Ende der 1980er-Jahre die Fichen-Affäre ans Licht gekommen war, konnte die Volkszählung nur mit Zwangsmassnahmen durchgeführt werden: Wer den Volkszählern vor der Tür keine Auskunft gab, wurde massiv gebüsst.

Heikle Zusammenarbeit

Ein weiterer heikler Punkt: Das BFS gibt die Tausenden von Telefoninterviews in Auftrag, und zwar dem privaten Meinungsforschungsinstitut Link.

Wie garantiert das BFS durch die Zusammenarbeit mit einem privaten Meinungsforschungsinstitut die Datensicherheit? “Der Datenschutz ist gewährleistet”, schreibt das BFS auf seiner Website. Sobald die Erhebung abgeschlossen sei, übermittle das Erhebungsinstitut die Daten an das BFS und vernichte diese anschliessend, wie das in der beiderseits unterzeichneten vertraglichen Klausel festgehalten sei. “Die vom BFS publizierten Daten sind vollständig anonymisiert, und sie enthalten keine Identifikatoren mehr”, beruhigt das BFS weiter.

Die Zusammenarbeit zwischen Bund und dem Institut Link hat jüngst für Schlagzeilen gesorgt: Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) liess Umfragen durch Link durchführen und lieferte diesem im Frühling 2009 Datensätze von über 5000 Arbeitslosen – ohne die Betroffenen zu fragen.

Corinne Buchser, swissinfo.ch

Die erste Volkszählung der Schweizer Wohnbevölkerung fand 1798 in der Zeit der Helvetik statt. Die Daten blieben aber unvollständig.

Nach der Gründung des Bundesstaats wurde die erste offizielle Volkszählung 1850 durchgeführt. Darauf fand sie alle 10 Jahre statt.

Diente die erste Volkszählung noch hauptsächlich der Erfassung von reinen Personen-Daten, haben sich die Erhebungen im Laufe der Jahre stark gewandelt.

Heute umfasst die Volkszählung Daten über Bevölkerung, Sprachen, Religionen, Erwerbsleben, Mobilität, Haushalt, Lebensqualität sowie Gebäude.

Sie ist zum Planungs- und Entscheidungs-Instrument für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft geworden.

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