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Weisse Zähne für die Ukraine!

Sami Sandhaus vor seinen zahllosen akademischen Honorationen. swissinfo.ch

Der renommierte Lausanner Zahnmediziner Sami Sandhaus besuchte nach 59 Jahren erstmals seine ursprüngliche Heimat, die Ukraine.

Dort präsentierte er vor Fachleuten seine dentalchirurgischen Erfindungen – und stiess auf mittelprächtiges Interesse.

Sami Sandhaus ist ein Pionier seines Fachs. Er baute auf der Grundlage des keramikartigen Zirkoniums ein völlig neues Zahnimplantat. Dieses ist laut seinem Erfinder den herkömmlichen metallischen Titan-Implantaten gleich mehrfach überlegen: ästhetischer weil weiss, stabiler und “immunokompatibel”.

Will heissen: Die Kunstzähne aus Sandhaus’ Erfinderküche versprechen, im Organismus des Patienten keine allergischen Abwehr-Reaktionen zu provozieren, wie dies bei den vorwiegend verwendeten Metall-Implantaten möglicherweise der Fall sein kann.

Sami Sandhaus’ Erfindungen sind in Fachkreisen nicht unbestritten: “Titan hat sich durchgesetzt, weil es das beste Material ist und die beste wissenschaftliche Dokumentation aufweisen kann”, sagte Daniel Buser, Leiter der Klinik für Oralchirurigie und Stomatologie der Universtät Bern, gegenüber swissinfo. Sandhaus würden für seine “Behauptungen” die notwendigen wissenschaftlichen Fakten fehlen.

“Langeweile kenne ich nicht!”

Sami Sandhaus ist ein Forscher durch und durch – und wirkt trotz seiner 75 Jahre kein bisschen müde. “Das wertvollste Gut im Leben eines jeden Menschen ist die Zeit. Ich verstehe nicht, dass man sich langweilen kann”, sagte Sandhaus.

Noch immer erfüllt er eine Professur an der Universität Pierre et Marie Curie, Paris VI und widmet sich seiner Arbeit an dem von ihm gegründeten Bildungs-Institut in Lausanne, dem “Forum Odontologicum”.

Wer ihn dort besucht, findet einen Raum, dessen Wände von akademischen Honorationen geradezu überquellen. Darunter vier Ehrendoktorwürden sowie ein Anerkennungs- und Förderpreis der Unesco. “Ich bin all diesen Urkunden nie nachgerannt”, pflegt Sandhaus bescheiden abzuwinken. “Die haben sich im Laufe der Zeit einfach so angesammelt. Man kann den Erfolg ebenso wenig planen wie das Leben.”

Lebens-Odyssee

Als Jude weiss Sandhaus, wovon er spricht, wenn er über die Unwägbarkeiten des Lebens philosophiert: Seine Jugend war aufgrund seiner jüdischen Abstammung eine eigentliche Odyssee.

Sandhaus wurde 1927 in der westukrainischen Stadt Czernowitz geboren, damals eine Hochburg jüdischer Kultur. Nach dem Überfall Hitler-Deutschlands auf die Sowjetunion im Sommer 1941 geriet Sandhaus zusammen mit Tausenden anderen Juden in Gefangenschaft. “Die Erinnerung an die Schrecken des Konzentrationslagers schmerzen mich noch heute, Jahrzehnte später.”

Im Unterschied zu den allermeisten Schicksalsgenossen vermochte Sandhaus zu fliehen – und entging dadurch der sicheren Vernichtung. Er schlug sich nach Rumänien durch, gelangte 1948 in das eben gegründete Israel, später nach Deutschland, wo er sich zum Zahnmediziner ausbildete.

1959 zog es Sandhaus in die Schweiz. Seit den siebziger Jahren besitzt er einen roten Pass. “Ich hätte auch in die USA auswandern können. Ich wählte aber die Schweiz, weil dies ein Land ist, wie ich es mir punkto Ehrlichkeit und Sauberkeit immer wünschte”, sagte Sandhaus. “Ich habe der Schweiz viel zu verdanken: Hier konnte ich mich als Wissenschaftler entwickeln, und hier fühlte sich meine Familie wohl.”

Zurück zu den Wurzeln

Anfang September erfüllte sich Sami Sandhaus seinen lange gehegten Wunsch, nochmals das Land seiner Jugend, die Ukraine, zu sehen. Um die Orte zu besuchen, wo er Freude und grosses Leid erlebte – und um dortigen Zahnmedizinern seine wissenschaftlichen Erkenntnisse weiterzugeben.

Sandhaus’ Besuch stiess in der Ukraine auf bemerkenswertes mediales Interesse: Presse und Fernsehen berichteten über die Ankunft des “Meisters des Zirkoniums” in Kiev.

“Für die Ukraine ist der Austausch mit ausländischen Wissenschaftlern wie Sami Sandhaus von grossem Wert”, erklärte Nina Gojda vom staatlichen Gesundheits-Ministerium. “Unser Gesundheits-System unterliegt seit der Unabhängigkeit von der Sowjetunion 1991 einem umfassenden Wandel. Es muss in Zukunft europäischen Ansprüchen genügen. Da sind uns derartige Kontakte natürlich willkommen.”

Zirkonium ja, aber…

Sandhaus’ Hauptforderung, das Metall aus der Zahnmedizin zu verbannen und durch Zirkonium zu ersetzten, hält Nina Gojda derzeit allerdings für wenig realistisch: “Ich weiss nicht, ob es besser wäre, statt Titan Zirkonium zu verwenden. Jedenfalls hat die Ukraine im Moment wesentlich dringendere Probleme zu lösen: Tuberkulose, Krebs, Schutz der Mutterschaft…”

Ähnlich zurückhaltende Reaktionen löste ein Vortrag aus, den Sandhaus an der Kiever Hochschule für Sport vor rund 120 ukrainischen Zahnspezialisten hielt. “Ich habe heute zum ersten Mal in meinem Leben von Zirkonium gehört”, gestand ein Zahnarzt aus Odessa. Er müsste mehr darüber wissen, bevor er dem Metall abschwören könnte.

Es sei ihm völlig neu, dass metallische Implantate dem Organismus schaden könnten, erklärte ein Zahntechniker aus Sevastopol auf der Krim. Und: “Bei uns gibt es ohnehin verhältnismässig wenig Implantate. So teure Operationen kann sich bei unserer Wirtschafts-Lage kaum jemand leisten.”

Überzeugen liess sich hingegen Miron Ugrin, Präsident der ukrainischen Implantologen-Gesellschaft: “Ich bin mit Sandhaus völlig einverstanden. Metall hat im Mund nichts zu suchen. Damit sich diese Einsicht jedoch an der Zahnarzt-Basis durchsetzt, braucht es einen Mentalitäts-Wandel. Und das kann dauern.”

Austausch statt Predigt

Und wie bewertete der Meister selbst seinen Auftritt? “In der Ukraine steckt die Implantologie noch in den Kinderschuhen”, sagte Sandhaus. “Es ist noch nicht entschieden, in welche Richtung sie sich entwickeln wird. Diese Weichenstellung liegt nicht an mir.” Und fügte an, er sei “nicht als Prediger” in die Ukraine gereist.

Immerhin: Die ukrainische Seite signalisierte während Sandhaus’ einwöchigem Besuch, dass sie das “Forum Odontologicum” in Lausanne besuchen möchte.

Für Sandhaus ein Grund zur Hoffnung: Offensichtlich bestehe ein Interesse an der Fortsetzung des gegenseitigen Kontakts. “Ich werde den Ukrainern alles zeigen, was sie sehen wollen – und ich komme auch in die Ukraine zurück, wenn dies gewünscht wird.”

swissinfo/Felix Münger, Kiev

Der Lausanner Zahnmediziner Sami Sandhaus wurde 1927 in Czernowitz (Ukraine) geboren.

Wie Tausende andere Juden verschleppten ihn die Nazis 1941 ins KZ. Sandhaus gelang die Flucht.

Nach dem Krieg studierte er in Deutschland und gelangte Ende der fünfziger Jahre in die Schweiz, wo er seither als Wissenschaftler wirkt.

Als eine seiner grössten Leistungen gilt, dass er das Zirkonium für die Zahnmedizin nutzbar machte.

Im September 2002 besuchte Sandhaus zum ersten Mal seit 59 Jahren seine Heimat. In Kiev suchte er den Dialog mit ukrainischen Zahnmedizinern.

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