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Wenn Täter und Opfer gemeinsam Antworten suchen

Es gibt verschiedene Wege, Jugendliche nach einer solchen Tat zur Vernunft zu bringen zu versuchen. (Gestellte Szene) Keystone

Das neue Jugendstrafrecht wird einerseits strenger. Es werden aber auch markante Neuerungen einführt, wie die Mediation.

Erziehung und soziale Integration vor Strafe – so lautet der Grundgedanke des neuen Jugendstrafrechts. Zur Sorge der bürgerlichen Mehrheit in der Grossen Kammer. Diese befürchtete ein “zu weiches” Gesetz und warnte vor einem “Jugendhilfegesetz” oder “Jugendwohlfahrtsgesetz”.

Das Wichtigste in Kürze

Doch die Angst war unbegründet. Die Grosse Kammer beschloss, Jugendliche schwer zu bestrafen bei schwersten Straftaten. Der maximale Freiheitsentzug für junge Menschen zwischen 16 und 18 Jahren wurde von einem auf vier Jahre erhöht.

Bedingungen für Haftentlassungen sollen alle sechs Monate überprüft werden, statt nur alle Jahre. Der Grund: Die Persönlichkeit Jugendlicher befindet sich in diesem Alter besonders stark im Wandel.

Das so genannte Strafmündigkeitsalter wurde von 7 auf 10 Jahre erhöht. Praktiker wünschten sich 14 Jahre, in den USA und in England können Kinder als Erwachsene behandelt werden.

Jugendliche sollen in einer besonderen Abteilung der Haftanstalt getrennt von den erwachsenen Strafgefangenen untergebracht werden.

Reden und begreifen – die Mediation

Unumstritten und doch revolutionär ist die Einführung der Mediation im Jugendstrafrecht. Was bisher immer wieder versuchsweise durchgeführt wurde, wird nun im Gesetz aufgenommen: Täter und Opfer setzen sich zusammen und suchen eine Lösung. Einigen sie sich, wird das Strafverfahren gegen den Täter eingestellt. Voraussetzung ist, dass alle Parteien einverstanden sind.

Was in der Schweiz wenig bekanntes Terrain ist, ist in Österreich nicht mehr wegzudenken. Seit 1989 ist der “Aussergerichtliche Tatausgleich” (ATA) im Jugendgerichtsgesetz integriert. Die Erfahrungen sind, laut Christoph Koss, Leiter des Fachbereiches ATA für Österreich, durchwegs positiv zu bewerten.

Verarbeiten und lernen im Gespräch

Das Opfer werde bei einer Mediation nicht nur auf die Rolle des Zeugen, der Zeugin beschränkt. Es könne den Täter konfrontieren: “Die Frage des Warum spielt immer wieder eine wichtige Rolle”, so Koss gegenüber swissinfo. “Weshalb bin gerade ich Opfer geworden?”

Gleichzeitig wird die Täterin, der Täter mit der Tat konfrontiert. “Der Täter lernt was der Normbruch bedeutet.” Für Jugendliche seien Normen etwas Abstraktes, die im Gesetz geregelt sind. Diese vom Richter in Fachjargon erklärt, würden von Jugendlichen oft nicht verstanden.

“Aber wenn er mit dem Opfer konfrontiert ist, dann kapiert er, was da passiert ist. Innerhalb weniger Sekunden kriegt er mit, was es heisst, eine Spielregel zu verletzen.” Der Täter erfährt, wie sich das Opfer fühlt. Und das Opfer hört, wie der Täter sich zu seiner Tat stellt. Das sei oft sehr erschütternd – für den Täter, die Täterin.

Die Mediation, sei eine Massnahme mit Zukunftsperspektive. “Die Leute leben ja weiterhin zusammen, in der gleichen Ortschaft. Sehen sich tagtäglich. Ein Teil des ATAs ist auch die Frage: Wie geht man in Zukunft miteinander um?”

Jugendstrafrecht – Pionierrolle

Schon länger nimmt das Jugendstrafrecht in der Schweizer Justiz eine Vorreiterrolle ein. Mit der Mediation kommt nun eine Neuerung hinzu. Die Mediation findet ausserhalb des Strafverfahrens statt. Durchgeführt wird sie von Fachpersonen.

Der Erfolg wird wohl nicht lange auf sich warten lassen. Eine Studie im Tirol hat die Opfer-Zufriedenheit untersucht. Resultat: Nach 4 Jahren sind über 80% der jugendlichen Opfer mit der Mediation zufrieden.

Rebecca Vermot und Agenturen

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