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Wer folgt auf Bernard Bertossa?

Der bürgerliche Daniel Zappelli (links) und Jean-Bernard Schmid von der Links-Allianz wollen auf Bertossas Platz - allerdings mit unterschiedlichen Prioritäten. Keystone

Der Genfer Generalprokurator hat eine Machtfülle wie kein anderer Strafverfolger der Schweiz. Ob dies auch nach Bertossas Abschied so bleiben wird, ist ungewiss.

Das gibt es sonst nirgends in der Schweiz: Alle sechs Jahre kann in Genf das Volk an der Urne über die Kriminalitätspolitik bestimmen. Es kann sagen, ob die Strafverfolgungs-Behörden vor allem gegen Kleinkriminelle oder vor allem gegen mutmassliche Geldwäscher wie Borodin, Mikhailov, Abacha oder Salinas vorgehen sollen.

12 Jahre lang hat sich der Rhonekanton für den Kampf gegen die Geldwäscherei und das organisierte Verbrechen entschieden, denn zwei Mal hinter einander hat das Genfer Volk den SP-Mann Bernard Bertossa gewählt.

Diesen Sonntag stimmt es wieder ab: Für Jean-Bernard Schmid, Bertossas Zögling, 49, Kandidat des linken Wahlbündnisses “Alliance de Gauche” und Garant für die Fortführung von Bertossas Kampf gegen die Geldwäscherei.

Oder für Daniel Zappelli, 38, den Kampfkandidaten der Genfer FDP und der Liberalen Partei, erstinstanzlicher Richter und vor seiner Kandidatur völlig unbekannt.

Genfer Wirtschaft-Anwälte wären froh über Wechsel

Zappelli will vor allem die Kleinkriminalität bekämpfen. Und macht damit den Genfer Wirtschafts-Anwälten einen Gefallen, die wollen, dass der Generalprokurator die ausländischen Investoren nicht ständig mit Geldwäschereiuntersuchungen belästigt.

“Es gibt einige Kunden, die den Finanzplatz Genf zu meiden begannen wegen der übertriebenen Untersuchungen von Geldwäscherei und jetzt mit ihren Geldern in andere Länder wie zum Beispiel England, Luxemburg oder Liechtenstein gehen”, sagt etwa Rechtsanwalt Dominique Poncet.

Macht dank Volkswahl

Die Wahl im Rhonekanton ist nicht nur eine Genfer Angelegenheit. Sie betrifft die ganze Schweiz. Denn der Genfer Generalprokurator hat eine einzigartige Stellung: “Durch die Volkswahl hatte ich als Generalprokurator die gleiche Legitimation wie das Parlament, die Regierung und die übrige Justiz”, erklärt Bertossa seinen grossen Spielraum.

Das unterscheidet den Genfer Generalprokurator zum Beispiel vom ersten Staatsanwalt des Kantons Zürich, dem der Justizdirektor die justizpolitischen Weichenstellungen vorgibt, oder auch von Bundesanwalt Valentin Roschacher, der ins (nationale) Justizministerium eingebunden ist.

Gestützt durch seine Volkswahl und Unabhängigkeit hat Bertossa vorgeführt, was die Schweiz im Kampf gegen Geldwäscherei unternehmen kann, wenn sie will.

Wird der bürgerliche Kandidat Daniel Zappelli Nachfolger Bertossas, so wird Genf seine nationale und internationale Vorreiterrolle verlieren. “Als Generalprokurator bin ich Genfer Beamter und kümmere mich zuallererst um Genf”, sagte Zappelli Schweizer Radio DRS zu Beginn seines Wahlkampfs.

Wird hingegen der linke Kandidat Schmid gewählt, will er die Geldwäscherei wie Bertossa aktiv angehen. “Wir dürfen im Bereich der Geldwäscherei nicht warten, bis die Banken uns Meldung erstatten. Von der Polizei und aus der Presse haben wir Informationen, denen wir nachgehen müssen. Auch komplexe internationale Verfahren müssen wir an die Hand nehmen.”

Geringere Kompetenzen für neuen Generalprokurator…

Schmids Programm hat nur einen Haken: Seit dem 1. Januar 2002 sind die Kompetenzen zur Bekämpfung von Geldwäscherei und organisierter Kriminalität zum Teil auf den Bund übergegangen. Ein zweiter Bertossa ist deshalb unter Umständen nicht mehr möglich.

Bertossa widerspricht: “Selbst mit dieser neuen Kompetenzordnung wird sich nicht viel ändern. Wenn der Genfer Generalprokurator ein Verfahren eröffnen will, kann er das auch in Zukunft tun”, meint er.

… oder weiterhin Raum für eigene grosse Verfahren?

“Die gesetzlichen Bestimmungen sind so unscharf formuliert und die Bundesanwaltschaft so überlastet, dass für den Genfer Generalprokurator viel Raum bleibt für eigene Verfahren selbst von internationaler Bedeutung”, ist Bertossa überzeugt.

Als Beleg für die Richtigkeit seiner Überlegungen, fügt der abtretende Generalprokurator an, dass seit Anfang Jahr bloss zwei Rekurse gegen Verfahren der Genfer Behörden gemacht wurden mit der Begründung, nicht mehr Genf, sondern Bern sei jetzt zuständig.

Ähnlich sieht das der Kandidat Schmid, der von “ein paar wenigen Fällen” spricht, die Genf unter der neuen Kompetenzverteilung an den Bund abtreten müsste. Kandidat Zappelli ist da anderer Meinung: “Jetzt hat der Bund die Führungsrolle im Kampf gegen Geldwäscherei.”

Bundesanwalt Valentin Roschacher will von dieser Führungsrolle zur Zeit noch nichts wissen. Auf die Frage, ob er die allfällige Lücke schliessen will, die Bertossas Abgang hinterlässt, meint er: “On verra – um es in der Art Bertossas zu sagen, wenn er entsprechende Fragen von Journalisten zu beantworten hatte.”

Dominique Strebel

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