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Wiederaufbau im Zentrum der Karsai-Visite

Bundespräsident Couchepin und der afghanische Präsident Karsai (re) schreiten die Ehrengarde ab. Keystone

Der afghanische Präsident Hamid Karsai führte am Freitag in Bern Gespräche mit der Schweizer Regierung. Zentrale Themen waren der Wiederaufbau in Afghanistan und die bilateralen Beziehungen.

Zur Sprache kam auch die Sicherheitslage in Afghanistan.

Karsai und seine Delegation trafen mit Bundespräsident Pascal Couchepin und Aussenministerin Micheline Calmy-Rey zusammen. Nach den Gesprächen erklärte Karsai vor den Medien, sein Land sei dankbar für die Hilfe der Schweiz.

“Die Schweiz gehört zu den Ländern, die Afghanistan seit Jahrzehnten unterstützen”. Gleichzeitig dankte Karsai auch dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) für dessen “grossartige Arbeit”.

Karsai verwies darauf, dass die Schweiz Afghanistan im letzten Jahr mit rund 21 Mio. Franken unterstützt hatte. Dieses Niveau werde für das laufende Jahr aufrecht erhalten, erklärte Couchepin.

Langes Engagement

Die Schweiz engagiert sich in dem von mehr als 20 Jahren Krieg zerstörten Land vor allem in Bereich der Menschenrechte und der friedensfördernden Aktivitäten. So beteiligt sie sich unter anderem an der Ausarbeitung einer Verfassung.

Karsai würdigte diese politische Expertise als Beispiel für die wertvolle Unterstützung der Schweiz. Über den Verfassungs-Entwurf soll ab Herbst die Stammesversammlung, die Loya Jirga, befinden. Dies soll nach dem Willen der afghanischen Regierung den Weg frei machen für Wahlen im kommenden Jahr.

Bei dem Treffen wurde auch darüber gesprochen, wie die Schweiz Afghanistan in Zukunft weiter helfen kann.

Er sehe viele Bereiche, sagte Karsai. “Besonders interessieren uns aber Ausbildungs-Möglichkeiten und -Stipendien, der Energiesektor und die Medikamentenproduktion.”

Kein Fortschritt ohne Sicherheit



Karsais Besuch erfolgte zu einer Zeit, in der Irak Afghanistan aus den Schlagzeilen verdrängt hat. Und dies, obwohl die Lage alles andere als ruhig ist. So gab es schon Anschläge gegen Karsai selber.

In letzter Zeit hatten sich auch Schweizer Hilfsorganisationen und Sicherheits-Experten besorgt gezeigt über die andauernde Gewalt in Teilen des Landes.

“Die Taliban sind weg, die Terroristen haben sich in ihre Schlupfwinkel zurückgezogen, aber natürlich haben wir noch immer Probleme”, sagte Karsai in dem Zusammenhang. Der weltweite Kampf gegen den Terrorismus sei noch lange nicht vorbei.

Dennoch komme Afghanistan langsam wieder auf eigene Füsse zu stehen, das politische Leben nehme Form an, zeigte Karsai sich optimistisch. Der Aufbau von Polizei, Streitkräften und der Verwaltung sei im Gange. “Aber natürlich gibt es noch viel zu tun.”

ISAF und Hilfswerke im Visier

In den letzten Monaten hatten sich Meldungen über Angriffe auf die internationale UNO-Schutztruppe, die ISAF, gehäuft. Anfang Juni waren bei einem Selbstmord-Anschlag in Kabul vier deutsche Soldaten getötet worden.

Auch Nichtregierungsorganisationen gerieten ins Visier der ISAF-Gegner. Im März wurde ein Mitarbeiter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) bei einem Anschlag getötet. Einige Hilfswerke setzten ihre Arbeit in den vergangenen Wochen teilweise aus.

Die Angriffe werden meist lokalen Kriegsfürsten und Anhängern der vertriebenen Taliban (und der El Kaida) zur Last gelegt.

Schuld der Warlords?

So erklärte Major Ralph Ganter, einer der zwei in Afghanistan bei der ISAF stationierten Schweizer Offiziere, dass so genannte Warlords, die Teile des Landes unter Kontrolle hätten, für einen Teil der Gewalt verantwortlich seien.

Der Schweizer Sicherheits-Experte Albert Stahel hingegen sieht die Warlords nicht als Hauptursache. Das Hauptproblem sei, dass die ISAF die Kontrolle bisher nicht an die Afghanen übergab.

Dies führe zu Spannungen in der Bevölkerung. “Wenn Washington seine Politik nicht ändert, versinkt das Land im Chaos”, warnt Stahel.

Freude währte nicht lange

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes hatte es vor allem für die Frauen Erleichterungen gegeben. So sind sie seither nicht mehr gezwungen, die Burka zu tragen, den traditionellen Umhang. Und Mädchen dürfen wieder zur Schule gehen, was die Taliban ihnen verwehrt hatten.

Doch die Freude währte nicht lange. Mit den neuen Freiheiten kamen neue Gefahren und neue Risiken im täglichen Leben, wie Sima Samar, Leiterin der ersten unabhängigen Menschenrechts-Kommission Afghanistans, gegenüber swissinfo erklärt.

“Frauen haben mehr Probleme, denn die mangelnde Sicherheit schränkt ihre Bewegungsfreiheit mehr ein als jene der Männer.”

So würden auch heute viele Mädchen nicht zur Schule gehen. Die oft langen Fussmärsche hin und zurück sowie die mangelnde Infrastruktur seien ein zu grosses Risiko, sagt Sima Samar.

Wunden verheilen nur langsam



Auch Susanne Schmeidl von Swisspeace, verweist auf die tägliche Gewalt. Es sei der ISAF zwar gelungen, in Kabul für Ruhe und Ordnung zu sorgen, ausserhalb der Hauptstadt sehe es aber ganz anders aus. “Die Sicherheitslage hat sich deutlich verschlechtert.” Vor allem im Norden und Süden sei es unsicher geworden.

Karsai erklärte, die Arbeitsbedingungen für die Hilfswerke seien besser, als dies Medienberichte erahnen liessen. Davon habe er sich selber überzeugt, als er Provinzen ausserhalb Kabuls besucht habe.

Eines ist klar, Afghanistan nach all den Jahren des Kriegs zur Normalität zurückzuführen, braucht viel Geduld. Suzanne Schmeidl von Swisspeace: “Es braucht Zeit, eine Zivilgesellschaft aufzubauen. Das Land hat eine oder zwei Generationen im Krieg verloren. Zur Errichtung einer Zivilgesellschaft wird es eine oder zwei Generationen brauchen.”

swissinfo, Rita Emch

Die Schweiz ist seit mehr als 20 Jahren in Afghanistan aktiv.
2002: Hilfe im Wert von 21 Mio. Franken
16 Mio. davon für humanitäre Hilfe
Budget 2003: ca. 21 Mio. Franken
DEZA-Koordinationsbüro in Kabul.
2 Schweizer Offiziere bei der ISAF

Afghanistan ist schwer gezeichnet von mehr als 23 Jahren Krieg. Grosse Teile der Infrastruktur sind zerstört oder beschädigt, Minen erschweren Aufbauarbeit zusätzlich.

Nur etwa 23% der Bevölkerung haben Zugang zu sauberem Trinkwasser, nur gerade 12% zu einer Kanalisation.

Afghanistan hat auch eine der weltweit höchsten Sterblichkeits-Raten bei Müttern, Kindern und Säuglingen. Zudem gibt es etwa eine Million Witwen, deren Lebensumstände äusserst prekär sind.

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