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Schweiz büsst Vorsprung auf EU ein

Im europäischen Vergleich arbeiten Angestellte in der Schweiz weiterhin unter guten Bedingungen. Doch hat die Schweiz in mehreren Aspekten ihre Spitzenposition eingebüsst. So haben körperliche Belastungen zugenommen und der Gestaltungsspielraum abgenommen.

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“Die guten Neuigkeiten sind, dass sich die Schweizer Arbeitnehmer guter Gesundheit erfreuen – im europäischen Vergleich liegen die Werte über dem Durchschnitt”, sagt Maggie Graf vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) vor den Medien in Bern.

Dort stellte die Leiterin des Ressorts Grundlagen Arbeit und Gesundheit die Ergebnisse der 6. Europäischen Erhebung über die Arbeitsbedingungen vor. Die Schweiz nimmt seit 2005 daran teil.

Die Zufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen ist weiterhin hoch: Knapp neun von zehn Befragten gaben an, mit ihren Arbeitsbedingungen zufrieden oder sehr zufrieden zu sein. Allerdings hat die Schweiz in mehreren Aspekten ihren Vorsprung eingebüsst.

Mehr schmerzhafte Körperhaltungen

Besonders ungünstig entwickeln sich die physischen Belastungen. 2015 klagten mehr Beschäftigte als noch 2005 über schmerzhafte Körperhaltungen und stets gleiche Hand- oder Armbewegungen. Diese Belastungen nahmen im zweistelligen Prozentbereich zu, wie aus der repräsentativen Befragung von 1006 abhängig Beschäftigten hervorgeht. Im europäischen Vergleich hat die Schweiz damit ihren Spitzenplatz aus dem Jahr 2005 verloren.

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Weiter haben die Arbeitnehmenden heute markant weniger Gestaltungsspielraum bei der Arbeit als noch vor zehn Jahren. So hat mit 48,8 Prozent weniger als die Hälfte die Möglichkeit, eigene Ideen umzusetzen. 2005 waren es noch 61,9 Prozent. Ebenso können die Pausen sowie das eigene Arbeitstempo seltener frei gewählt werden.

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Auch bei der Qualität der Arbeit haben die Angestellten Abstriche gemacht. Jede dritte Person gibt an, dass ihre Arbeit eintönige Aufgaben beinhaltet, 2005 war es noch jeder vierte bis fünfte.

Verbesserungen bei Druck

Allerdings gab es auch positive Entwicklungen in den letzten zehn Jahren. Verbessert haben sich die Arbeitsbedingungen in der Schweiz bei psychosozialen Faktoren wie Termindruck. Diese haben sich dem europäischen Mittel angenähert.

Psychosoziale Aspekte der Gesundheit wie Stressmechanismen und die Arbeitsorganisation bilden derzeit einen Vollzugsschwerpunkt bei der Gesundheit am Arbeitsplatz. Die kantonalen Arbeitsinspektoren wurden diesbezüglich geschult und auf das Thema sensibilisiert. Bei ihren Kontrollen sollen sie darauf ein besonderes Augenmerk legen. Zusätzlich wurde Informationsmaterial für die Unternehmen erstellt.

“Wir glauben, dass ein Zusammenhang besteht zu den Verbesserungen”, sagt Pascal Richoz, Leiter des Leistungsbereichs Arbeitsbedingungen und Mitglied der Geschäftsleitung beim Seco. Trotz Verbesserungen: Mehr als 60 Prozent der Erwerbstätigen geben an, mindestens ein Viertel der Zeit mit hohem Arbeitstempo oder unter Termindruck zu arbeiten.

Gewerkschaften schlagen Alarm

Gewerkschaften zeigen sich über die Entwicklungen beunruhigt. Der hohe Druck auf die Arbeitnehmenden manifestiere sich in hoher zeitlicher Belastung bei gleichzeitig abnehmender Mitbestimmung, schreibt die Unia. Sie beklagt eine einseitige Flexibilisierung zu Lasten der Arbeitnehmenden.

Die Unia, der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) und der Arbeitnehmerdachverband Travail.Suisse bekräftigen, parlamentarischen Vorstössen wie der Lockerung der Arbeitszeiterfassung den Kampf anzusagen. Der SGB kritisiert zudem, dass in der Schweiz seltener als in der EU Massnahmen zur Prävention beispielsweise von Stresserkrankungen getroffen würden.

Auch beim Seco sieht man Verbesserungsbedarf bei der Prävention. Mit Verweis auf die demografische Entwicklung warnt das Seco, dass in Zukunft mit grosser Wahrscheinlichkeit mehr Leute mit nicht optimalem Gesundheitszustand arbeiten würden, wenn die Gesundheit nicht besser geschützt werde als heute. Denn gemäss der Umfrage stufen fast neun von zehn Erwerbstätigen ihre allgemeine Gesundheit als gut oder sehr gut ein – bei den über 55-Jährigen sind es jedoch nur rund acht von zehn.

Gesundheitsprävention am Arbeitsplatz werde hierzulande noch viel zu häufig als Nebensache oder gar als überflüssige Reglementierung betrachtet, schreibt Richoz in einem Dossier zum Thema in der jüngsten Ausgabe von “Die Volkswirtschaft”. Anders als bei der Unfallprävention bestehe etwa bei den psychosozialen Risiken zwischen der Gesundheitsprävention am Arbeitsplatz und den Kranken- und Sozialversicherungen keine Zusammenarbeit.

Richoz schlägt deshalb vor, das Mandat der Eidgenössischen Koordinationskommission für Arbeitssicherheit (Ekas) auszuweiten. Diese ist bisher für die Kontroll- und Präventionstätigkeiten gemäss dem Unfallversicherungsgesetz zuständig. In dieser Frage müsse jedoch zuerst ein minimaler Konsens zwischen den Sozialpartnern und auf politischer Ebene gefunden werden.

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