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Ökologischer Beitrag oder profitables Geschäft?

Internationaler Mülltransport ist immer noch ein gutes Geschäft - hier die "Emma Maersk", das grösste Containerschiff der Welt. Ex-press

Der grenzüberschreitende Verkehr mit Abfällen ist heute ein weltweites Geschäft und manchmal sogar ökologisch sinnvoll. Wichtig dabei ist, dass Probleme künftig effizient und international koordiniert gelöst werden.

Neapel, Januar 2008: In der süditalienischen Stadt haben sich rund 110’000 Tonnen Müll angehäuft. 14 Schweizer Betreiber von Kehrichtverbrennungs-Anlagen (KVA) sind im Gespräch mit den Behörden Neapels, um die Abfälle zu importieren. Die Schweizer Entsorger sind aber nicht allein mit ihrer Offerte: Auch Konkurrenten aus andern Ländern interessieren sich.

Eine Einfuhr mache durchaus Sinn, weil die Schweiz so die vorhandenen Kapazitäten ihrer Verbrennungsanlagen optimal ausnützen könnte, hiess es damals beim Bundesamt für Umwelt (Bafu) gegenüber swissinfo.ch. Der Müllimport sei längerfristig betrachtet zwar keine Lösung, doch kurzfristig könne damit eine Umweltverschmutzung verhindert werden.

Kurzfristig betrachtet sei es sicher besser, den Müll in Schweizer Anlagen zu verbrennen als auf offener Strasse in Italien, hiess es beim WWF Schweiz. Falsch wäre es aber, die Kapazitäten in der Schweiz zu erhöhen, um aus wirtschaftlichen Gründen ausländischen Müll zu verbrennen.

Das Geschäft mit dem Müll aus Neapel kam dann nicht zustande. Der Müll wurde in Italien selbst deponiert.

Sinnvolle Mülltransporte

Der internationale Verkehr mit Abfällen ist heute ein lukratives Geschäft. In einer Schweizer KVA (Bazenheid SG) kostete vor wenigen Jahren die Entsorgung einer Tonne Hausmüll 250 Franken. Die Verbrennung von 110’000 Tonnen hätte also 27 Millionen Franken eingebracht.

“Natürlich macht es am meisten Sinn, den Abfall dort zu entsorgen, wo er anfällt”, sagt heute Felix Meier vom WWF Schweiz. “Ist dies aber nicht umweltgerecht möglich, sind grenzüberschreitende Mülltransporte sogar bei grossen Distanzen, wie das mit Neapel der Fall gewesen wäre, sinnvoll. Vor allem auch dann, wenn die sauberen Schweizer KVA noch Kapazität haben”, so Meier gegenüber swissinfo.ch.

Der grenzüberschreitende Verkehr von Abfällen ist im Basler Übereinkommen geregelt, das auch für die Schweiz gilt. “Die Vereinbarung sieht eine Entsorgungsautonomie vor, welche in der Schweiz umgesetzt wird, unter anderem beim Export: Zum Beispiel sind Exporte von Siedlungsabfällen oder Exporte von Abfällen zur Entsorgung in Oberflächendeponien nicht zugelassen”, sagt André Hauser vom Bafu gegenüber swissinfo.ch.

Umgekehrt sei die Entsorgungsautonomie auch beim Import umgesetzt. Der Import von Abfällen zur Ablagerung in Schweizer Deponien ist nicht zugelassen. “Sofern die Kapazität, die Technologie vorhanden ist, soll es jedoch möglich sein, Abfälle zu importieren. Gerade bei Siedlungsabfällen ist eine Verbrennung nach dem Stand der neusten Technik besser für die Umwelt als eine Deponierung.”

Risiko Transportsicherheit

Die Schweiz exportiert jedes Jahr rund 500’000 Tonnen Sondermüll und importiert knapp über 30’000 Tonnen davon. Das sind Verschiebungen von gefährlichen Abfällen. Wie steht es mit der Transportsicherheit?

“Das Gefahrgutrecht soll die Sicherheit beim Transport auf Strasse oder Schiene garantieren. Wenn es also um entsprechende Abfälle geht, sind diese Vorschriften bezüglich Verpackung und anderen Rahmenbedingungen zu beachten”, sagt André Hauser.

Für Sondermüll gebe es seit mehr als zehn Jahren eine internationale Vereinbarung, wonach der Exporteur für den Transport und die saubere Entsorgung des Abfalls zu sorgen habe beziehungsweise dafür hafte, sollte etwas schief gehen, erklärt Felix Meier vom WWF Schweiz. “Dies ist zwar keine absolute Garantie, nimmt die Exporteure jedoch stark in die Pflicht.”

Grundsätzlich sei es sinnvoller, grenzüberschreitenden Verkehr mit Abfällen auf der Schiene durchzuführen, sagt André Hauser. “Im Abfallrecht gibt es allerdings keine Bestimmungen, die das verlangen. Wir prüfen einfach, ob die Entsorgung an sich umweltverträglich ist.”

Für Felix Meier hat die Bahn gerade in Fragen der Ökologie und Sicherheit “die Nase klar vorne”. Hier könnte der Staat die Bahn mehr fördern und auch die Sicherheitsanforderungen an Güterwagen überprüfen, meint der WWF-Vertreter.

Wieso exportiert Recycling-Weltmeister Schweiz Müll?

Die Schweiz gilt quasi als Recycling-Weltmeister. Und dennoch exportiert das Land weiterhin Müll.

Für André Hauser ist der Export von Abfällen in bestimmten Fällen durchaus sinnvoll, “vor allem, wenn es um Recycling geht”. Bei Edel- oder seltenen Metallen habe die Schweiz wenig solche Möglichkeiten, dafür gebe es nur im Ausland spezialisierte Anlagen, und weltweit erst noch wenige. “Auch wenn man an die Sanierungen von grösseren Altlasten (mehrheitlich verschmutztes Aushubmaterial) denkt, die zur Zeit in der Schweiz stattfinden, gibt es bei uns zu wenig Kapazitäten, um diese Abfälle nach dem Stand der neusten Technik zu behandeln.”

Das Gesetz sehe aber vor, dass man Abfälle grundsätzlich in der Schweiz entsorgen soll. “Siedlungsabfälle, Klärschlamm und brennbare Bauabfälle darf man gar nicht exportieren”, so Hauser.

“Die Schweiz zählt zu jenen Ländern, in denen grosse Mengen an Müll anfallen. Sie entsorgt den Haushaltmüll heute praktisch zu 100% in fortschrittlichen KVA”, sagt Felix Meier. “Recyclingware, wie zum Beispiel der heute wichtige Rohstoff Altpapier, gelangt zum Teil ins Ausland und wird dort als solcher eingesetzt.”

Bei Abfall, der in kleineren Mengen anfalle, wie zum Beispiel einzelner Sondermüll, lohne es sich oft nicht, eine eigene Entsorgungsanlage zu bauen, sei dies zum Verbrennen oder Deponieren. “Da gibt es im Ausland zum Teil ebenso gute und kostengünstigere Möglichkeiten”, so Meier.

Abfall wird zur Goldgrube

André Hauser vom Bafu glaubt an die Zukunft des zusehends internationaleren Müllgeschäfts. “Für kleine Mengen von Sonderabfällen lohnt sich unter Umständen ein Transport in eine spezialisierte Anlage im Ausland.” Bei Massenabfällen müsse beachtet werden, dass diese vor allem im Inland oder mindestens grenznah entsorgt würden.

“Mit dem riesigen Konsum von Gütern verbrauchen wir dreimal so viel, wie unser Planet langfristig hergibt. Unsere Ressourcen werden also immer knapper und damit teurer werden”, sagt Felix Meier vom WWF Schweiz. Die Nutzung des Abfalls als Quelle für neue Ressourcen nehme deshalb stark zu.

“So ist zum Beispiel der Gehalt an Gold in unseren Handys höher als in den meisten Goldminen. Damit verbunden entwickelt sich auch der Abfall zu einem Handelsgut, das heisst, er wird zur Goldgrube. Heute haben relativ saubere Sammelwaren wie Papier, Aluminium, Batterien bereits einen guten Markt, der auch der Umwelt nützt”, so Meier.

Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 25. April 2012 grünes Licht gegeben für die Mitgliedschaft des Bundesamts für Umwelt (Bafu) im Europäischen Netzwerk für die Anwendung und Durchsetzung des EU-Umweltrechts (Impel).

Impel ist eine privatrechtliche Vereinigung ohne Weisungsbefugnis, die sich zum Ziel gesetzt hat, den Vollzug des europäischen Umweltrechts zu verbessern. In diesem informellen Organ werden Empfehlungen und andere Massnahmen erörtert und ausgearbeitet. Impel konzentriert sich unter anderem auf den grenzüberschreitenden Verkehr mit Abfällen.

Statt mit vielen einzelnen nationalen und regionalen Behörden zu verhandeln, kann das Bafu als Mitglied von Impel Probleme beim grenzüberschreitenden Verkehr mit Abfällen künftig effizient und koordiniert lösen.

Beim Bafu gehen jährlich gegen 650 Gesuche für den Export und 250 Gesuche für den Import von Abfällen ein. Die Schweiz exportiert jedes Jahr rund 500’000 Tonnen Sonderabfälle und andere kontrollpflichtige Abfälle nach dem Basler Übereinkommen über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung.

(Quelle: Bafu)

Siedlungsabfall enthält Haushaltmüll, darunter Sperrmüll, ähnlichen Abfall aus Geschäftswelt und Handel, Bürogebäuden, Institutionen und Kleinbetrieben, ferner Hof- und Gartenabfälle, Strassenabfälle, Abfälle aus Müllcontainern sowie Marktabfälle.

Verbrannter Siedlungsabfall: 2,76 Mio. Tonnen

Wiederverwerteter Siedlungsabfall: 2,808 Mio. Tonnen

Gesamter Siedlungsabfall: 5,568 Mio. Tonnen

Giftmüll (inklusive exportierte Giftabfälle): 1,784 Mio. Tonnen

Klärschlamm: 210’000 Tonnen

(Quelle: Bafu)

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