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Lektionen aus Habré-Prozess aus Sicht eines Schweizer Opferanwalts

Hissène Habré bei der Bekanntgabe des Urteils zu lebenslanger Haftstrafe. Keystone

"Afrika urteilt über Afrika" – bei der Verurteilung des ehemaligen Diktators aus dem Tschad, Hissène Habré, durch ein afrikanisches Sondergericht in Dakar wurde dieses Prinzip begrüsst. Der Schweizer Anwalt Alain Werner, der einen Teil der Opfer vertrat, umreisst die historische Bedeutung dieses Prozesses. 

Dieser Prozess der ausserordentlichen afrikanischen Kammern (CAE) ist laut den Verfechtern der Menschenrechte weltweit der erste, bei dem ein ehemaliger Staatschef vor einem Strafgericht eines anderen Landes für Menschenrechtsverletzungen belangt wurde, und es ist der erste, der nach dem Prinzip der universellen Kompetenz durchgeführt wurde.

Es zeigte sich, dass ein afrikanischer Staat in der Lage ist, über einen ehemaligen afrikanischen Diktator zu urteilen. Mit diesem Prozess wollte man auch auf die zunehmende Kritik am Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag reagieren, der nur afrikanische Diktatoren verurteile und den mehrere afrikanische Staaten zu verlassen drohten.

Der Schweizer Alain Werner engagiert sich seit vielen Jahren für die Opfer von Menschenrechtsverletzungen. 2012 gründete er die Anwaltskanzlei Civitas Maxima, die sich diesem Kampf verschrieben hat.

In Dakar war Alain Werner Mitglied einer Gruppe von Anwälten, die mehr als 4000 Opfer des Regimes von Hissène Habré als Nebenkläger vertraten.

swissinfo.ch: Im Vorfeld herrschte grosse Skepsis, bis der Prozess schliesslich stattfand. Welches war der Schlüssel zum Erfolg?

AW: Während Jahren gab es in der Tat keinen politischen Willen, einen solchen Prozess im Senegal in die Wege zu leiten. Wir glauben, dass Habré in diesem Land alles getan hat, um sich zu schützen, da er dort mit seinen Reichtümern aufkreuzte. Er hat sich im Senegal das Leben als Ehrenmann erkauft und konnte auf die Unterstützung vom damaligen Präsidenten Abdoulaye Wade zählen. Der Kampf war hart und gipfelte in der Drohung des Internationalen Gerichtshofes, den Prozess in Belgien durchzuführen mit juristischen Verfahren innerhalb der UNO.

Schliesslich liess sich der Senegal überzeugen, den Prozess durchzuführen, mit Macky Sall an der Spitze, dem Nachfolger von Wade.

Alain Werner nach dem Prozess mit Souleymane Guengueng, einem ehemaligen Gefangenen des Regimes Habré. Keystone

swissinfo.ch: Welche Bedeutung hat dieser Prozess für Afrika, wo gewisse Staaten ja drohten, den IStGH zu verlassen? Spricht man von einem Sonderfall oder beginnt nun eine neue Ära für den Kontinent?

AW: Dieses Verfahren hat eine starke politische Komponente, die weiterhin wirksam bleibt, da die Kriegsverbrechen oder die Verbrechen gegen die Menschlichkeit von politischer Natur sind. Es sind nicht Verbrechen Einzelner. Im Fall von Habré war der politische Zeitpunkt günstig für die Durchführung seines Prozesses. Unter dem Druck der öffentlichen Meinung und dem Engagement einer NGO wie Human Rights Watch (HRW) nahm die Akte Habré Gestalt an.

Das ist die wichtigste Lektion aus diesem Prozess. Diese Verbrechen sind unverjährbar, weil der Durst nach Gerechtigkeit der Opfer unstillbar ist und es mittlerweile Anwälte und Nichtregierungsorganisationen gibt, die wissen, dass sie mit langem Atem und Geduld die Bedingungen für eine solide Anklage schaffen können.

Wenn man an den Syrienkonflikt denkt, sollte man den Opfern raten, ein Dossier anzulegen, Beweise aufzubewahren usw., auch wenn politisch alles blockiert ist. Ein Vorgehen, das früher oder später zu einem Erfolg führen wird.

Im Zusammenhang mit der Kritik der afrikanischen Elite am Internationalen Strafgericht zeigt dieser Prozess auf, dass es für sie nunmehr nicht mehr so viele Gründe gibt, in ihren Ländern Prozesse über Massenverbrechen abzulehnen.

Dieser Prozess dauerte nur vier Monate. Er wurde gut abgewickelt. Das Urteil ist rechtlich begründet. Das zeigt, dass der Prozess nicht in Den Haag (Sitz des IStGH) durchgeführt werden muss. Auch das ist eine eindrückliche Lektion.

Abgesehen davon gab es zu Beginn des Prozesses weitere Angeschuldigte, Untergebene des Ex-Präsidenten Habré. Doch der Tschad verweigerte stets ihre Auslieferung, und ein Jahr vor Prozessbeginn in Dakar wurden sie im Tschad zu langen Strafen verurteilt, in einem Prozess, der nicht die Qualität von jenem in Dakar hatte.

swissinfo.ch: Die internationale Justiz zeichnet sich aus durch eine grosse Vielfalt an Strafgerichten, angefangen beim internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien oder dem internationalen Strafgerichtshof für Ruanda über den IStGH zum gemischt-internationalen Roten-Khmer-Tribunal. Gibt es ein Vorgehen, das sich aus diesen Erfahrungen herausarbeiten lässt?

AW: Innerhalb der internationalen Justiz ist die dauerhafte Lösung offiziell das Internationale Strafgericht, auch wenn viele Staaten seine Statuten nicht ratifiziert haben. Was Kambodscha, Ex-Jugoslawien, Sierra Leone oder Osttimor betrifft, wurden die Verbrechen vor 2002 begangen, dem Jahr, seit dem der IStGH zuständig ist.

Zudem handelt der IStGH in Ergänzung zu den nationalen Gerichten, wenn die betreffenden Staaten ihre Arbeit nicht machen.

Doch es ist richtig, dass sich das Bedürfnis nach Sondergerichten für Länder wie Syrien aus dem juristischen System des IStGH herleiten lassen. Die Verbrechen müssen entweder auf dem Territorium eines Staates, der das Rom-Statut ratifiziert hat, oder von einem Angehörigen eines dieser Staaten verübt worden sein. Doch weder Syrien noch Irak haben das Rom-Statut ratifiziert.  

swissinfo.ch: Wird es fortan schwieriger werden, über einen solchen Prozess wie im Senegal von einer neokolonialistischen Aktion eines internationalen Gerichts zu sprechen?

AW: Unter diesem Blickwinkel betrachtet ist erwähnenswert, dass der Prozess dank westlicher Geldgeber zustande gekommen ist. Nun aber wird in Kürze auch ein Bericht von HRW die Art und Weise der Unterstützung des Regimes von Hissène Habré durch insbesondere französische und amerikanische Partner während des Kalten Krieges in Erinnerung rufen.

Es ist zu bedauern, dass sich Hissène Habré nicht verteidigen wollte. Es hätte eine richtige Verteidigung geben sollen, die die westliche Unterstützung, von der er profitierte, auf den Tisch gelegt hätte. Das Gleiche gilt auch für den Prozess gegen die Roten Khmer in Kambodscha mit der amerikanischen Bombardierungskampagne Anfang der 1970er-Jahre, die den Einfluss der Roten Khmer und deren Machtübernahme im grossen Ausmass begünstigt hat.

Abgesehen davon ist der Prozess von Hissène Habré die Frucht seiner tschadischen Opfer gegen die Regierungsgewalt. Die Richter und der Staatsanwalt waren Afrikaner. In unserer Gruppe waren vier Afrikaner. Die Anschuldigung des Neokolonialismus bleibt also schwach, ausser man betrachtet die Justiz selber als eine Form des Kolonialismus.

Im Prozess Habré ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, denn der ehemalige Präsident kann in Berufung gehen. Der Justizminister Senegals sagte den lokalen Medien, dass auch eine Begnadigung zu den rechtlichen Möglichkeiten gehöre. Eine unerträgliche Vorstellung für die Opfer.    

swissinfo.ch: Welches sind ihre nächsten Fälle?

AW: Drei Verfahren sind hängig, davon eines in der Schweiz mit einem Prozess, der am Bundesstrafgericht in Bellinzona durchgeführt werden könnte. Angeklagt ist ein liberianischer Milizenführer für begangene Verbrechen während des ersten liberianischen Bürgerkrieges. Wir hoffen, dass er nächstes Jahr stattfinden wird. Ich werde fünf liberianische Nebenkläger vertreten. 

(Übertragung aus dem Französischen: Christine Fuhrer)

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