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Schweizer KMU: Klein, aber international

Ohne das Ausland wäre die Schweizer Wirtschaft seit 1990 geschrumpft. Im Bild: Industriegebiet der Stadt Chur. Keystone

Ist von KMU die Rede, denkt man an Firmen, die in lokalen Märkten verankert sind. Das hat sich geändert: Laut einer Studie der Hochschule für Wirtschaft in Freiburg wächst die internationale Ausrichtung der KMU, bei stagnierendem Heimmarkt.

Dass ohne Exporte die Wirtschaft in der Schweiz seit 1990 geschrumpft ist, mag viele erstaunen. Beim Stichwort Exporte denken viele primär an Grossunternehmen wie die Pharma-, Chemie- oder Maschinenindustrien, die im Ausland längst ihre eigenen Niederlassungen oder ihre etablierten Vertriebspartner haben.

Die Realität sieht heute anders aus: Für viele kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) sind die Exporte genau so wichtig geworden wie für die Grossen.

Für beide gilt dieselbe Logik: Erstens genügt der Heimmarkt Schweiz allein nicht für sie. Zweitens stammt ein grosser Teil der Nachfrage aus dem Ausland. Drittens hat die (wirtschafts-)politische Öffnung zwischen der Schweiz und der EU den Zugang zum europäischen Markt auch für KMU stark erleichtert.

Deshalb “ist das Auslandgeschäft der Schweizer Unternehmen relativ grössenunabhängig”, sagte Rico Baldegger an einer Tagung des Exportförderers Osec gegenüber swissinfo.ch. Baldegger, Professor an der Hochschule für Wirtschaft in Freiburg, stützt sich auf eine Befragung von 625 im Export aktiven Firmen durch sein Institut für Entrepreneurship & KMU.

Exportintensität hat wenig mit Firmengrösse zu tun

66,6% aller Schweizer Unternehmen zählen zur Grössenklasse der KMU: Für den internationalen Erfolg der Schweiz sind sie damit laut Baldegger “massgeblich”.

Henrique Schneider, Politischer Sekretär des Schweizerischen Gewerbeverbands (SGV) bestätigt dies: “Etwa ein Drittel aller KMU in der Schweiz hat Auslandbeziehungen. Und für diesen Drittel sind die 625 Unternehmen durchaus repräsentativ.”

In den Jahren 2007 bis 2009 machten die Exporte bei den von der Freiburger Hochschule befragten Firmen über 50% des Umsatzes aus, sogar bei den Mikro-KMU (bis zehn Mitarbeiter). Bei den mittleren KMU (50 bis 250 Mitarbeitende) beträgt der Exportanteil sogar rund 60%.

Laut Schneider beläuft sich der Exportanteil am Gesamtumsatz aller Schweizer KMU auf schätzungsweise 30 bis 40%.

Hauptkriterium für die hohe Internationalität, so Baldegger, ist die fehlende Grösse des Heimmarktes. Deshalb agierten KMU aus kleineren Ländern in der Regel globaler. Im Fall der Schweiz komme noch die grosse Spezialisierung vieler KMU dazu (Marktnischen).

Je spezialisierter, desto internationaler: Auch im Vergleich zu den KMU-Strukturen im übrigen Europa wirke die Internationalisierung der Schweizer KMU einzigartig, obschon ähnliche Tendenzen in Finnland oder, etwas abgeschwächt, auch in Schweden auszumachen seien, sagt Baldegger. In der Schweiz seien solche Strukturen bereits fortgeschritten, weil viele KMU High Tech- und Innovations-orientiert seien.

Öffnung des Zugangs zu den EU-Märkten

Laut der Hochschule Freiburg ist einer der wichtigsten Gründe, welche die Schweizer KMU zum Export motivieren, die Öffnung des Zugangs zu den EU-Märkten, also die Resultate der bilateralen Verträge wie Personenfreizügigkeit oder Zollabbau. Auch Schneider stuft diesen Grund als sehr relevant ein, weil sich eben dadurch auch psychologische Barrieren öffneten.

Dazu gehören laut dem Politischen Sekretär des SGV viele Vereinfachungen “nicht nur in der Bürokratie, dem Feind Nummer eins der KMU, sondern auch bei Zusatzsteuern oder technischen Ansprüchen”. Ausserdem wirke der Prozess des Exportierens dynamisch: “Wenn einmal viele KMU im Ausland tätig sind, wollen es die andern auch versuchen.”

Dieser Prozess dauert allerdings mehrere Jahre. Laut der Hochschule Freiburg wird ein KMU im Durchschnitt erst 8,6 Jahre nach seiner Gründung im Export aktiv.

Auch Schneider spricht von einer gewissen “Vorlaufszeit, um sich ans eigene Geschäftsfeld zu gewöhnen und sich dann fürs Ausland zu rüsten”. Etwa drei Jahre brauche es, um im Ausland ein Netzwerk aufzubauen. Sehr oft beginne das Auslandgeschäft zufällig, zum Beispiel mit einer Teilnahme an einer Messe im Ausland.

Auslandschweizer und Secondos

Beim Aufbau eines lokalen Netzwerks im Ausland griffen viele KMU auch auf die lokalen Kompetenzen von Auslandschweizern zurück, so Baldegger. Anderseits täten das auch ausländische KMU auf dem Schweizer Markt. In klassischen Einwanderungsländern wie Kanada sei dieses Rückgreifen auf bestehende Expat-Netzwerke noch viel verbreiteter.

In der Studie figuriert die “Nutzung bestehender Netzwerke” (also nicht nur jener der Expats) bei den Gründen für die Internationalisierung mit 41% der Nennungen an prominenter vierter Stelle. Bei den Hindernissen für eine Internationalisierung wiederum figuriert ein “fehlendes Netzwerk” mit 17% der Nennungen an fünfter Stelle.

Sobald sich die Einwanderungspolitik der Schweiz noch vermehrt in Richtung “qualifizierte Ausländer” bewegen sollte, so Baldegger, würde sich diese Tendenz zum Rückgriff auf bestehende Expat-Netzwerke verstärken.

Die Schweiz habe noch Nachholbedarf bei den kulturellen und sozialen Normen: Viele junge Schweizer hätten als zwei- oder mehrsprachige Secondos zwar das Zeug zum “Born Global”, also zum Wirtschaften über die Grenzen hinweg, wagten es aber noch nicht, sofort nach der Schule in eigenständige Projekte einzusteigen.

Die Studie zum Internationalisierungs-Verhalten von Schweizer Unternehmen beruht auf einer Umfrage (Swiss International Entrepreneurship Survey 2010).

An der Umfrage zwischen Mai und Juli 2010 beteiligten sich 625 KMU aus allen Landesregionen.

44,6% zählen zu den Kleinstunternehmen (im Durchschnitt 4 Mitarbeitende). 40,2% fallen auf Kleinunternehmen (21 Mitarbeiter), 15,2% (108 Mitarbeiter) auf mittlere Unternehmen.

Durchgeführt wurde die Studie von der Hochschule für Wirtschaft (HSW), Freiburg, Prof. Rico Baldegger.

Einer der Gründe, weshalb sich die Schweizer Exporte im internationalen Vergleich schnell wieder erholten, liege im Umstand, dass die Schweizer Waren und Produkte für wenig zyklische Branchen vorgesehen sind.

Laut einer neuen Studie der Grossbank Credit Suisse zur Schweizer Exportindustrie verfolgen die zentralen Exportbranchen wie die Pharma-, Maschinen- und Uhrenindustrie eine ausgeprägte Qualitätsstrategie. Auch dies helfe mit, konjunkturelle Zyklen auszugleichen.

Der starke Franken treffe die Nachfrage nach diesen Gütern ebenfalls weniger. Gemäss der CS ist die Weltkonjunktur auf jeden Fall gewichtiger für den Exportverlauf als der Wechselkurs.

Ohne Exporttätigkeit wäre das Bruttoinland-Produkt der Schweiz von 1990 bis 2010 geschrumpft. Nur dank der ausländischen Nachfrage wurde daraus ein Wachstum von durchschnittlich 1,5% pro Jahr.

Über die Hälfte der Schweizer Warenausfuhr geht in die Länder der EU-15 (EU-Mitgliedstaaten vor der Osterweiterung).

Die Ländergruppe der BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China) ist inzwischen ein bedeutenderer Exportmarkt für die Schweiz als die USA.

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