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Was die höheren Zinssätze in der Schweiz bedeuten

Haus wird am See gebaut
Insgesamt hatten die Schweizer Haushalte Ende 2021 Schulden in der Höhe von 967 Milliarden Franken. Der Grossteil davon sind Hypothekendarlehen auf Wohneigentum. Zinserhöhungen sind dabei riskant. © Keystone / Gaetan Bally

Generell gelten Zinssätze von 0,5% als tief. Aber die Schweiz hat eine lange Phase der Negativzinsen hinter sich.

Alle seit 2015 Geborenen sind am Freitag erstmals in ihrem Leben mit positiven Schweizer Zinssätzen aufgewacht: Die Schweizer Nationalbank SNB hat die Zinsen von -0,25% auf 0,5% erhöht. Siebenjährige kümmert die Höhe der Ratenzahlungen auf Kredite kaum, aber Hausbesitzer:innen und Firmen beschäftigt das Thema umso mehr.

“Höhere Zinssätze haben immer einen Preis. There is no such thing as a free lunch“, sagt Rudolf Minsch, Chefökonom des Wirtschaftsverbands EconomieSuisse, gegenüber swissinfo.ch.

Doch Minsch stimmt mit der SNB dahingehend überein, dass es nun Hauptaufgabe der Geldpolitik ist, die Kosten von Konsumgütern unter Kontrolle zu halten. Gegen die steigenden Energie- und Heizkosten, die im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine stehen, können die Zentralbanken wenig unternehmen. Aber bei anderen Konsumgütern, etwa Elektrogeräte und Kleidung, können höhere Zinssätze die Inflation abfedern.

Anders als die Vereinigten Staaten und viele europäische Länder hat die SNB in der Schweiz nicht zu spät auf die Inflation reagiert, die im August um 3,5% im Vergleich zum Vorjahr gestiegen ist. “Es ist eine gute Entscheidung, früh genug zu handeln”, sagt er.

Schuldenfalle

Für Konsument:innen könnte das Handeln der SNB eine gute Nachricht für die Vorweihnachtszeit bedeuten. Sparer:innen haben ebenfalls Grund zu feiern, weil nun Geschäftsbanken als Reaktion auf die Zinssatzerhöhung die Kontogebühren für grosse Beträge stoppen.

Menschen mit Schulden haben hingegen Grund nervös zu sein – die SNB könnte die Sätze noch dieses Jahr weiter erhöhen.

Insgesamt hatten die Schweizer Haushalte Ende vergangenes Jahr Schulden in der Höhe von 967 Milliarden Franken. Der Grossteil davon sind Hypothekendarlehen auf Wohneigentum. Die Schweiz wetteifert mit den Niederlanden um den globalen Spitzenplatz bei den Hypothekendarlehen pro Haushalt.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OSZE) hat die Schweiz wiederholt dazu aufgerufen, den Schuldenberg zu senken, denn dieser könne “eine künftige Phase der finanziellen Instabilität potenziell verschlimmern”.

Die SNB ist sich des erhöhten Risikos von Hypothekenausfällen infolge der Zinserhöhung bewusst. Im Januar empfahl sie der Regierung, die Banken zu zwingen, mehr Reserven zu halten, um mögliche Verluste zu decken.

“Dieser Puffer tritt Ende September in Kraft und wird dazu beitragen, die Widerstandsfähigkeit des Bankensystems aufrechtzuerhalten”, sagt SNB-Vizepräsident Martin Schlegel.

Zombie-Unternehmen

Sieben Jahre Negativzinsen haben auch zu einem Anstieg der Immobilienpreise in der Schweiz beigetragen. Diese haben sich laut der Beraterfirma Wüest Partner seit dem Jahr 2000 verdoppelt.

Der Schweizer Hauseigentümerverband sieht im Zinssatz von 0,5% keinen Grund zur Beunruhigung. Er sagt, die Banken kalkulieren bei der Risikobewertung für die Kreditvergabe mit der Möglichkeit von Zinssätzen von bis zu 5%. Die Nachfrage nach Immobilien ist der starke Preistreiber und es gibt, so der Hauseigentümerverband, keine Anzeichen, dass die Nachfrage nachlässt.

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Eine Blase, die sich in diesem Jahr auflösen wird, sind jene Unternehmen, die nur dank den staatlichen Krediten während der Corona-Pandemie überlebten. Diese so genannten Zombie-Firmen gehen Konkurs, denn sie können die Forderungen nicht zurückzahlen.

4341 Unternehmen meldeten bis Ende August Insolvenz an. Das sind 37% mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres, wie der Schweizer Gläubigerverband Creditreform schreibt. Der Verband erwartet bis Ende Jahr 9900 Konkurse. Da die Rückzahlungsraten der Covid-Kredite zum Zeitpunkt von deren Vergabe festgelegt wurden, werde sich die kürzliche Zinserhöhung laut Creditreform jedoch kaum auswirken.

Der Kater des starken Frankens

Die Schweizer Exportunternehmen werden einen weiteren Aspekt der geldpolitischen Strategie der SNB bemerken: wie die SNB den Franken im Verhältnis zu anderen Währungen in Schach hält. Anfang Jahr wurde deutlich, dass die zunehmende Frankenstärker für die SNB weniger ein Aufreger ist als auch schon.

Obwohl die SNB am Donnerstag erklärte, sie könne an den Devisenmärkten intervenieren, um die Währung zu stabilisieren, “erwähnte sie die Stärke des Schweizer Frankens in ihrer Erklärung nicht, was darauf hindeutet, dass sie derzeit kein politisches Problem darstellt”, so Maxime Botteron, Ökonom bei der Credit Suisse.

Laut Rudolf Minsch von EconomieSuisse könnte dies die Schweizer Exportunternehmen verärgern. Diese mussten in den letzten zwei Jahren bereits einen Preisanstieg von 35% im Vergleich zu ihren Konkurrenten in der Eurozone hinnehmen.

Philippe Cordonier von Swissmem, dem Dachverband der Maschinen- und Elektroindustrie, ist hingegen weniger besorgt. Die Exportunternehmen haben seit 2015 mit einem starken Franken zu kämpfen, der damals rapide aufwertete. In den letzten Jahren waren die Kursschwankungen geringer und gaben den Schweizer Unternehmen Zeit, Kosten zu senken und die Effizienz zu steigern.

“Seither hatten die Unternehmen Zeit, Massnahmen zu ergreifen, um der Aufwertung zu begegnen”, so Cordonier zu swissinfo.ch.

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