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Die Jagd nach natürlichem Wasserstoff erreicht die Schweiz

ein Mann bereitet sich darauf vor, einen Lastwagen mit Wasserstoff zu betanken
Wasserstoff (hier eine erste Tankstelle in der Nähe von Bern, Schweiz) könnte verschiedene Fahrzeugtypen auf nachhaltige Weise antreiben. Keystone / Marcel Bieri

In Frankreich wurde eine Einlagerung mit natürlichem Wasserstoff gefunden. Dieser Energieträger könnte die weltweite Energieversorgung revolutionieren. Auch in der Schweiz wird nach dieser Energiequelle gesucht. Doch das "saubere Erdöl der Zukunft" hat auch Kehrseiten.

Wasserstoff gilt als ein Schlüsselelement der Energiewende. Er könnte Benzin in Autos und Kerosin in Flugzeugen ersetzen und so einen Beitrag zu einer CO2-freien Mobilität leisten. Doch es gibt ein nicht unwesentliches Problem: Seine industrielle Herstellung führt zu klimaschädlichen Emissionen.

Mehr als 90 Prozent des weltweit produzierten Wasserstoffs stammt aus fossilen Quellen, vor allem aus Methan. Zwar gibt es auch Möglichkeiten, Wasserstoff aus erneuerbaren Energiequellen herzustellen. Doch die entsprechenden Methoden sind momentan noch sehr teuer.

Das Interesse richtet sich daher auf natürlichen Wasserstoff und die Möglichkeiten, diesen aus dem Erduntergrund zu gewinnen. Startup-Unternehmen in den USA, Australien und Spanien haben bereits mit Sondierungsbohrungen begonnen.

Die jüngste Entdeckung einer grossen Lagerstätte in FrankreichExterner Link zeigt, dass dieses Gas möglicherweise nicht so selten vorkommt wie bisher angenommen. Auch die Schweiz könnte über Reserven an natürlichem Wasserstoff verfügen. Die ersten Beobachtungen sind vielversprechend.

Häufig gestellte Fragen: Hier erfahren Sie, was Sie über natürlichen Wasserstoff, seine Eigenschaften und sein Potenzial als Treibstoff der Zukunft wissen müssen.

Wie entsteht natürlicher Wasserstoff?

Die Erde produziert kontinuierlich Wasserstoff durch chemische Reaktionen. Die wichtigsten sind die Oxidation von eisenhaltigen Mineralien und die Radiolyse von Wasser, das heisst die Spaltung von Wassermolekülen unter der Einwirkung natürlicher Radioaktivität.

Bei diesen Reaktionen werden Wasserstoffmoleküle (H2) freigesetzt, die in der Regel in Verbindung mit anderen Elementen vorliegen, beispielsweise mit Sauerstoff im Fall von Wasser (H2O). Wasserstoff steigt an die Oberfläche oder sammelt sich in unterirdischen Reservoirs an.

Was ist der Unterschied zwischen natürlichem und künstlich hergestelltem Wasserstoff?

Die Eigenschaften und die chemische Zusammensetzung sind gleich, und in beiden Fällen handelt es sich um ein geruchloses und leicht entzündliches Gas.

Der Unterschied liegt in der Art und Weise der Herstellung: Natürlicher Wasserstoff, auch weisser Wasserstoff genannt, entsteht tief in der Erdkruste; synthetischer Wasserstoff wird durch chemische und industrielle Verfahren hergestellt.

Während bei der Verbrennung von Wasserstoff keine Emissionen entstehen, wird bei seiner künstlichen Herstellung CO2 freigesetzt, da der synthetische Wasserstoff aus fossilen Brennstoffen gewonnen wird.

Man spricht in diesem Fall von grauem Wasserstoff. Erfolgt die Herstellung in einer Anlage, die den freigesetzten Kohlenstoff abfängt und bindet, wird der Wasserstoff stattdessen als blauer Wasserstoff bezeichnet.

Wasserstoff kann auch durch Elektrolyse gewonnen werden, ein Verfahren, bei dem mit Hilfe von Elektrizität das Wassermolekül in seine beiden Hauptbestandteile Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten wird.

Wenn der eingesetzte Strom aus erneuerbaren Quellen wie Photovoltaik oder Windkraft stammt, gilt Wasserstoff als grün.

Welche Vorteile bietet natürlicher Wasserstoff?

Wasserstoff ist sowohl ein Träger als auch eine Energiequelle. Bei seiner Verbrennung entstehen keine CO2-Emissionen – als einziges Abfallprodukt entsteht Wasser. Bei gleicher Masse enthält ein Wasserstoffmolekül etwa dreimal so viel Energie wie BenzinExterner Link.

Wasserstoff kann zum Antrieb von Autos, Lastwagen und Flugzeugen verwendet werden, die mit entsprechenden Brennstoffzellen ausgestattet sind. Wie das funktioniert, zeigt dieses Erklärvideo (in Englisch):

Externer Inhalt

Natürlicher Wasserstoff hat den Vorteil, eine nahezu unerschöpfliche Ressource zu sein. Die Entstehungsprozesse laufen viel schneller ab (einige Dutzend oder Hundert Jahre) als die Prozesse, die organische Stoffe in Öl umwandeln, was auch Millionen von Jahren dauern kann.

Die Wasserstoffvorkommen könnten sich in einem Tempo regenerieren, das eine kontinuierliche Nutzung gewährleistet.

Auch die Kosten für die Gewinnung von natürlichem Wasserstoff erscheinen attraktiv und werden auf weniger als ein Dollar pro KilogrammExterner Link (USD/kg) geschätzt. Damit wäre er billiger als Wasserstoff aus fossilen Quellen (0,5-1,7 USD/kg) und Wasserstoff aus erneuerbaren Energien (3-8 USD/kg).

«Natürlicher Wasserstoff hat das Potenzial, eine wichtige neue Energiequelle für die ganze Welt zu werden», sagt der Forscher Geoffrey EllisExterner Link von der US-amerikanischen Staatsbehörde Geological Survey im Westschweizer Fernsehen RTSExterner Link.

Warum ist Wasserstoff gerade jetzt zum Thema geworden?

Bis vor einem Jahrzehnt galten natürliche Wasserstoffreserven als nahezu inexistent oder unzugänglich. Mit der zufälligen Entdeckung eines Reservoirs in Mali im Jahr 2012 änderte sich jedoch alles.

In dem afrikanischen Land wird der Wasserstoff direkt vor Ort verbrannt, um Strom in einem Generator für ein kleines Dorf zu erzeugen.

Die Entdeckung gab den Anstoss zu weiteren Sondierungen und Bohrungen. Im Mai dieses Jahres gab das Energieunternehmen Française de l’Energie die Entdeckung einer Lagerstätte in der Region Lothringen im Nordosten Frankreichs bekannt.

Das Vorkommen könnte 46 Millionen Tonnen Wasserstoff enthalten, was rund der Hälfte des weltweit jährlich produzierten Wasserstoffs entspricht.

Wo befinden sich die weltweit grössten Vorkommen?

Es gibt zahlreiche Regionen mit geologischen Merkmalen, welche die Bildung von natürlichem Wasserstoff begünstigen, darunter die Präsenz von Eisenerz, Temperaturen über 200 Grad Celsius und Wasserinfiltration.

Neben den Vereinigten Staaten, Australien, Frankreich und Spanien befinden sich die vielversprechendsten Gebiete in Russland, Kanada, Oman, Japan und China.

Gibt es in der Schweiz Quellen mit natürlichem Wasserstoff?

Geologische Karten und chemische Messungen von Gasen im Boden deuten auf das Vorhandensein von natürlichem Wasserstoff in der Schweiz und im Alpenraum generell hin.

«Wir haben Gesteine gefunden, die in der Vergangenheit Wasserstoff produziert haben. Jetzt müssen wir herausfinden, ob es in der Tiefe noch welche gibt, die heute Wasserstoff produzieren können», sagt der Geochemiker Eric Gaucher, Mitbegründer des Startups Lavoisier H2 Geoconsult.Externer Link

Die Kollision der tektonischen Platten, die zur Entstehung der Alpen führte, brachte eisenhaltiges Gestein aus dem Erdmantel näher an die Oberfläche.

Die ersten Ergebnisse der Forschungen, die Gaucher in den letzten Monaten in Graubünden und im Wallis durchgeführt hat, sind vielversprechend: In der Tiefe könnten «Wasserstoffküchen» vorhanden sein, also regelrechte Produktionsstätten.

Der nächste Schritt wird darin bestehen, Mittel zur Finanzierung einer wissenschaftlichen Arbeit aufzutreiben, um das tatsächliche Potenzial eruieren zu können, sagt Gaucher.

>> Wie natürlicher Wasserstoff in der Schweiz gesucht wird, erfahren Sie im folgenden Video (RTS-Bericht vom 22. Juli 2023, Deutsch untertitelt):

Welches Potenzial besteht?

Gemäss Gaucher ist es noch verfrüht, sich die Schweiz als zukünftiges «Katar des Wasserstoffs» vorzustellen. Derzeit bestehe zwar ein wissenschaftliches Interesse an der Fortsetzung der Studien, aber bisher sei noch in keiner Region der Erde bewiesen worden, dass die Nutzung von natürlichem Wasserstoff rentabel sein könne – mit Ausnahme von geothermischen Quellen in Island.

Um die Verbreitung von Wasserstoff in der Schweiz genau eruieren zu können, müsste die Gesetzgebung geändert werden, genauer gesagt das Bergbaugesetz, so wie es Frankreich letztes Jahr getan hat. In der Schweiz entscheiden die Kantone, ob solche Forschungen und Bohrungen auf ihrem Gebiet erlaubt sind.

Was sagen die Umweltverbände?

Laut Nathan Solothurnmann, Klimaexperte von Greenpeace Schweiz, birgt der Einsatz von Wasserstoff auch Nachteile. Es handle sich um eine flüchtige Substanz mit einem hohen Ausströmungsrisiko.

In der Atmosphäre sei die klimaschädliche Wirkung elfmal grösser als diejenige von CO2, sagte Solothurnmann der Zeitung Le Nouvelliste.Externer Link Erschliessung, Speicherung und Transport erforderten zudem eine Infrastruktur, die sich negativ auf die Umwelt auswirken könne.

Natürlicher Wasserstoff sollte gemäss dem Experten nur als Ersatz für Methan in bestimmten chemischen Prozessen verwendet werden, etwa bei der Düngemittelherstellung. «Die Vorstellung, Wasserstoff in grossem Massstab als Kraftstoff verwenden zu können, ist eine gefährliche Illusion,» sagt er.

Editiert von Sabrina Weiss, Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob

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