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Canyoning: Schulkinder kennen die Flutwelle

War die Flutwelle vorhersehbar oder nicht - exakte Antworten gab es auch am vierten Prozesstag nicht. Keystone Archive

Bei der tödlich verlaufenen Tour im Saxetbach fehlte es aus heutiger Sicht an Vorsicht. Das haben vor Gericht die Aussagen von Experten ergeben.

Die Einheimischen wüssten längst, dass ihr Bach Flutwellen bringe, sagte Polizeiberichterstatter Otto von Allmen am Donnerstag, dem vierten Tag im Canyoning-Prozess. Die Schulkinder liefen nach Gewittern zur Brücke, um die Welle anzuschauen.

Die Canyoning-Veranstalter von Adventure World hatten sich damit verteidigt, die tödliche Flutwelle sei nicht vorauszusehen gewesen.

Veranstalter waren gewarnt

Laut Feuerwehr-Kommandant Markus Gerber ist in den lokalen Geschichtsbüchern dokumentiert, dass der Bach etwa einmal jährlich Hochwasser führt. Beim Unwetter von 1987 sei die Flutwelle ein Vielfaches grösser gewesen als jene, die zur Katastrophe führte. Er habe den Verwaltungsrat von Adventure World rund 18 Monate vor dem Unfall über die Gefahr informiert.

Zwei von der Verteidigung herangezogene Experten relativierten diese Aussagen. Statistisch gesehen komme eine ähnliche Flutwelle wie jene vom 27. Juli 1999 alle fünf bis zehn Jahre vor, sagte René Brinkmann, Präsident Ausbildung beim Schweizerischen Alpen-Club (SAC).

Ausbildung schlecht – aber branchenüblich

Alle Experten waren sich einig, dass die Welle ausgelöst wurde durch ein heftiges lokales Gewitter. Insgesamt führen 22 Bäche in den Saxetbach. Wenn die alle gleichzeitig viel Wasser bringen, kann es zur Flutwelle kommen – und zwar ohne vorherige Verfärbung des Wassers.

Bis zum Unfall habe Adventure World aber auf die Verfärbung als wichtigstes Alarmzeichen geachtet, sagte Brinkmann vom SAC. In der ganzen Branche sei man bis 1999 der Ansicht gewesen, dass das als Vorsichtsmassnahme ausreiche. Das habe sich als falsch erwiesen.

Aus heutiger Sicht müsse bei Gewitter und heftigem Regen grundsätzlich auf Canyoning verzichtet werden, sagte der Experte der Verteidigung. Rückblickend beurteilt sei die meteorologische Ausbildung der Guides bei Adventure World zwar mangelhaft, aber weder besser noch schlechter gewesen als damals branchenüblich.

Oberstes Gesetz gebrochen

Laut Polizeiexperte Von Allmen hätte Adventure World im aufziehenden Gewitter – das die Dorfbevölkerung wohl bemerkt habe – keinesfalls in den Bach steigen dürfen. Das sei in der Canyoning-Ausbildung beim Schweizerischen Bergführerverband oberstes Gesetz – “erst recht, wenn’s schon blitzt und donnert”.

Entweder hätten die Angeklagten das Gewitter nicht bemerkt oder massiv unterschätzt, sagte Von Allmen. Ein zweites Unternehmen, das auch Canyoning im Saxetbach betrieb, hatte den Nachmittagstrip abgesagt.

swissinfo und Agenturen

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