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Durch Kooperation aus der Isolation gefunden

Die beiden Kiever Physiker Juri Sitenko (links) und Waleri Gusynin: aus der Isolation geholt. swissinfo/Alexandra Stark

Wirkungsvolle wissenschaftliche Zusammenarbeit muss nicht teuer sein. Manchmal ist es nicht das Geld, das fehlt, sondern die Möglichkeit zu kommunizieren.

Die Zusammenarbeit holte ukrainische Physiker aus der Isolation und an die Spitze der Forschung zurück.

Der Bus biegt auf einen Parkplatz ab und bremst scharf. “Endstation Institut für theoretische Physik! Alle aussteigen!”, befiehlt der Chauffeur. Eine halbe Stunde hat die Fahrt von der Metro-Endstation bis zum Stadtrand der ukrainischen Hauptstadt Kiew gedauert. Die Strassen wurden immer schmaler, die Schlaglöcher immer tiefer. Zuletzt verschwanden sogar die Häuser, dafür standen plötzlich Ziegen auf dem Weg.

“Es gibt Forschungsinstitute, die sind am Puls der Zeit und brauchen den stetigen Wandel als Inspiration. Wir hier gehören eher zu denen, die wegen der Ruhe und der friedlichen Atmosphäre auf gute Ideen kommen”, sagt Waleri Gusynin augenzwinkernd und führt in das hinter Bäumen versteckte Gebäude. Gusynin ist Professor und Leitender Wissenschafter am Bogolubow Institut für Theoretische Physik in Kiew.

Es gab Zeiten, da wurde die Ruhe für das Institut allerdings zur Bedrohung. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hatte der neu entstandene Staat Ukraine kaum Mittel für die Wissenschaft. Nicht nur die Stromrechungen konnten nicht mehr bezahlt werden.

Chronischer Geldmangel

“Etwa zwanzig von hundert Kollegen haben uns wegen der tiefen Löhne verlassen, sie konnten es sich nicht mehr leisten, Wissenschafter zu sein”, sagt Juri Sitenko, Leiter des Departements für Kerntheorie und Quantenfeldtheorie am Institut.

Auch die Abonnemente für internationale Publikationen und Journals wurden zusammengestrichen. Computer waren unerschwinglich, E-Mail und Internet steckten in den Kinderschuhen.

Keine friedliche Ruhe, sondern Grabesstille, denn: “Isolierung bedeutet für einen theoretischen Physiker das Ende”, sagt Sitenko.

Hilfe von aussen

Durch internationale Zusammenarbeit, darunter auch drei SCOPES-Projekten, gelang es den Wissenschaftern, ihre Lage und damit auch die des Institutes zu verbessern.

Die Kooperationen haben aus zwei Gründen geholfen, zählt Gusynin auf: “Erstens: Wir sind international bekannt geworden. Es ist für uns einfacher geworden zu publizieren. Und weil an unserem Institut viel veröffentlicht wird – im Rahmen der SCOPES-Projekte waren es 33 Publikationen – ist es einfacher geworden, an internationale Gelder zu kommen”, erklärt er.

“Und zweitens: Während meiner Aufenthalte im Ausland kann ich Geld zur Seite legen und über die Runde kommen, wenn ich wieder einmal keine Zuschüsse (Grants) habe, wie zum Beispiel zur Zeit.”

Anschluss ans globale Wissenschafts-Netz

Ziel der Projekte war es, den Mitarbeitern den Kontakt mit der Aussenwelt zu erleichtern und den Zugang zum Netz, zu Informationen zu verbessern. Computer wurden gekauft, die Bibliothek aufgerüstet. Internet ist heute für alle zugänglich, Online-Abos der Journals gibt es noch immer keine, sie sind nach wie vor zu teuer.

“Wir behelfen uns, in dem wir uns Publikationen anschauen, die die Forscher selber ins Netz gestellt haben”, sagt Sitenko. “Das ist natürlich alles andere als ideal, weil es sich oftmals um provisorische Versionen handelt. In unserem Forschungsfeld wird der Zugang zu Informationen immer entscheidender. Können wir nicht mithalten, werden wir abgehängt.”

Austausch als Lebensader

Neben mangelndem Zugang zu Publikationen fehlt den Kiever Wissenschaftern allerdings noch eine wichtige Inspirationsquelle: “Ein intensiver persönlicher Austausch von Ideen ist auf unserem Gebiet Grundbedingung für gute Forschung. Das gilt übrigens für alle – ob Schweizer oder Ukrainer.” Gusynin und Sitenko wünschen sich deshalb, dass mehr Treffen in der Ukraine stattfinden.

“Wir könnten dann weitere ukrainische Wissenschafter einladen. Und unsere jüngeren Mitarbeiter könnten viel von den Kontakten profitieren. In dieser harten wirtschaftlichen Situation ist es wichtig, dafür zu sorgen, dass junge und talentierte Nachwuchsleute nicht abspringen, das wäre schade für sie, für das Insitut und für die Disziplin”, sagt Gusynin.

Das Institut wird wohl noch lange von internationalen Forschungsgeldern abhängig sein. “Wir hören immer, dass die ukrainische Wirtschaft wächst und es uns besser geht. Wir Wissenschafter haben davon allerdings noch nichts gemerkt. Wir warten…”, sagt Gusynin und lacht.

swissinfo, Alexandra Stark in Kiew

(Vorabdruck aus einer Broschüre des Schweizerischen Nationalfonds, die im Herbst publiziert werden soll)

Nicht nur der Mangel an Infrastruktur macht den Forschenden in Osteuropa zu schaffen. Isolation verhindert, dass die Forscher am Ball bleiben und so den Anschluss behalten.
Obschon sich die wirtschaftliche Situation in den SCOPES-Partner-Ländern stabilisiert, merken die Wissenschafter oft wenig davon.
Internationale Zusammenarbeit ist für viele die einzige Möglichkeit, ihre Arbeit weiterführen zu können.

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