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ein labor für föderalismus

Die Schweiz ist aus 26 Mini-Staaten zusammengesetzt. swissinfo.ch

Die Schweiz hat den Föderalismus nicht erfunden. Aber sie praktiziert ihn mit Erfolg. Sie kann anderen Ländern helfen, eigene Modelle auszuarbeiten oder zu verfeinern.

Das Institut für Föderalismus lädt Forschende aus dem Ausland ein und schickt seine Experten in Konfliktstaaten, vom Balkan über die Philippinen bis in den Sudan.

Thomas Fleiner liebt es nicht, wenn vom “Export” des Föderalismus gesprochen wird, er verabscheut dieses Wort. “Unsere Arbeit ist es, die Suche nach Lösungen anzuregen, die an Situationen angepasst werden können, die sich sehr unterscheiden von jenen in der Schweiz”, erklärt der Direktor des IF.

Das Institut beschäftigt 18 Personen, die aufgeteilt sind auf ein internationales Zentrum sowie auf ein nationales, das im Auftrag des Bundes oder der Kantone für die Förderung eines gerechteren und effizienteren Inland-Föderalismus arbeitet.

Ans internationale Zentrum kommen Forscherinnen und Forscher aus allen Ländern, um an Fragen zu

arbeiten, die sich in ihrem Land stellen oder einmal stellen könnten. Und das IF ist stolz, dass es diesen Forschenden vor allem seine Bibliothek anbieten kann, die weltweit am meisten englische Literatur über den Föderalismus aufweist.

So alt wie Demokratie

Denn die Schweiz hat nicht das Monopol über den Föderalismus. Dieser wurde auch nicht mit dem Pakt von 1291 geschaffen. Der Föderalimus ist vielmehr so alt wie die Demokratie selber, wie die Städtebündnisse des antiken Griechenland bezeugen.

Zweitausend Jahre später – die Schweizer Kantone sind erst ein Staatenbund – schafft Johannes

Althusius Anfang des 17. Jahrhunderts die theoretische Grundlage des modernen Föderalismus. Der deutsche Denker wird vom helvetischen Beispiel, aber auch von jenem des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation und der Vereinigten Provinzen der Niederlande inspiriert.

Im folgenden Jahrhundert nimmt Montesqiueu eine Idee wieder auf, die in Amerika Wirklichkeit werden wird. Die älteste föderalistische Verfassung der Welt, die Gründungscharta der Vereinigten Staaten, wird namentlich die Autoren der Verfassung von 1848 inspirieren, die zur Gründung der modernen Schweiz führt.

Die beiden Systeme sind aber ganz unterschiedlich. “Die Schweiz hat

ein Modell der Machtteilung zwischen den Gemeinden eingeführt, das nicht vergleichbar ist mit dem amerikanischen ‘Melting pot'” betont Fleiner.

Von unten nach oben

Der IF-Direktor spricht dem Schweizer Modell also den Status eines universellen Modells ab, erinnert aber trotzdem gerne daran, dass der Schweizer Föderalismus in 150 Jahren viel dazu beigetragen hat, dass aus einem der ärmsten Länder Europas eines der reichsten der Welt geworden ist.

Und die Schweiz ist eines der wenigen Beispiele, wo sich im Verlauf der Jahrhunderte ein föderalistisches System von unten herauf gebildet hat. Dies garantiere

eine beispielhafte politische Stabilität.

Für Thomas Fleiner, der unter anderem als Berater der serbischen Delegation bei den ersten Verhandlungen über den Kosovo wirkt, ist Bosnien-Herzegowina das typische Gegenbeispiel. Und die perfekte Illustration dessen, was man im Kosovo nicht tun sollte: “Es ist nicht an der internationalen Gemeinschaft, der Region eine Lösung aufzuzwingen. Alles muss von den Völkern selber ausgehen. Diese kommen immer vor den Gesetzen und Verfassungen.”

Keine Politik

Die Mission im Balkan ist nur eines von vielen internationalen Mandaten, die dem Direktor des

IF oder seinen Mitarbeitenden anvertraut wurden.

Ob es um eine Reise vor Ort geht oder um die Organisation von Aufenthalten ausländischer Delegationen in der Schweiz, das Institut hatte immer ein gewichtiges Wort mitzureden bei ethnischen Konflikten irgendwo auf der Welt: Irak, Sri Lanka, Sudan, Somalia, Burundi, Philippinen, Kolumbien…

Nicht immer führen die Verhandlungen zum Erfolg. So beteiligte sich Fleiner an der Ausarbeitung des UNO-Plans für die Wiedervereinigung Zyperns.

Doch der Plan wurde an der Urne verworfen, so dass schliesslich nur der griechische Inselteil der Europäischen Union beitreten

konnte. Ein harter Schlag, sicher, aber die Fachleute des IF haben es sich zur Regel gemacht, neutral zu bleiben. “Wir sind keine politischen Berater”, betont der Direktor. “Was zählt ist, einen Konsens zu erreichen. Und dazu braucht es fundierte Kenntnisse.”

Sommeruniversitäten

Seit 1986 organisiert das IF auch Sommeruniversitäten. Während dreier Wochen kommen Nachdiplom-Studierende aus gut dreissig Ländern hier zusammen. Das Ziel: Kenntnisse und Erfahrungen auszutauschen, damit alle mit einem besseren Verständnis für Fragen der Machtteilung, der Dezentralisierung und der Konfliktlösung nach Hause zurückkehren.

Nicht alle Studierenden kommen aus föderalistisch strukturierten Staaten, aber das ist nicht wichtig.

“95% der Weltbevölkerung leben in einem multikulturellen Umfeld”, ruft Fleiner in Erinnerung. “Der auf der Nation aufgebaute Einheitsstaat hat dafür meist keine Lösungen.”

swissinfo, Marc-André Miserez (Übertragung aus dem Französischen: Charlotte Egger)

Das Institut für Föderalismus ist der juristischen Fakultät der Universität Freiburg angeschlossen.

Es ist die einzige Institution dieser Art in der Schweiz.

Angesichts der vielen Missionen seiner Experten im Ausland und der Anzahl ausländischer Fachleute, die hierher kommen, um zu arbeiten, kann von weltweiter Ausstrahlung gesprochen werden.

2002 empfing die Schweiz, nach Quebec 1999, in St. Gallen die zweite Internationale Föderalismus-Konferenz, mit 500 Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Behörden und Politik aus über 50 Ländern.

Die Schweiz ist auch Mitglied des Forums der Föderationen, einer internationalen Organisation zur Förderung des Föderalismus.

Das Forum hat seinen Sitz in Kanada und steht seit März 2005 unter dem Vorsitz des früheren Bundespräsidenten Arnold Koller.

Der Föderalismus ist eine politische Organisationsform, in der die Einheiten, aus denen ein Land besteht (Schweizer Kantone, deutsche Länder, kanadische Provinzen) über eine gewisse Autonomie und eigene Gesetze verfügen.
Traditionelle staatliche Zuständigkeiten wie Aussenpolitik, Verteidigung und Währung bleiben beim Zentralstaat.
25 der 193 Länder der Welt haben eine föderale politische Regierungsform.
Darunter einige der Grossen: Indien, Russland, Kanada und die Vereinigten Staaten von Amerika.
Insgesamt machen deren Einwohner 40% der Weltbevölkerung aus.

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