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Eine Zeitreise auf dem Monte Rosa

Von Wind und Wetter durch ein Zelt geschützt, bohren die Forscher 100 Meter tief in den Gletscher. swissinfo.ch

Waren die alten Römer Umweltverschmutzer? Wie hat sich das Klima in den letzten 10'000 Jahren verändert? Italienische und Schweizer Forscher suchen im Gipfelgebiet des Monte Rosa nach Antworten.

Ihre Forschung erfolgt im ältesten Gletscher des Alpenraums.

Vulkanausbrüche, Sandstürme, Atomtests oder Emissionen in Folge der industriellen Revolution: Die unterschiedlichsten Ereignisse der Geschichte hinterlassen ihre Spuren im ewigen Eis.

“Alle Emissionen, die in die Luft gelangen, landen schliesslich in Form von Niederschlägen auf dem Gletscher”, sagt Heinz Gäggeler, Professor am Paul Scherrer Institut (PSI), einem der wichtigsten Forschungsinstitute der Schweiz.

“Deshalb lassen sich anhand der Qualität und Konsistenz der verschiedenen Eis-Schichten Rückschlüsse auf die klimatische Situation einer bestimmten Epoche ziehen.”

10’000 Jahre zurück

Das PSI hat Gletscher auf der ganzen Welt untersucht. In Chile, Sibirien, Argentinien, in Ecuador und der Antarktis. Noch nie wurde jedoch eine Eisschicht untersucht, die älter als 500 Jahre war.

Doch das soll sich ändern: Auf dem Colle Gnifetti, in einer Höhe von 4452 Metern, hofft man, Gletschereis zu finden, das sogar 10’000 Jahre alt ist. Der Gipfel liegt inmitten der Monte-Rosa-Gipfel auf der Grenzlinie zwischen der Schweiz und Italien.

Karotten aus Eis

“Der Colle Gnifetti ist ein optimaler Ort für unsere Forschung”, sagt Heinz Gäggeler, während der Helikopterpilot gegen den Wind ankämpft, um den Gletscher zu erreichen.

“Der Gletscher liegt sehr hoch, die Niederschläge sind schwach und das Gelände ist einigermassen flach: Das sind optimale Bedingungen, damit ein Gletscher konstant wachsen kann und seine Geheimnisse behält”, sagt der Wissenschafter.

Das Eismeer ist seit langem bekannt und wird seit langem untersucht. Vor kurzem verbrachte ein sechsköpfiges Forscherteam vom Paul Scherrer Institut und der Universität von Venedig eine Woche auf dem Gletscher.

Die Bedingungen waren schwierig: Eisige Kälte und stürmische Winde. Die hohe Lage bedingt zudem eine Akklimatisation. Schlafprobleme sind normal. Das Ziel war, den Gletscher bis zum Felsgestein zu durchbohren und Proben von zirka 70 Zentimeter Länge zu entnehmen – die so genannten “Karotten”.

Die diversen Eis-Lagen ermöglichen eine Zeitreise. Je weiter man in den Gletscher dringt, desto weiter geht man in den Jahrhunderten zurück. Im Labor lässt sich ermitteln, welche Schicht aus welcher Epoche stammt.

Römer als Luftverschmutzer

Paolo Gabrielli gehört zum Forscherteam auf dem Colle Gnifetti Er ist Doktorand an der Uni Venedig. Vor dem eisigen Wind und der Temperatur von 30 Grad unter Null schützt das Zelt, von dem die Bohrung ausgeführt wird.

“Wir wollen Daten finden, die Aufschluss über die 10’000 Jahre geben, die seit der letzten Eiszeit vergangen sind”, fasst Gabrielli die Hoffnungen seiner Forschungstätigkeit zusammen.

“Dies wäre ein absoluter Rekord für einen Alpengletscher”, fährt Gabrielli fort. Denn es liesse sich unter Umständen bestätigen, was bei Untersuchungen von Gletschern in Grönland entdeckt wurde: Dass es unter den alten Griechen und Römern bedeutende Emissionen an Blei und Kupfer gab.

Es handelt sich um Zivilisationen, die zur Gewinnung von Metallen intensive Bergwerks-Aktivitäten entwickelt hatten. Die Emissionen dieses Abbaus haben Spuren in der Atmosphäre hinterlassen, die nach Meinung der Forscher noch heute nachweisbar sind. Es handelt sich im Prinzip um Urformen von Umweltverschmutzung.

Die Gletscher sind demnach ein Archiv der Vergangenheit. Doch der Fortbestand dieses Archivs ist bedroht. Die fortschreitende Erderwärmung und tropisch heisse Sommer wie in diesem Jahr stellen eine ernstzunehmende Gefahr dar. Grösse und Masse der Gletscher schwinden dahin.

“Genau aus diesem Grund verpassen wir keine Chance, um die Gletscher zu erkunden”, sagt Heinz Gäggeler. Man wolle vermeiden, dass die antiken Daten ausgelöscht werden, bevor sie erfasst sind.

swissinfo, Marzio Pescia, Colle Gnifetti-Zermatt
(Übersetzung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

Das Paul Scherrer Institut (PSI) und die Universität Venedig untersuchen die ältesten Gletscher im Alpenraum.

Die Kosten des Forschungs-Projekts auf dem 4452 Meter hohen Colle Gnifetti belaufen sich auch ca. 20’000 Fr.

Das PSI ist mit 1300 Mitarbeitern eines der führenden Forschungs-Institute der Schweiz.

Die chemische Analyse von Eis-Proben, die im Gipfel-Massiv des Monte Rosa entnommen werden, soll Aufschlüsse über die klimatische Entwicklung in den vergangenen 10’000 Jahren liefern.

Es soll unter anderem aufgezeigt werden, dass die bekanntesten Zivilisationen der Antike (Griechen und Römer) bereits eine erhebliche Luftverschmutzung erzeugt haben.

Für Forschungen dieser Art gibt es im Alpenraum drei optimale Orte: Colle Gnifetti (Schweiz/Italien), Col di Dôme (Frankreich) und Fiescherhorn (Schweiz).

Der älteste Gletscher der Welt wurde 3500 Meter unterhalb der Antarktis entdeckt.

Sein Alter wird auf 900’000 Jahre geschätzt.

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