Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Strommarkt: Bern und Brüssel vor Verhandlungen

Grimsel-Stausee im Kanton Bern. Keystone

Im Verhandlungspoker um ein Strommarkt-Abkommen beziehen Bern und Brüssel die Ausgangspositionen. Es sind harte Verhandlungen zu erwarten, vermutlich bereits im laufenden Jahr.

Zur Zeit liegen die Positionen allerdings noch weit auseinander. Das Liberalisierungs-Tempo der Schweiz ist der Europäischen Union viel zu langsam.

Bereits im Mai hat der Bundesrat, die Schweizer Landesregierung, ein Mandat für Verhandlungen mit der Europäischen Union (EU) über ein bilaterales Strommarkt-Abkommen beschlossen.

Am Dienstag berieten nun Diplomaten der EU-Staaten in Brüssel über ein Mandat für die EU. Dieses muss noch vom EU-Ministerrat genehmigt werden. Verhandlungen mit der Schweiz könnten danach wahrscheinlich noch im laufenden Jahr beginnen.

EU will keine halbe Liberalisierung

Inhaltlich fordert Brüssel, dass die Schweiz die EU-Regeln zum Strom-Binnenmarkt übernimmt. Bereits Ende Juni hatte der zuständige EU-Kommissar Andris Piebalgs in einem Interview mit dem Zürcher Tages-Anzeiger den Tarif durchgegeben.

«Es gibt für mich keine halbe Liberalisierung», sagte er. Verhandlungsgrundlage sei das bestehende EU-Recht, diskutabel sei allenfalls das Tempo der Liberalisierung in der Schweiz.

Die langsame Marktöffnung in der Schweiz dürfte die Geduld der EU aber auf eine harte Probe stellen. Die zuständige Kommission des Ständerates, der kleinen Parlamentskammer, schlug am Montag eine Marktöffnung in Etappen vor.

Für Haushalte und Kleinkonsumenten würde der freie Markt erst nach fünf Jahren gelten, gegen die völlige Marktöffnung könnte zudem ein Referendum ergriffen werden, für das 50’000 gültige Unterschriften nötig sind.

In der EU können hingegen auch die Haushalte spätestens ab Mitte 2007 ihren Stromversorger frei wählen.

Marktöffnung in Etappen

Michael Bhend von der Abteilung Energiewirtschaft im schweizerischen Bundesamt für Energie (BFE) sieht in der langsamen Marktöffnung kein Hindernis für eine Einigung mit der EU.

«Es ist für die EU-Anbieter wirtschaftlich wenig interessant, die kleinen Verbraucher in der Schweiz direkt zu beliefern», sagte er gegenüber swissinfo. Die Schweiz habe «starke innenpolitische Gründe» für ihr behutsameres Tempo.

Schliesslich war 2002 die erste Liberalisierungsvorlage in der Volksabstimmung gescheitert.

Während die EU die Schweiz umfassend in den liberalisierten EU-Strommarkt integrieren möchte, strebt die Schweiz ein massgeschneidertes Abkommen an. Es soll in erster Linie ihre Position als Stromhandels-Drehscheibe absichern.

Dank Bezugsverträgen mit Frankreich kann die schweizerische Elektrizitäts-Wirtschaft grosse Strommengen aus Frankreich importieren und, ebenfalls im grossen Stil, Italien beliefern.

Wenig Spielraum für Sonderwünsche

Neben einer Anerkennung ihrer Zertifikate für grünen Strom und angemessenen Gebühren für den Stromtransit strebt die Schweiz eine Garantie für die Stromimporte aus Frankreich an.

Neue Regeln der EU sehen vor, dass bei Engpässen an der Grenze die Leitungskapazitäten an den Meistbietenden versteigert werden. Dies würde Stromimporte aus Frankreich verteuern und erschweren.

«Die langfristigen Verträge, die in gutem Glauben abgeschlossen wurden, müssen von den Versteigerungen ausgenommen werden», erklärt Bhend die Schweizer Position.

Das EU-Recht lasse wenig Spielraum für eine Ausnahmeregelung zugunsten der Schweiz, heisst es dagegen in Brüssel. Die unterschiedlichen Positionen lassen harte Verhandlungen erwarten.

swissinfo, Simon Thönen, Brüssel

Mehr

Mehr

Bilaterale Abkommen

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Bilateralen Abkommen I und II zwischen der Schweiz und der Europäischen Union (EU) regeln die bilateralen Beziehungen auf den verschiedensten Ebenen. Die EU ist die wichtigste Partnerin der Schweiz – politisch, kulturell und wirtschaftlich. 1992 hatte das Schweizer Stimmvolk Nein gesagt zu einem Beitritt des Landes zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). Seither wird der bilaterale…

Mehr Bilaterale Abkommen

2005: Die Schweiz importierte aus der EU 47084 Mio. kWh Strom
2005: Die Schweiz exportierte in die EU 40734 Mio. kWh Strom
Nettoimport der Schweiz: 6350 Mio. kWh Strom
Landesverbrauch 2005: 61637 Mio. kWh Strom.

In der Schweiz wird rund ein Fünftel des Energiebedarfs mit Strom gedeckt. Wasserkraftwerke mit Stauseen produzieren einen Drittel des inländischen Stroms, Flusskraftwerke einen Viertel und Kernkraftwerke 40%.

Als Strom-Importeur wünscht die Schweiz ein neues bilaterales Abkommen mit der Europäischen Union (EU) im Bereich Strommarkt. Es sollte die Sicherheit der Versorgung, den Zugang zum Markt und die Förderung der erneuerbaren Energien regeln.

Die Schweiz hat mit der EU bisher 16 bilaterale Abkommen abgeschlossen, die in zwei Phasen ausgehandelt wurden. Die ersten 7 sind im Juni 2002 in Kraft getreten.

Die Schweizer Bevölkerung hat die Liberalisierung des Marktes in einer Volksabstimmung 2002 abgelehnt. Ein neues Gesetz ist in Vorbereitung. Es sieht vor, den Markt in zwei Phasen zu öffnen und soll frühestens 2008 in Kraft treten.

Beliebte Artikel

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft