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Wieder mehr Tierversuche

Mäuse werden sehr oft für Tierversuche eingesetzt. Keystone

Tierversuche sind auch in der Schweiz wieder am Steigen. Dies erklärt eine der führenden Schweizer Organisationen, die Stiftung Forschung 3R.

Die Organisation, die sich für alternative Forschungsmethoden zu Tierversuchen einsetzt, gab dies im Zusammenhang mit ihrem 20-Jahr-Jubiläum bekannt.

In den ersten 17 Jahren ihres Bestehens sei die Zahl der genutzten Versuchstiere in der Schweiz von zwei Millionen auf 450’000 gesunken, erklärte die Organisation. Im Jahr 2005 sei die Zahl dann wieder auf eine halbe Million gestiegen.

Die Notwendigkeit für weitere Fortschritte bestehe aber weiterhin, und es gebe auch Raum dafür, gab die Stiftung jüngst bekannt.

Hugo Wick, ehemaliger Nationalrat und Gründungsmitglied der Stiftung 3R, führt den neuen Anstieg von Tierversuchen auf genetisch modifizierte Tiere zurück. “Bei der Gen-Forschung werden oft genetisch manipulierte Mäuse eingesetzt”, erklärt Wick.

Das heisst Labormäuse, bei denen die Forscher zum Beispiel ein bestimmtes Gen “ausschalten” (inaktivieren) indem sie es durch ein anderes ersetzen oder mit einem Teil künstlicher DNA stören.

Solche Eingriffe ins Genmaterial können zu Veränderungen beim Aussehen der Mäuse, ihrem Verhalten oder ihrer physischen und biochemischen Charakteristika führen. Für solche Forschungsprojekte braucht es normalerweise tausende genmanipulierter Mäuse.

Die Stiftung Forschung 3R wurde 1987 gegründet. Sie unterstützt Forschungsprojekte zur Entwicklung und Verbesserung alternativer Methoden.

Europäische Vorreiter-Rolle

Gemäss Christine Egerszegi-Obrist, der diesjährigen Nationalrats-Präsidentin und Vizepräsidentin des Stiftungsrates, ist die Gründung von 3R eine europäische Pionierleistung.

“Es war die erste Public-Private-Partnership im Bereich Tierversuche”, sagte Egerszegi-Obrist bei einer Konferenz zum 20-Jahr-Jubiläum der Stiftung. Mittlerweile gebe es zwar viele weitere solcher Zusammenarbeiten von Staat und Privaten, doch keine, die bei der Forschungs-Finanzierung mithalten könne.

Im Vergleich etwa mit Grossbritannien gebe es weitere Unterschiede. “In England sehen sich Forscher, die Tierversuche durchführen, praktisch täglich konfrontiert mit Drohungen von Tierschützern. Zudem haben sich dort die staatlichen Regeln verhärtet.”

Im Gegensatz dazu habe die Schweiz bewiesen, dass zwischen den verschiedenen Interessengruppen aus Politik, Wissenschaft, Tierschutz und Industrie ein Dialog möglich sei. Diese Bereitschaft zum Dialog sei typisch schweizerisch, unterstrich die freisinnige Politikerin.

Stimme der Industrie

Thomas Cueni von der Interpharma, dem Schweizer Verband der forschenden pharmazeutischen Firmen, ist gleicher Ansicht. Der Schweizer Ansatz habe seine Wurzeln in der Tradition der direkten Demokratie.

Cueni fügt hinzu, er sei auch immer wieder beeindruckt vom Respekt, mit dem die Firmen die Versuchstiere behandeln würden.

Das Thema Tierversuche bleibe aber eine heikle Angelegenheit, sagt Cueni weiter. Interpharma werde auch in Zukunft die Bemühungen der Stiftung 3R unterstützen.

“Die Frage wird immer ein Dilemma bleiben. Wie können wir die Menschen schützen und zugleich vermeiden, dass dafür Tiere unnötigerweise leiden müssen?”

swissinfo, Faryal Mirza
(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)

Die Stiftung Forschung 3R Schweiz unterstützt pro Jahr Projekte in der Höhe von 700’000 Franken.
Seit ihrer Gründung 1887 hat die Stiftung Forschungsprojekte mit rund 14 Mio. Franken unterstützt. Die Hälfte der Gelder kam vom Bund, die andere von der Interpharma.
Der Stiftungsrat hat neun Mitglieder: Drei Parlamentarier, zwei Vertreter aus dem Tierschutz-Sektor, zwei der Interpharma und zwei Vertreter des Bundesamts für Veterinärwesen.

Gemäss Gesetz gelten als Tierversuch alle Massnahmen, bei denen lebende Tiere verwendet werden, um eine wissenschaftliche Annahme zu prüfen, Informationen zu erlangen, einen Stoff zu gewinnen oder zu testen oder die Wirkung einer bestimmten Massnahme am Tier festzustellen.

Auch das Verwenden von Tieren zur Gewinnung von Testzellen, Organen, Körperflüssigkeiten oder zur experimentellen Verhaltensforschung gilt als Tierversuch.

Wer Tierversuche durchführen will, muss bei der zuständigen kantonalen Behörde eine Bewilligung einholen. Die Bewilligungen sind befristet.

Gemäss Gesetz darf ein Tierversuch nicht bewilligt werden, wenn sein Ziel mit Verfahren erreicht werden kann, die nach dem Stand der Erkenntnisse auch ohne Einsatz von Tieren tauglich sind.

3R – ein von britischen Wissenschaftern 1959 entwickeltes Konzept – steht für einen humanen Umgang mit Tieren in Versuchslaboren.

Die 3R stehen für: Reduce, Refine, Replace (auf Deutsch: Vermindern, Verbessern, Vermeiden/Ersetzen).

Reduce (Vermindern): Anzahl der Versuchstiere auf ein Minimum beschränken.

Refine (Verbessern): Stress und Schmerz für die genutzten Versuchstiere so gering wie möglich halten.

Replace (Vermeiden): Bedeutung eines Experiments hinterfragen, braucht es wirklich Tiere für den Versuch?

Das 3R-Konzept wird zwar bis heute noch nicht von allen Industriestaaten umgesetzt, doch wächst die Akzeptanz für diese Vorgehensweise.

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