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Wurstverkäufer die grossen Verlierer der Euro 08

Gähnmeile statt Fanmeile: In der Zone am Zürisee herrschte tote Hose. Keystone

Das frühe Aus der Schweiz und das schlechte Wetter sollen Schuld sein: Die Geschäfte in den Austragungsstädten liegen unter den Erwartungen. Einzig in Bern rollten die Fränkli, dank der Holländer.

1,5 Mrd. Franken: Soviel Geld bringt die Fussball-Europameisterschaft der Schweiz. Das berechneten weise Köpfe im Vorfeld des grössten Anlasses, der je im Land stattgefunden hat. Kein Wunder, dass sich manche Geschäftstüchtige die Hände rieben.

Jetzt stehen viele Standbetreiber mit leeren Händen da. In Zürich wurde die Fanmeile entlang des Sees flugs in Gähnmeile umbenannt. Die Betreiber der Verkaufsstände, die 15’000 Franken Platzgebühr zahlten, bleiben auf ihren Würsten und vollen Harassen sitzen.

Big Business wird nur am Bellevue gemacht: Fast eine halbe Million Menschen drängten sich bisher vor die dortige Grossleinwand. Sie liessen sich Wurst und Bier mehr als drei Mio. Franken kosten.

Berufsrisiko

Die zu kurz Gekommenen beklagen nicht nur mieses Wetter, sondern auch eine schlechte Beschilderung sowie Verkehrsbeschränkungen.

Zürichs Stadtpräsident zeigte dafür wenig Verständnis. “Für schlechtes Wetter tragen die Standbetreiber allein das Risiko”, sagte Elmar Ledergerber.

Fast noch grösser ist der Katzenjammer in Genf. Anbieter, die bis zu 36’000 Franken Standgebühr zahlten, drohen gegenüber den lokalen Organisatoren mit dem Gang vors Gericht.

Auch am Genfersee zeigte sich dasselbe Bild wie am Zürichsee: Riesengedränge im Zentrum, Fan-Wüste an der Peripherie. Während sich in der City 335’000 Personen stauten, verirrten sich gerade mal 11’500 Fans auf das Gelände mit den sinnigen Namen Bout du Monde (Ende der Welt).

Euphorie in Genf

Das kümmert die Genfer Organisatoren der Euro 08 wenig. Mit dem Grosserfolg im Zentrum im Rücken fühlen sie sich bereit zur Austragung des nächsten, noch grösseren Anlasses: Olympische Winterspiele.

Nicht ganz so euphorisch ist die Stimmung bei den Hoteliers und Restaurant-Betreibern. “Wie bei allen grossen Sportveranstaltungen sind die Lokale während der Europameisterschaft leer”, sagt Laurent Terlinchamp, Sekretär der Vereinigung der Genfer Restaurateure und Hoteliers.

“Nur jene Hotels profitieren, welche die Spiele übertragen”, so Terlinchamp gegenüber swissinfo. Übernachtungen von Fans brächten zwar den anderen Hotels Umsatz. Doch dieser wird laut dem Gewerbevertreter durch das Ausbleiben herkömmlicher Gäste wieder nach unten korrigiert.

Sommermärchen wiederholt sich nicht

Auch in Basel muss das schlechte Wetter für den enttäuschenden Geschäftsgang herhalten: Mit 250’000 Besuchern kamen weit weniger Menschen in die Fanzone als erwartet. Dabei trug die Schweiz alle drei Gruppenspiele am Rhein aus.

Aber nicht nur kleine Anbieter, sondern auch grosse haben sich tüchtig verkalkuliert: Die Zuschauerarena, welche die Grossbank UBS in Liestal aufbauen liess, verbuchte in der Gruppenphase nur 16’000 statt der möglichen 65’000 Eintritte. Der dazugehörige Zeltplatz blieb leer.

Die WM 2006 in Deutschland hatte den Durchbruch der Fanzonen gebracht: Während des “Sommermärchens” schlugen sich Millionen von Fussball-Fans aus aller Welt in deutschen Städten die Nächte um die Ohren.

Dies habe bei Schweizer Anbietern zu grosse Erwartungen geweckt, sagt Simon Dürrenberger von den Basler Euro-Organisatoren. Er ist enttäuscht von den Schweizern, die vorzugsweise zuhause geblieben seien. “Die Fans aus Deutschland und Holland, die an die Viertelfinalspiele ihrer Mannschaften nach Basel kommen, zeigen den Schweizern, wie man ein Fest feiert”, so Dürrenberger.

Basel übernimmt Oranjes von Bern

Seine Hoffnungen werden ohne Zweifel erfüllt werden. Denn die holländischen Fans sind der Lichtblick dieser EM. Zehntausende Oranjes sorgten während den Gruppenspielen ihrer Mannschaft in Bern nicht nur für eine zweiwöchige Dauerparty in der Stadt, sondern auch für Hochstimmung hinter den Verkaufstresen.

“Restaurateure und Verpflegungsstände sind die Hauptgewinner”, sagt Bernhard Bögli vom Stadtberner Gewerbeverband. Die herkömmlichen Geschäfte verzeichneten gute, aber keine aussergewöhnlichen Umsätze. Er rechnet aber mit einem Langzeiteffekt, von dem im Vorfeld der Euro 08 die Rede war. “Die Besucher kommen wieder, weil sie von der Stadt Bern einen guten Eindruck mitnehmen”, glaubt Bögli.

Immerhin: Die EM ist in der Schweiz noch nicht ganz vorbei, auch wenn vor dem grossen Final in Wien nur noch ein Viertel- sowie ein Halbfinal in Basel stattfinden. Und mit dem Ausscheiden der Schweiz ist auch der Sommer im Land eingekehrt.

swissinfo, Matthew Allen
(Übertragung aus dem Englischen: Renat Künzi)

Die Fussball-EM findet vom 7. bis 29. Juni in der Schweiz und in Österreich statt.

In der Vorrunde fanden Spiele in Basel, Bern, Zürich und Genf statt. Die Schweiz war bereits nach fünf Tagen und zwei Spielen ausgeschieden.

Basel hat zudem drei weitere Partien: Zwei Viertelfinals sowie ein Halbfinale (nächsten Mittwoch). Der EM-Final geht am 29. Juni in Wien über die Bühne.

In der Schweiz verfolgen schätzungsweise 5,5 Mio. Fans die Spiele, darunter knapp 1,5 Millionen aus dem Ausland.

Die Uefa rechnet mit Einnahmen für die Schweiz von 1,1 Mrd. Franken. Gemäss einer Studie kann der drittgrösste Sportanlass der Welt dem Land gar 1,5 Mrd. Franken einbringen.

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