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Zürichs Stadtpräsident steigt vom Fahrrad

Ledergerbers Kollegen gratulierten ihm mit einem Poster zum zweiten Platz als World Mayor. swissinfo.ch

Zürichs Stadtpräsident Elmar Ledergerber tritt aus familiären Gründen von seinem Amt zurück. Ein Schritt, der viele überrascht hat. Mit swissinfo sprach er über seine Zeit als "Stapi".

“Ich werde vom Stapi zum Papi”: Mit diesen Worten kündigte Sozialdemokrat Ledergerber letzte Woche seinen Rücktritt auf Ende April 2009 an.

Der 64-Jährige, seit 2002 im Amt, will sich künftig der Erziehung seines jüngsten Sohnes (16) widmen.

Der dynamische Ledergerber hat entscheidend dazu beigetragen, dass es Zürich zu oberst auf die weltweite Liste der Städte mit der besten Lebensqualität gebracht hat.

Doch der gemässigte Sozialdemokrat wurde auch kritisiert. Er habe verschiedene Grossprojekte nicht im Griff gehabt, hiess es.

Kürzlich wurde er vom internationalen Netzwerk für Städte, City Mayors, zum zweitbesten Stadtoberhaupt der Welt gewählt. swissinfo traf den gerne auffällig gekleideten Ledergerber in seinem Büro im Rathaus von Zürich.

swissinfo: Sie sagten, Sie würden den Job als Stadtpräsident mit gemischten Gefühlen verlassen.

Elmar Ledergerber: Ich lasse eine Arbeit hinter mir, die sehr aufregend und interessant war. Ich hatte einen sehr direkten Draht zur Bevölkerung und ein tolles Team. Wenn man geht, macht es einen immer ein wenig traurig – das ist der eine Teil der Geschichte.

Der andere ist, dass ich glücklich bin, in eine Zukunft schreiten zu können, in der ich etwas mehr Zeit für mich, meine Familie, meine Beziehungen haben werde.

All dies habe ich in den letzten Jahren etwas vernachlässigt. 80 bis 90 Stunden pro Woche herumzurennen ist sehr ermüdend.

swissinfo: Wie gross war die Herausforderung, eine Stadt wie Zürich zu führen?

E.L.: Es ist eine sehr grosse Herausforderung. Das Wichtigste ist, den Stadtrat zu leiten, damit dieser kooperiert und diese wunderbare Stadt führt.

Das zweite ist, der Stadt ein Gesicht zu geben, für die Menschen hier, für die Schweiz und auch international.

swissinfo: Einen der Pluspunkte, welche die Jury von City Mayors hervorhob, war das Gefühl, das Sie Schweizern und Ausländern geben, in Zürich zu Hause zu sein. Wie wichtig ist der Aspekt der Einwanderung?

E.L.: Wir haben in Zürich einen Ausländeranteil von 31 Prozent, der sich aus etwa 170 ethnischen Gruppen und Ländern zusammensetzt. Es ist eine grosse Herausforderung, diese Ausländer in Zürich zu integrieren und das Zusammenleben mit der Bevölkerung zu organisieren, ohne dass es zu grösseren Spannungen kommt.

Die Stadt hat sich vorbildlich verhalten, wir haben keine Rassen- oder ethnischen Probleme. Diese multikulturelle Atmosphäre ist, würde ich sagen, eines unserer einmaligen Verkaufsargumente.

swissinfo: Zudem schwingt die Lebensqualität in Zürich in allen Umfragen obenaus.

E.L.: Wir sind in einer internationalen Untersuchung siebenmal hintereinander auf dem ersten Platz gelandet. Das ist natürlich nicht einfach Gott gegeben.

Es ist das Resultat von harter politischer Arbeit, klaren Strategien und grossen Anstrengungen von Stadtrat und Bevölkerung.

Lebensqualität betrifft aber nicht nur die Umwelt. Sie beinhaltet auch soziale Netzwerke, Beziehungen, Stabilität und Sicherheit sowie die politische Kultur. Wir haben eine einmalige Mischung, die das Leben hier ausserordentlich macht.

swissinfo: Was waren die Höhepunkte in Ihrer Präsidentschaft?

E.L.: Natürlich diese Auszeichnung als zweitbester Stadtpräsident der Welt – und als der beste männliche Stadtpräsident, wenn ich das erwähnen darf. So was passiert einem nicht jedes Jahr.

Daneben sind diese langsamen Prozesse, die viel Zeit brauchen und nicht sofort einen grossen Effekt zeigen. Dazu gehört eben die Lebensqualität.

Wir haben auch unser Kulturleben entwickelt; und es kann sich sehen lassen, auch neben grösseren und wichtigeren Städten in Europa.

swissinfo: Was lief nicht so wie gewünscht?

E.L.: Das schwierigste ist die Kehrseite unseres Erfolgs. Weil Zürich so attraktiv geworden ist, wird es fast unmöglich, eine Wohnung zu finden, obwohl wir 2500 Wohnungen pro Jahr bauen. Ich habe allerdings lieber ein solches Problem, als eine unattraktive Stadt – wir können damit leben.

Wie viele andere Städte haben auch wir ein Drogenproblem. Es ist nicht mehr so gross wie früher, wir haben es unter Kontrolle, aber es ist immer noch da.

swissinfo: Spüren Sie den Einfluss der Finanzkrise auf Zürich, das viele grosse Banken beherbergt?

E.L.: Alle Wirtschafts- und Finanzzentren haben ein Problem mit dem Finanzsystem, das am Rande des Zusammenbruchs steht. Das ist eine grosse Bedrohung, deren Ende noch nicht abzusehen ist.

Da Zürich zu den zehn wichtigsten Finanzzentren der Welt gehört, werden wir besonders betroffen sein. Die Finanzwirtschaft trägt viel zu unseren Steuereinnahmen bei, deshalb werden wir sehr bald schon in einer schlechten Position sein.

Natürlich haben wir einige finanzielle Reserven, wir haben keine Schulden und hoffen, dass sich die Situation innert drei Jahren verbessert. Derzeit werden 25% der Jobs vom Finanzsektor geschaffen und wenn dem nicht so wäre, hätten wir ein echtes Problem.

Doch ich bin optimistisch, dass Zürich im Finanzsektor auch in der Zukunft eine wichtige Rolle spielen wird.

swissinfo: Was genau macht Zürich zu so einem speziellen Ort?

E.L.: Es gibt viele verschiedene Gründe, doch ein Reiz von Zürich ist, dass wir die Stadt der kurzen Distanzen sind.

Mit 380’000 Einwohnerinnen und Einwohnern sind wir im Vergleich zu andern eine kleine Stadt, wo man fast überall zu Fuss, mit dem Fahrrad oder dem öffentlichen Verkehr hinkommt. Das schafft eine behagliche Atmosphäre.

swissinfo: Und was macht es für Sie persönlich aus?

E.L.: Ich liebe es, jeden Tag, an dem es nicht regnet, mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren. Es ist schneller als mit dem Auto oder dem öffentlichen Verkehr und ich kann meine alten Beine etwas bewegen.

Ich kann ohne Bodyguards durch die Stadt schlendern und mich ohne Sicherheitsvorkehrungen mit Leuten treffen. Das ist ein riesiger Vorteil, beruflich und auch für meine persönliche Lebensqualität.

swissinfo, Isobel Leybold-Johnson, Zürich
(Übertragen aus dem Englischen: Christian Raaflaub)

1944 geboren, Universitätsabschluss in Geschichte, Literatur und Wirtschaft. An der Universität St. Gallen machte er das Doktorat in Wirtschaft.

1977 gründete Ledergerber eine Beratungsfirma, die er über 20 Jahre lang leitete.

Im März 2002 wurde der Politiker zum Stadtpräsidenten von Zürich gewählt. Davor war er in Zürich und national als Parlamentarier tätig gewesen.

Der Stadtpräsident steht dem Stadtrat vor, der aus neun Mitgliedern aus vier Parteien besteht.

Er ist geschieden und Vater von drei Kindern. Der jüngste Sohn ist bald 16.

Die grösste Stadt der Schweiz und gleichzeitig deren Finanzzentrum liegt am Zürichsee im Osten des Landes. Rund 380’000 Menschen leben dort.

In der Zürcher Agglomeration leben rund drei Millionen Personen, was sie zu einer der am dichtesten besiedelten Regionen in Europa macht.

Der grösste Teil der Wirtschaft ist im Dienstleistungssektor angesiedelt, wobei die Finanzdienstleistungen den grössten Anteil haben. Auch viele Hightech-Firmen haben ihren Sitz in Zürich.

In Zürich studieren rund 40’000 Personen, die meisten an der Universität Zürich und an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH).

Zürich ist bekannt für seinen See, die saubere Luft und makellose Strassen. Es hat über 50 Museen, Galerien und ein Opernhaus.

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