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Zurück zu den Wurzeln mit dem Bergführer

Zwei Seilschaften unterwegs auf den Viertausender. swissinfo.ch

Der Schweizer Bergtourismus will sich profilieren und attraktiver werden, indem er sich auf seine Anfänge zurückbesinnt: Der Gast soll mit dem Bergführer die Alpen erobern.

So können sogar Normal-Bürger einen Viertausender bezwingen.

“Das Wichtigste ist der Rhythmus: Ich werde nicht schnell, aber regelmässig vorangehen”, sagt Kurt Arnold. “Da heisst es auch mal Durchbeissen.”

Der Bergführer geht zuvorderst am Seil, hinter ihm vier Journalisten. Nach Saas Fee im Wallis eingeladen hat sie der Verband Schweizer Bergsportschulen (V.B.S.). Vor der Seilschaft breitet sich der Trift-Gletscher aus.

Tourismus in der Krise

Der Tourismus in der Schweiz ist mit 240’000 Beschäftigten und mit 12 Mrd. Franken Einnahmen eine der grössten Export-Branchen. Doch seit einigen Jahren bleiben die Gäste aus. In den letzten drei Jahren sank die Zahl der Besucherinnen und Besucher aus dem Ausland um 1,31 Mio. auf 6,53 Mio. Betroffen sind auch die Berggebiete.

Hier rangeln noch rund 750 Bergführerinnen und Bergführer darum, zahlende Gäste auf die Gipfel zu bringen. “Den Markt für Privat-Touren schätzen wir auf 20 Mio. Franken jährlich”, sagt Jürg Haltmeier, Vizepräsident des V.B.S. und Geschäftsleiter der Alpinsportschule Berg & Tal in Interlaken im Berner Oberland.

Seine Schätzung bestätigt auch Simon Bumann, Tourismus-Direktor von Saas Fee. Er will aus der Bergwelt besser Kapital schlagen als bisher. “Alles ist heute austauschbar, nur unsere Berge sind es nicht.” Man müsse sich wieder auf die Wurzeln des Bergtourismus in der Schweiz besinnen, als die ersten britischen Alpinisten die Alpen eroberten.

Stau am Berg

“Der Weissmies gilt als einer der leichten Viertausender”, sagt Beat Burgener, Bergführer in Saas Fee und V.B.S.-Präsident. Und wir sind auf dem Weg zum Gipfel. Bis auf 3000 Meter hat uns die Seilbahn gebracht. Den letzten Höhenkilometer – auf 4029 Meter – müssen wir selber anpacken: Die Steigeisen knirschen übers Gletscher-Eis, der kurze Pickel in der Hand wird zum Gehstock, die Sonnencrème verfliesst unter der Kappe.

Die Schritte werden nach der ersten Stunde immer schwerer. Wir bewegen uns im nervösen “Stop ‘n Go”; immer wieder einige kleine Schritte, dann warten. Es ist Stau am Berg, mehrere Seilschaften wollen zum Gipfel. “An Spitzentagen haben wir schon 200 Leute gezählt”, sagt der Bergführer.

Wen Google findet, der hat Gäste

“Die Hälfte meiner Gäste findet mich via Internet”, sagt Haltmeier. Das neue Medium werde vor allem genutzt, um Interessenten aus den Städten anzusprechen. “So werden die Angebote vergleichbar.” Und: “Wer als Bergführer in Google vorne ist, der ist bei den Leuten.” Auf seiner Homepage gibt es sogar First-Minute-Rabatte und ein Höhenmeter-Bonusprogramm analog zu den Treue-Programmen der Airlines.

Übers Internet werden nicht nur Tagestouren in der Schweiz, sondern auch regelrechte Expeditionen auf anderen Kontinenten angepriesen. Aber nicht alles kann im Netz angeboten werden, weiss Haltmeier. “Die Eigernordwand kann eine Schule nicht ausschreiben, da kämen nicht genug Leute zusammen.” Wer so was will, muss sich direkt an einen Bergführer wenden und die rund 450 Franken, die der Spezialist kostet, allein bezahlen.

Halbwegs im Sarg, halbwegs im Gefängnis

In den klobigen Bergschuhen läuft es sich so unbequem wie auf zwei kurzen Brettchen. Die Füsse schmerzen, sind klamm, der Rucksack schwer. Der Bergführer steigt unbeirrt voran. “Nur noch 45 Minuten.” Das ist wohl jetzt das Durchbeissen. “Nachher ist das Gefühl umso besser”, tröstet er.

An seinem Klettergurt hängen Eisschrauben und Karabiner-Haken. “Für eine Spaltenrettung auf dem Gletscher.” Die Berge können gefährlich sein. In der Hochsaison fliegt der Helikopter fast täglich einen Rettungseinsatz.

“Der Bergführer ist keine Garantie, dass nichts passiert”, erklärt Verbands-Präsident Burgener, “aber er ist Spezialist für die Sicherheit am Berg.” Er verweist auch auf die hohen Anforderungen fürs Diplom und für die Versicherungen. Ein Bergführer stehe auf jeder Tour mit einem Bein im Sarg und mit dem andern im Gefängnis, ergänzt er nur halb im Scherz.

Magische Grenze

4000 Meter, heisst es, sei für Bergsteiger eine magische Grenze. Immerhin fast die Hälfte des höchsten Berges der Welt. Solche Berge mit einem Bergführer zu besteigen, ist nichts für Touristen mit kleinem Geldbeutel. Mehrfach fallen die Begriffe Qualitäts- und Nischen-Tourismus.

“Dieses Gäste-Segment liegt bei einem Fünftel aller Gäste”, weiss der Tourismus-Chef Bumann. “Sie sind für uns aber vor allem wichtig, weil sie die Botschaft der schönen Schweizer Berge hinaustragen. Damit machen die Bergführer Öffentlichkeitsarbeit für den gesamten Tourismus.”

“Krampf ” bis zum Gipfel

Das Atmen fällt schwer, die Schritte sind nur noch winzig. Höhe und Anstrengung. Angeseiltes Marschieren. Durch die Wolke ist kaum etwas zu sehen. Beissender Wind auf der Krete. Schmerzende Füsse, gelegentlich etwas Schwindel. Zusammen mit dem geforderten “Durchbeissen” könnte das die Vorlage für einen Aktivdienst-Film sein.

Doch plötzlich reisst die Wolke auf: Sonnenstrahlen. Wir sehen eine Seilschaft auf dem Gipfel. Ich zähle die Schritte und komme auf 121. Dann sind wir oben. Drei Stunden Aufstieg auf den einfachen Viertausender. Gratulation! Gipfelfoto. Gipfel-Gefühl.

swissinfo, Philippe Kropf, Saas Fee

Der Schweizer Tourismus leidet unter einem Rückgang von Gästen aus dem Ausland.

Ferien sind für ausländische Gäste im Vergleich wegen der hohen Kosten teuer.

Auch der Währungskurs des Schweizer Frankens hält Gäste aus dem Ausland ab.

Die so genannten Bergsportschulen sind Anbieter von Bergtouren.

Die Bergführer stehen untereinander in Konkurrenz, helfen sich aber bei Engpässen aus.

Vermehrt setzen sie aufs Internet, um Gäste zu finden. Es gibt sogar Treue-Programme wie bei den Fluglinien.

Jährlich werden rund 20 Mio. Franken mit solchen Touren umgesetzt.

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