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Zypern: Röntgenbild der Verhandlungen

Für Didier Pfirter waren die Gespräche auf dem Bürgenstock ein Erfolg. (Bild: EDA) Swiss foreign ministry

Didier Pfirter, Schweizer Diplomat und UNO-Berater, war eng in die Verhandlungen über die Zusammenführung der geteilten Insel eingebunden.

Nach dem Abschluss der intensiven Gespräche wollte swissinfo von ihm wissen, wie die Verhandlungen gelaufen sind.

Die Gespräche auf dem Bürgenstock sind nach fünf Tagen zu Ende gegangen, die Delegationen wieder abgereist. Eine Einigung über den 9000-Seiten-Vorschlag von UNO-Generalsekretär Kofi Annan kam nicht zu Stande. Am 24. April wird nun auf beiden Teilen der Insel über den Vorschlag abgestimmt. Pfirter glaubt, dass noch genügend Zeit bleibt, die Meinungs-Verschiedenheiten auszubügeln.

swissinfo: Was war der grösste Stolperstein der Gespräche?

D.P.: Von Anfang an war nie vorgesehen, dass die Parteien unbedingt zu einer Einigung kommen müssen. Es war geplant, dass der UNO-Generalsekretär Kofi Annan einen Text vervollständigen würde, über den dann abgestimmt wird. Es wäre wünschenswert gewesen, dass beide Seiten einen Text unterschrieben hätten, aber das war nie eine sehr realistische Erwartung.

swissinfo: Sehen sie trotzdem einen gewissen Erfolg?

D.P.: Es war ein grosser Erfolg. Zum ersten Mal im 40 Jahre dauernden Konflikt gibt es einen Plan, der alle Fragen beantwortet und über den die Bevölkerung abstimmen kann.

Der vollständige Plan umfasst über 9000 Seiten und die Parteien haben sich auf 8900 Seiten geeinigt. Es gibt also nicht mehr viele Meinungs-Verschiedenheiten. Das Schlaglicht ruhte auf den wenigen politisch umstrittenen Punkten, wo der UNO-Generalsekretär die Kluft überbrücken musste.

Auf der Insel arbeiten Hunderte von Menschen daran, Tausende von Seiten von Gesetzen und Verordnungen auszuhandeln und abzuschliessen. Sie arbeiten daran, Übereinkünfte für geradezu alles zu finden.

swissinfo: Offenbar war die griechische Delegation unzufrieden mit dem Vorschlag Kofi Annans. Ist das so?

D.P.: Ich glaube nicht. Ich denke, es handelte sich vor allem um Verhandlungs-Taktik. In Anbetracht der Tatsache, dass die Griechisch-Zyprer schon fast Teil der EU sind, haben sie vielleicht ihre Verhandlungsposition stärker eingeschätzt als noch vor einem Jahr. Sie gingen wohl davon aus, dass sie die Verhandlungs-Bilanz massiv zu ihren Gunsten verschieben könnten. Das ist nicht geschehen, also sind sie möglicherweise enttäuscht.

Kofi Annan hat die Ausgeglichenheit des Plans von Anfang an aufrecht erhalten. Ich denke, er konnte Verbesserungen für beide Seiten erreichen und ich denke nicht, dass eine der Seiten dies verneinen würde.

Was erreicht wurde, ist nicht nur etwas Kleines. Wenn man einen Plan hat, der bereits zweimal überarbeitet wurde, beginnen einem die konstruktiven Ideen auszugehen.

swissinfo: Am 24. April werden Türkisch-Zyprer und Griechisch-Zyprer über den Plan abstimmen. Was sind die Chancen, dass er angenommen wird?

D.P.: Es ist noch zu früh, das zu sagen. Es ist kein Geheimnis, dass die Meinungsumfragen zur Zeit gegen den Plan ausfallen, vor allem auf der griechischen Seite. Allerdings hat auch noch niemand angefangen, für die Annahme des Vorschlages zu werben.

Bis jetzt war es beinahe so, dass Befürworter auf der griechischen Seite als Verräter betrachtet wurden, weil sie die Verhandlungsposition schwächten. Jetzt können die Menschen offen zu ihrer Meinung stehen. Ich denke, die Einstellungen könnten sich jetzt schnell ändern.

swissinfo: Was heisst es für Zypern und die EU-Mitgliedschaft, sollte der Plan abgelehnt werden?

D.P.: Kurzfristig würde sich nichts ändern, weil Zypern trotzdem der EU beitreten würde. Aber es hiesse, dass nur die Griechisch-Zyprer von der Mitgliedschaft profitierten. Falls die Türkisch-Zyprer den Plan akzeptieren und die Griechisch-Zyprer ihn ablehnen, könnte die EU versuchen, der türkischen Seite eine günstigeren Status zu verschaffen.

swissinfo: Werden die Verhandlungen auf dem Bürgenstock als Meilenstein in die Geschichte eingehen?

D.P.: Bestimmt. Noch nie gab es einen solch umfassenden Friedensplan. Ich denke es ist ein Meilenstein, gleichgültig, wie der Ausgang sein wird.

swissinfo-Interview, Billi Bierling
(Übertragung aus dem Englischen: Philippe Kropf)

Zypern ist viermal kleiner als die Schweiz (9250 Quadratkilometer).
Der türkische Norden belegt ein Drittel der Insel und zählt rund 200’000 Einwohner.
Im griechischen Teil leben 715’000 Einwohner.
Die Hauptstadt Nikosia zählt 200’000 Einwohner. Sie ist durch eine Mauer getrennt.

Zypern war bis 1959 britische Kolonie. In der Unabhängigkeits-Verfassung von 1959 erhielten Griechenland und die Türkei den Status von Garantiemächten.

1963 kam es zum Bürgerkrieg. Im Juli 1974 besetzte die türkische Armee den Nordteil der Insel und rief die “Türkische Republik Nordzypern” aus. Sie ist bisher nur von der Türkei anerkannt.

Weil der türkische Teil der Insel verarmt ist, wanderten viele Türken in den griechischen Teil ab.

1998 leiteten die griechisch-zyprischen Behörden den Beitritt zur EU ein. Dieser soll am 1. Mai 2004 stattfinden.

Er belastet die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU schwer. Bevor die Zypern-Frage gelöst ist, kann die Türkei auf keinen Kandidaten-Status für die EU hoffen.

Die UNO hat einen Friedensplan vorgeschlagen. Bei den Verhandlungen auf dem Bürgenstock kam es zu keiner Einigung. Jetzt wird Ende April auf beiden Teilen der Insel über den UNO-Plan abgestimmt.

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