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Schweizer Spitäler unter der Lupe

Privatisiert und autonom: Die Waadtländer Klinik Genolier erfüllt die die Anforderungen von Avenir Suisse. Keystone

Die öffentlichen Krankenhäuser der Schweiz brauchen mehr Autonomie, um den Bedürfnissen der Patienten und den Anforderungen der Krankenkassen gerecht zu werden.

Die am Freitag von Avenir Suisse präsentierte Analyse der Verwaltungsstrukturen der Spitäler zeigt grosse Unterschiede zwischen und in den Kantonen auf.

Untersucht hat Avenir Suisse, die Denkfabrik der Schweizer Wirtschaft, 125 öffentliche beziehungsweise öffentlich subventionierte somatische Akutspitäler – ohne Psychiatrie-, Rehabilitations- und Geriatriespezialkliniken.

Dies entspreche rund 90% der entsprechenden Institutionen auf den innerkantonalen Spitallisten, so die Stiftung.

Das Kantonsmonitoring untersucht, wie die Spitäler in den Kantonen gesteuert werden. Massgebend sind Indikatoren wie Rechtsform und Eigentumsverhältnisse, die personelle Ausgestaltung der Führungsgremien und die Ausgestaltung der Finanzierungs- und Immobilienbewirtschaftung.

Trend zu mehr formeller Autonomie

Insgesamt zeichne sich in vielen Kantonen ein Trend zu einer höheren formellen Autonomie ab, schreibt die Stiftung. Spitäler würden vermehrt als selbständige Anstalten oder Aktiengesellschaften geführt.

Zudem hätten die Spitäler immer häufiger eigenständige Führungsgremien wie Verwaltungs- oder Spitalräte, die mit unabhängigen Fachpersonen besetzt seien.

Trotz diesen Änderungen seien die betriebswirtschaftlichen Spielräume der Spitäler aber immer noch stark eingeschränkt, wie die Stiftung schreibt. Die geplanten Reformen im Spitalwesen wie Fallpauschalen und freie Spitalwahl verlangten aber mehr Markt und Wettbewerb.

Lob und Tadel

Zwischen den Kantonen hat Avenir Suisse grosse Unterschiede ausgemacht. Die Spitäler in Neuenburg, Bern, Schwyz, Aargau und Zug geniessen demnach im Durchschnitt die grösste Autonomie.

Eingeschränkt dagegen ist diese in den Kantonen Genf, Freiburg, Basel-Landschaft, Appenzell Innerrhoden und Glarus.

Als vorbildlich hebt Avenir Suisse das Spitalwesen im Kanton Schwyz hervor. Zwei von drei Spitälern sind privat, das dritte ist als privatrechtliche Aktiengesellschaft organisiert. Abgerechnet wird mit dem System AP-DRG.

Dieses Abrechnungssystem folgt dem Prinzip “gleicher Preis für gleiche Leistung”. Es soll den Wettbewerb zwischen den Spitälern ankurbeln und die Kosten senken. Weiter können die Schwyzer Spitäler unabhängig vom Kanton Kredite aufnehmen, und die Gebäude sind Eigentum der Institution.

Als Gegenbeispiel führt die Stiftung den Kanton Basel-Landschaft an. Drei von vier Spitälern sind dort Teil der Verwaltung. Die strategische Steuerung obliegt dem Regierungsrat.

Als Finanzierungsmodell gilt die Defizitdeckung, die Angestellten haben öffentlich-rechtliche Verträge ohne Bonuszahlungen. Weiter gehört das Spitalgebäude dem Kanton.

Stark präsente öffentliche Hand

Nach wie vor könne die Politik jedoch direkten Einfluss auf die operative und strategische Führung der Spitäler nehmen, stellt die Stiftung weiter fest. Dies, weil die bedeutendsten Eigner der Spitäler – auch der privatrechtlich organisierten – immer noch die Kantone und Gemeinden sind.

Die öffentliche Hand nimmt gemäss Avenir Suisse auch Einfluss über ihre Funktion als Vermieterin der Spitalgebäude und schränkt die Autonomie der Spitäler bei der Finanzierung sowie bei Investitionen ein.

Ob mit höherer Unabhängigkeit von Politik und Behörde auch tiefere Spitalkosten oder bessere Qualität möglich wären, beantwortet die Studie nicht, wie die Stiftung weiter schreibt. Die betriebliche Autonomie sei vor allem im Hinblick auf Wettbewerb und Transparenz im Gesundheitswesen wichtig.

Staat soll sich zurückziehen

Im besten Fall seien die Spitäler unabhängige private Institutionen mit partiellen oder umfassenden Leistungsaufträgen. “Doch davon ist die heutige Spitallandschaft weit entfernt”, urteilt die Denkfabrik.

Verantwortlich dafür sei einerseits die “zweifelhafte Mehrfachrolle” der Kantone und andererseits die zunehmende Bedeutung marktwirtschaftlicher Prinzipien im Gesundheitswesen.

Der Staat sollte sich zunehmend auf “seine Rolle als Gestalter der Rahmenbedingungen zurückziehen”, bilanziert Avenir Suisse.

swissinfo und Agenturen

Die Stiftung Avenir Suisse ist ein Thinktank der schweizerischen Wirtschaft. Die Organisation wurde 1999 von 14 Schweizer Firmen gegründet.

Diese Stifterfirmen waren ABB, Credit Suisse Group, Groupement des Banquiers Privés Genevois, Jacobs Holding, Kuoni Holding, McKinsey Switzerland, Nestlé, Novartis, Roche, Sulzer, Swiss Re, UBS und Zurich Financial Services.

Der Stiftungsrat als oberstes Organ setzt sich aus den Vertretern der Gründerfirmen zusammen. Avenir Suisse sieht sich als “operative Stiftung und als unabhängiger Think Tank nach angelsächsischem Vorbild”.

Der Sozialwissenschafter Thomas Held (62), nach eigenen Angaben ein “Ex-68er”, leitet Avenir Suisse als Direktor.

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