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Arbeit in der Schweiz, Portugal im Herzen

Die Casa Lusitania in Bern: Heimatflecken und Ferieninsel für die Kundschaft. swissinfo.ch

Die Portugiesen sind die drittgrösste Ausländergruppe der Schweiz. Ein wichtiger Draht in die Heimat ist der Fussball, gerade während der EM von diesem Sommer.

Die Euro 2004 sind eine gute Gelegenheit, Portugiesen in der Schweiz zu besuchen und ihre Kultur kennenzulernen.

Bern, 26. Mai 2004: Im grossen, etwas verlassen wirkenden Saal der Associação portuguesa thronen Fernsehgerät und eine Grossleinwand. Das Grüppchen der rund 20 Portugiesen ist vor dem Anpfiff des Champions-League-Finals optimistisch. Zurecht, denn Porto, die Mannschaft praktisch ohne Stars, wird Monaco mit einem satten 3:0 in die Kabinen schicken.

Mit diesem Sieg steht Portugal schon jetzt an der Fussball-Spitze Europas, zumindest auf Klubebene. Ein gutes Omen für die Heimmannschaft an der Euro 2004, wie die lusitanischen Fans hoffen.

Die relativ geringe Zahl der Anwesenden erklärt der Barkeeper mit dem Wochentag, einem Mittwoch. Seien aber Wochenend-Partien oder Länderspiele zu sehen, strömten ganze Familien herbei, und es herrsche Feststimmung, so der Mann hinter der Theke.

Gemeinschaftssinn

Für die Portugiesen, die vor allem in den Achtzigerjahren in grosser Zahl in die Schweiz eingewandert sind, ist das Zusammensein mit Landsleuten ein probates Mittel gegen Heimweh. In der ganzen Schweiz gibt es über 130 portugiesische Vereine. Dazu kommen noch rund hundert Elternvereinigungen.

“Der Alltag in Portugal und in der Schweiz unterscheidet sich vor allem in der Art und Weise, wie die sozialen Beziehungen zur Familie, zur Nachbarschaft und zum Dorf gelebt werden”, erklärt Antonio da Cunha, Vertreter des Verbandes portugiesischer Vereine in der Schweiz. Von Beruf ist er Professor für Geographie an der Universität Lausanne.

“Ein portugiesisches Dorf ist eine Art Grossfamilie. Die Bindungen werden oft bereits in der Kindheit angelegt und spielen in Portugal heute noch eine sehr wichtige Rolle”, so da Cunha. Da sei es nur logisch, dass man nicht zu Hause sitzen bleibe, sondern seine Bekannten im Kaffeehaus oder auf dem Dorfplatz treffe.

Und da Cunha weiter: “Das Vereinsleben lebt von der Verbundenheit der Portugiesen mit ihrem Heimatort und bietet ihnen eine Art symbolische Rückkehr nach Hause, obschon sich der Vereinzelungsprozess der modernen Gesellschaft auch hier durchaus bemerkbar macht.”

Zwischen Integration und Heimkehr

Für die Portugiesen ist die Rückkehr ins Heimatland nicht nur Theorie. Sie setzen den Traum häufiger als die Italiener und Spanier in der Schweiz um. Auf die Rückwanderung folgt eine neue Generation, die in die Schweiz kommt und hier arbeitet. Die portugiesische Gemeinde in der Schweiz setzt sich deshalb immer wieder neu zusammen.

Dazu Antonio da Cunha: “Vor zehn Jahren stammten portugiesische Einwanderer in der Regel aus ländlichen Gebieten und verfügten über ein niedriges Bildungsniveau. Heute wandern immer mehr Jugendliche aus der Stadt ein, die ein Maturitätszeugnis in der Tasche haben. Sie integrieren sich wesentlich leichter als ihre Väter.”

Während die einen die Rückkehr als Lebensziel wählen, haben sich die anderen in der Schweiz ein kleines Stück Portugal geschaffen. Und so eine Art Gleichgewicht zwischen den beiden Kulturen gefunden. Ein Beispiel für diese Gruppe ist Francisco Aragão. Zusammen mit seiner Frau Claudia, einer Schweizerin, betreibt er die Casa Lusitania, den einzigen Laden für portugiesische Spezialitäten in Bern.

Ladenlokal als Stück Heimat

Die Geschäfte der Aragãos gehen gut zur Zeit. Der bis anhin wenig bekannte portugiesische Wein beginnt auch den Schweizern zu munden: Waren es zuerst vor allem Portugiesen, die den Weg in die Casa Lusitania fanden, stammen die Kunden heute aus verschiedenen Kulturen.

“Für die Portugiesen ist unser Laden ein Stück Zuhause”, erklärt Claudia Aragão. “Die Schweizer hingegen wähnen sich hier in den Ferien.” Die Verkäufe haben im Vorfeld der Euro 2004 klar angezogen. “Eine ganze Reihe Schweizer Restaurants hat portugiesische Produkte bestellt, die sie während der EM in ihre Speisekarte aufnehmen”, erzählt Claudia.

Fussball geht auch durch den Magen

Wer es dieses Jahr nicht in ein EM-Stadion schafft, kann sich lusitanische Kultur, zumindest diejenige des Essens, vor dem Bildschirm zuhause zu Gemüte führen. Empfehlenswert sind da natürlich die Spezialitäten Baccalà oder Rissóis, mit Fleisch gefüllt Teigtaschen. Zum Abrunden eignet sich ein guter portugiesischen Wein oder auch ein Bier.

Francisco Aragão zieht es diesen Sommer nach Portugal. Nicht, um seine Landsleute anzufeuern, denn für die Spiele der portugiesischen Heimmannschaft hat er keine Eintrittskarten mehr erhalten. Aber immerhin sitzt er auf der Tribüne, wenn die Schweizer Kicker ihr EM-Glück versuchen. Fussball ist eben auch ein Weg der Integration.

swissinfo, Doris Lucini
(Übersetzung aus dem Italienischen: Maya Im Hof)

Ende 2002 lebten 162’098 Portugiesinnen und Portugiesen in der Schweiz (ohne Doppelbürger).
Nur die Gruppe der Jugoslawen (364’558 Personen) und der Italiener (318’256 Personen) ist grösser.
2691 Schweizerinnen und Schweizer lebten am 1. Juli 2002 in Portugal; davon waren 1444 Personen Doppelbürger.
In der Schweiz gibt es über 130 portugiesische Vereine.

Portugal hat eine Fläche von 91’632 Quadratkilometer (Schweiz: 41’300) und über 10 Mio. Einwohner (Schweiz: 7 Mio.).

Die Nelkenrevolution vom 25. April 1974 bedeutete das Ende der Diktatur und der Geburt der portugiesischen Demokratie.

Die hohe Geburtenrate, die noch vor wenigen Jahren in den ländlichen Regionen die Regel war, führte zu einem Bevölkerungszuwachs, der eine massive Auswanderungswelle auslöste.

Über vier Millionen Portugiesen leben im Ausland (über eine Million in Frankreich). Mittlerweile ist die Geburtenrate stark gesunken, und die Auswanderung in westeuropäische Länder wie die Schweiz sinkt.

Der EU-Beitritt 1986 brachte grossen Schwung in Portugals Wirtschaft.

Heute gehört das Land zu den 30 stärksten Wirtschafts-Nationen der Welt.

Mit der Weltausstellung 1999 und der Euro 2004 hat sich Portugal als Organisator von Grossanlässen einen Namen gemacht.

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