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Diese Schweizer Politiker haben Twitter kapiert

Blick in das Schweizer Parlament
Der Blick in das Schweizer Parlament verrät es: Für Schweizer Nationalrätinnen und Nationalräte sind die sozialen Medien wie Twitter und Facebook wichtig (Bild von 2015). Keystone / Peter Klaunzer

Alle Welt spricht von Twitter – dank der unablässigen und oft umstrittenen Tweets des neuen US-Präsidenten Donald Trump. Auch bei Schweizer Politikern ist der Kurznachrichtendienst beliebt. Doch viele Nationalräte nutzen das Netzwerk immer noch lediglich als kommunikative Einbahnstrasse. Wer hört den Bürgern wirklich zu? Wir verraten es in unserem schweizweiten ersten Dialog-Ranking.

US-Präsident Donald Trump, wie er twittert und lebt. Und regiert. In diesem Tweet macht er die Justiz lächerlich:

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Im Jahr 2017 sind Twitter-Profile auch bei Schweizer Politikerinnen und Politikern keine Seltenheit mehr. Viele Nationalräte lancieren wichtige Ankündigungen über den Kurznachrichtendienst oder präsentieren sich auf Wahlkampftour mit Fotos.

Oder lassen Dampf ab, wie dieser Tweet “Made in Switzerland” zeigt: Absender ist Eric NussbaumerExterner Link, sozialdemokratischer Nationalrat (SP): 

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Besonders während der vier jährlichen Sessionen des Parlaments haben die Twitter-Aktivitäten Hochkonjunktur. Unter dem Hashtag #parlCH, der sich unter Schweizer Twitter-Usern etabliert hat, kommentieren Nationalräte die laufenden politischen Geschäfte. Sie lassen ihrem Ärger freien Lauf, wenn die Abstimmungen in den Räten nicht nach ihrem Gusto verlaufen. Oder sie fotografieren mit dem Smartphone unerwartete Aktionen ihrer politischen Gegner.

Tweet von Jaqueline BadranExterner Link, Nationalrätin SP, über eine Protestaktion der Fraktion der Schweizerischen Volkspartei mit Plakaten im Parlament:

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Twitter ist zweifellos populär bei den Volksvertretern, nicht zuletzt aufgrund des einfachen Zugangs zu Medienschaffenden. “Twitter ist ein mächtiges Multiplikatoren-Netzwerk, auf dem auch viele Journalisten sind”, sagt Kommunikationsexpertin Marie-Christine Schindler.

Bis ins Burn Out

Dass der Mikroblogging-Dienst auch Suchtpotenzial für Bundesparlamentarier haben kann, ist bekannt. Nationalrätin Natalie RickliExterner Link von der rechtsnationalen Schweizerischen Volkspartei (SVP) erlitt 2012 ein Burnout. «Job, Politik, Facebook und Twitter – immer war ich auf Draht. Abschalten und Ausspannen waren die Ausnahme”, schrieb sie auf Facebook und verabschiedete sich danach eine Zeitlang von den sozialen Medien. Heute ist Rickli wieder aktiv und figuriert unter den einflussreichsten Nationalräten auf Platz 5.

Dieser Beitrag ist Teil von #DearDemocracy, der Plattform für direkte Demokratie von swissinfo.ch.

“Einfluss” heisst in diesem Zusammenhang nicht Macht oder die Durchsetzungskraft in politischen Debatten. Im mittlerweile etablierten, aber auch umstrittenen Ranking “einflussreich.chExterner Link” – messen die Spezialisten der Agentur Kublé den politischen Einfluss im so genannten Klout-Score (siehe Infobox). Aber weder Klout-Score noch andere in den Medien diskutierte Messgrössen wie etwa die Anzahl Follower erlauben Aufschlüsse darüber, wer die sozialen Medien wirklich begriffen hat.

Denn Twitter und Facebook sind ausgesprochene Dialogmedien und keine Monolog-Kanäle. “Meines Erachtens haben viele politische Akteure ein falsches Verständnis von Social Media. Diese werden in erster Linie als Verlautbarungsorgane, also als klassische Massenmedien, genutzt,” sagt Christian Schenkel, Leiter des Studiengangs Online-Kommunikation an der Schweizer Journalismusschule MAZ in Luzern. Aber Twitter-Follower wollten nicht nur Empfänger sein. Sie wollten auch selbst mitreden, sagt Schenkel.

Einbahn-Tweets…

Der gegenseitige Austausch in der digitalen Kommunikation ist auch über zehn Jahre nach der Geburt von Twitter immer noch keine Selbstverständlichkeit bei den Politikern. Viele befinden sich analog zu öffentlichen Auftritten auch im Internet immer noch im reinen Sendemodus. Viel interessanter ist also die Frage, wie gesprächsfreudig die Nationalräte im Netz sind. swissinfo hat dafür die Twitterprofile der 50 Nationalräte mit dem höchsten Klout-Score ausgewertet (siehe Infobox).

… gegen Kurzdebatten

Sind Volksvertreter, die erfolgreich twittern, auch gerne bereit, sich auf ein Gespräch einzulassen? Der Inhaber des Spitzenplatzes würde diese Annahme erhärten.

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Der einflussreichste Nationalrat ist zugleich also auch der debattenfreudigste Politiker: Philipp NantermodExterner Link, 32-jähriger Walliser Nationalrat der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP). Er geht mit dem Wert von 59% “Dialogtweets” am meisten auf die Fragen und Kommentare anderer User ein. Nantermod zeigt sich erfreut über seinen Platz zuoberst auf dem Podest

Für ihn ist klar, dass eine Präsenz auf Social Media mit Antwortbereitschaft einhergehen muss, wie er gegenüber swissinfo.ch betont. Sich mit anderen zu unterhalten sei für ihn essenziell, darin liegt für ihn sogar “das Prinzip der Politik”: “Auf der Strasse gehen Sie ja auch nicht schweigend vorbei, wenn Sie gegrüsst werden oder jemand Ihnen eine Frage stellt. Warum soll es online anders sein?”

So “zwitschert” der bürgerlicher Nationalrat Philippe Nantermod mit seinen Followern:

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Aber schon die nachfolgenden Ränge sind nicht mehr deckungsgleich mit dem Ranking der Einflussreichsten. Dies bedeutet, dass Politiker, die gemäss Klout-Score viel Resonanz auslösen, somit nicht zwingend gute Zuhörer sind. Auf Nantermod folgt beispielsweise die sozialdemokratische Zürcher Nationalrätin Min Li MartiExterner Link. In der “einflussreich.ch”-Rangliste belegt sie den siebten Platz.

Auch Min Li Marti unterhält sich mit einem Gesprächsanteil von 54% aller Tweets überdurchschnittlich oft mit anderen Usern. Sie bezeichnet es als eine Selbstverständlichkeit, auf die Reaktionen ihrer Netzwerkkontakte Bezug zu nehmen. “Ich mache das bewusst, ich finde, Social Media ohne Dialog ist sinnlos. Was ich ignoriere, sind Beleidigungen und Trolls.”

Keine grosse Lust, sich mit ihren Followern via Twitter zu unterhalten, zeigen dagegen Nationalrat Matthias AebischerExterner Link, ebenfalls SP, und Nationalrat Martin CandinasExterner Link von der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP). Sie belegen die letzten Ränge in der swissinfo-Auswertung. Ihre Beiträge auf Twitter erzeugen zwar unter den Followern Echo, doch die Reaktionen darauf scheinen die Politiker nicht zu interessieren.

Die Autorin

Adrienne Fichter leitete die Social Media-Redaktion der NZZ und arbeitet heute als freie Netz-Journalistin.

Für #DearDemocracy von swissinfo.ch beschäftigt sie sich mit digitaler direkter Demokratie, also Einfluss und Auswirkungen der digitalen Technologie auf deren System und Abläufe.

Im Vordergrund stehen der Einfluss von Social Media auf Wahlen und Abstimmungen; digitale Bürgerbeteiligung; eGovernment; Civic Tech und Open Data.

In Zeiten von virulenten Fake News, Bots und exzessiver Twitter-Politik Donald Trumps wird die politische Auseinandersetzung mit der Digitalisierung immer wichtiger.

Wir beleuchten bei #DearDemocracy die Trends, Chancen, Gefahren und politischen Antworten darauf.

Bei Matthias Aebischer spielen zeitliche und strategische Überlegungen eine Rolle. “Das mache ich sehr bewusst so und ich habe das von Beginn weg so gehandhabt. Antworten gibt es bei mir auf Mails. Ausnahmen sind Falschaussagen in den Kommentaren auf Twitter und Facebook. Wenn also jemand behauptet, ich sei ein EU-Turbo, dann reagiere ich. Meistens haben das dann aber bereits andere für mich getan.”

Auch für Candinas ist der Dialog-Verzicht eine bewusste Entscheidung: “Wenn man damit beginnt, wird dies von allen erwartet und immer mehr Leute beginnen dann zu debattieren. Dafür habe ich schlichtweg keine Zeit.”

Der Zeitfaktor ist eines der wichtigsten Gründe, weshalb sich viele Nationalräte immer noch schwer tun mit dem digitalen Dialog. Permanente Antwortverweigerung auf Social Media aber könne sich langfristig negativ auf die Reputation auswirken, sagt Journalisten-Ausbildner Christian Schenkel vom MAZ.

Er räumt ein, dass es ein grosses Zeitbudget für die Pflege des Netzwerks brauche. “Wer sich auf Social Media in diesem Sinne einlässt, kann langfristig Beziehungen aufbauen. Dies bedingt aber eine klare Strategie für die Kommunikation auf Social Media und vor allem Zeit, Zeit, Zeit. Wer sich dessen nicht bewusst ist, sollte ein Engagement auf Social Media besser sein lassen.”

Auch Kommunikationsexpertin Marie-Christine Schindler hält es für legitim, auf eine Präsenz zu verzichten, wenn dies ein bewusster kommunikationsstrategischer Entscheid eines Politikers sei. Auch der vorgegebene Rahmen von 140 Zeichen könnte beispielsweise ein Hindernis sein, sich angemessen zu politischen Problemen zu äussern. Schindler sagt, dass “Twitter und Politik sich nur bedingt vertragen. Viele Themen sind zu komplex, als dass sie auf wenig Zeichen abgehandelt werden können. Trolle machen Politikern das Leben zusätzlich schwer.” 

SP-Nationalrat Aebischer hingegen empfindet die 140-Zeichen-Beschränkung jedoch nicht als Einschränkung für einen Dialog, im Gegenteil: “Die 140 Zeichen entsprechen meinem Naturell. Etwas in Kürze auf den Punkt bringen, gefällt mir.”

Dass unter Schweizer Politikern der Schwerpunkt in der digitalen Kommunikation immer noch beim E-Mail liegt, beweisen die Recherchen für diesen Artikel. Auf die Anfrage der Journalistin haben alle Nationalräte innert 15 Minuten geantwortet.

Wie haben wir gemessen?

swissinfo.ch hat die Twitter-Dialoge von 50 Schweizer Nationalrätinnen und –räten während des Zeitraums 1. Juni 2016 bis zum 17. Januar 2017 ausgewertet. Ausgewählt wurde dazu diejenigen Nationalräte, die den höchsten “Klout-Score” aufweisen. Dieser gilt als Währung des digitalen Einflusses auf Twitter.

Neben Reichweite und Relevanz der jeweiligen Follower misst er, wie viele Interaktionen die jeweiligen Tweets auslösen. Das RankingExterner Link ist so beliebt wie auch umstritten. Verschiedene Möglichkeiten der Beeinflussung wie beispielsweise eine Anmeldung auf klout.com und die Integration von weiteren sozialen Netzwerken demonstrieren die Manipulierbarkeit.

Für den Vergleich der Dialogfähigkeit wurden als Kriterium die “Gespräche” gemäss der Definition des Analyse-Tools FanpageKarma.net verwendet. Dieses misst “den Anteil der @-Antwort-Tweets an allen Tweets, also Tweets die Interaktionen mit einem anderen Twitter-Profil darstellen”.

Je höher die Gesprächs-Rate, desto involvierter ist ein Nutzer also in die direkte Auseinandersetzung mit anderen. Philipp Nantermod erreicht mit 59% den höchsten Wert aller Schweizer PolitikerAusgedeutscht: Knapp zwei Drittel seiner Tweets sind Dialoge mit Usern.

Auf einen ähnlichen Vergleich der Facebook-Fanseiten von Schweizer Nationalräten haben wir verzichtet. Der Grund: die meisten Analyseinstrumente können das Antwortverhalten der Fanpage-Betreiber nicht auswerten.



Haben Sie schon Politkerinnen und Politiker per Twitter angeschrieben? Haben Sie Antwort erhalten? Schreiben Sie uns.



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