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Ein Schweizer als äthiopischer Aussenminister

Kaiser Menilek 1896: Bild aus der Ausstellung "Prunk und Pracht am Hofe Menileks; Alfred Ilgs Äthiopien um 1900". Völkerkundemusuem Zürich

Der Thurgauer Alfred Ilg gehört wohl zu den bedeutendsten Auslandschweizern. 27 Jahre lebte er als Bauingenieur und aussenpolitischer Berater des Kaisers in Äthiopien.

Das Völkerkundemuseum Zürich zeigt eine Ausstellung über sein abenteuerliche Leben: “Prunk und Pracht am Hofe Menileks. Alfred Ilgs Äthiopien um 1900.”

Erzählt wird die erstaunliche Geschichte eines Schweizers, der 25-jährig auszog, um als Ingenieur am Hof des Königs von Schoa zu arbeiten und wenige Jahre später zu den einflussreichsten Männern Äthiopiens gehörte.

Menilek hiess der König und spätere Kaiser von Äthiopien. Er liess Handwerker, Techniker und militärische Berater aus Europa und Indien an seinen Hof rufen, um sein Land zu modernisieren. Eine neue Hauptstadt sollte das Land erhalten, neue Brücken, Strassen und Wasserleitungen.

Alfred Ilg, geboren 1854 in Frauenfeld und aufgewachsen in sehr bescheidenen Verhältnissen, hatte an der ETH studiert und sich dann spontan um eine Stelle bei Menilek beworben. Acht Monate dauerte die beschwerliche Reise nach Äthiopien, 27 Jahre sein Aufenthalt am Hofe Menileks.

Alfred Ilg, der erfolgreiche Bauingenieur

Er konstruierte Brücken und plante Strassen, er half mit beim Bau der neu gegründeten Stadt Addis Abeba (“Neue Blume”) und legte die erste Wasserleitung in den kaiserlichen Palast. Er installierte Maschinen, baute eine Munitionsfabrik und demonstrierte den Gebrauch neuer Waffen.

Rund 1000 Photographien hat Ilg von seinem Alltag und seiner Umgebung gemacht, und mit einer Auswahl davon versucht das Völkerkundemuseum Zürich, ein Bild zu zeichnen vom Leben der damaligen äthiopischen Oberschicht – geprägt von Tradition und getrieben von starkem Modernisierungswillen.

Man sieht die kaiserliche Familie in ihren westlich eingerichteten, luxuriösen Gemächern, Menilek bei einem Austritt auf seinem Maultier, Bilder vom Bau der Eisenbahn, Tanzgruppen, Marktszenen. Ergänzt werden die Photographien mit Schmuck, Waffen, Körben, kirchlichen und weltlichen Insignien – alles Objekte aus der umfassenden Sammlung des Bauingenieurs.

Politischer Berater des Kaisers

Bemerkenswerter als seine Leistungen als Ingenieur war der Aufstieg des Schweizers zum politischen Berater des Kaisers. Ilg beherrschte die Landessprache Amharisch in Wort und Schrift, und in den Jahren intensiver Zusammenarbeit hatte er dem Kaiser mehrfach seine grosse Loyalität bewiesen.

In diesen Zeiten des aggressiven Kolonialismus der europäischen Grossmächte hatte der Schweizer Ilg zudem einen weiteren Vorteil: Er stammte aus einem neutralen, nicht-kolonialen Land und gewann dadurch das Vertrauen des Kaisers.

“Ich habe ihn wie einen Vater geliebt”, sagte Alfred Ilg über Kaiser Menilek. Der wiederum schätzte den “weisen Rat des Schweizers”, auf den er sich verlassen könne wie auf keinen anderen.

Menilek sah sich zu Recht von der imperialistischen Politik der europäischen Kolonialmächte Frankreich, Italien und Grossbritannien bedroht – Äthiopien war das einzige Land Afrikas, welches nicht kolonialisiert war.

Es war Ilg, der Menilek auf die Unstimmigkeiten im so genannten Freundschafts- und Handelsvertrag mit Italien aufmerksam machte. In der italienischen Version dieses Vertrags von 1889 wurde – im Gegensatz zur amharischen Version – Äthiopien zum italienischen Protektorat erklärt.

Es kam zum Eklat und wenig später zum Krieg. “Ich habe die imperialistischen Machtbestrebungen der Europäer unterschätzt”, schrieb Ilg später in einem Brief.

Ein Sieg bringt Investitionen

In der denkwürdigen Schlacht von Adwa schlug die äthiopische Armee die Italiener in die Flucht, was europaweit für Aufsehen sorgte. Erstmals hatte ein afrikanisches Land das Heer einer europäischen Grossmacht besiegt.

Für den anti-kolonialen Alfred Ilg bedeutete dieser Sieg eine doppelte Genugtuung. Zum einen war die Unabhängigkeit Äthiopiens gerettet, zum anderen flossen nun endlich die nötigen Investitionen aus Europa, und Ilgs Eisenbahn-Projekt kam endlich ins Rollen.

Eine Verbindung zwischen der Hauptstadt Addis Abeba auf der Hochebene und der Küstenstadt Djibouti sollte zu einer wichtigen Handelsverbindung werden. 1902 war das erste Teilstück fertig, und der erste Zug mit einer Lokomotive der Lokomotivfabrik Winterthur rollte über die neuen Geleise.

Intrigen am Hofe des Kaisers

Der Ingenieur befand sich damals auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Er arbeitete den Friedensvertrag zwischen Äthiopien und Italien aus, empfing jeweils die europäischen Gesandten und übersetzte während ihren Audienzen beim Kaiser. Im März 1897 wurde er offiziell zum “Staatsrat im Range einer Exzellenz” ernannt und erhielt den höchsten Orden, den Stern von Äthiopien.

Doch schon bald wurden Intrigen gegen ihn gesponnen. Das verschlimmerte sich, als der Kaiser im Jahre 1906 krank wurde.

Ilgs Einfluss schwand, er zog sich enttäuscht in die Schweiz zurück und lebte bis zu seinem Tod im Jahr 1916 mit seiner Frau und den vier Kindern in Zürich.

Ein Grabmal auf dem Friedhof Enzenbühl in Zürich erinnert noch heute an den damals in Europa weithin bekannten Ilg, “Erster Staatsminister von Äthiopien”.

Höhepunkt der Ausstellung ist zweifellos der Film von Christoph Kuhn “Alfred Ilg: Der weisse Abessiner”. Der Film lässt Ilg in Briefen zu Wort kommen. Verwandte und Historiker decken die biografischen und historischen Fakten ab.

Ausstellung und Film ergeben zusammen ein durchaus facettenreiches und lebendiges Bild dieses aussergewöhnlichen Auslandschweizers, der mit 25 Jahren auszog, um in Afrika etwas zu erleben und zu bewegen.

swissinfo, Katrin Holenstein

Äthiopien im Osten Afrikas hat rund 66 Mio. Einw. und ist mit einer Fläche von 1,1 Mio. km2 etwa 27 mal so gross wie die Schweiz.
Im Vielvölkerstaat leben 80 verschiedene Ethnien mit über 100 Sprachen.
Bis 1995 war Amharisch Amtssprache.
Knapp die Hälfte der Bevölkerung sind sunnitische Muslime; knapp 40% orthodoxe Christen. Bis 1974 war das orthodoxe Christentum Staatsreligion.
Von Bürgerkriegen, ethnischen Konflikten und verheerenden Hungersnöten zerrieben gehört Äthiopien heute zu den ärmsten Ländern der Welt.

Alfred Ilg (1854–1916) lebte von 1879–1906 in Äthiopien. Er folgte dem Ruf des damaligen Königs von Schoa und späteren Kaisers von Äthiopien, Menilek, der ausländische Handwerker und Techniker an den Hof berief.

Kaiser Menilek ging vor allem als Modernisierer, Gründer der Stadt Addis Abeba und Einiger des Reiches in die Geschichte ein.

Ilgs ehrgeizigstes Projekt war der Bau der Eisenbahn von Djibouti nach Addis Ababa.

Als neutraler Schweizer wurde er zum politischen Berater des Kaisers.

Die Ausstellung im Zürcher Völkerkundemuseum zum 150.Geburtstag Ilgs zeigt eine Auswahl der über 1000 Photographien und über 600 Objekten aus Ilgs Sammlung. Ein Film von Christoph Kühn beleuchtet das private und politische Umfeld.

Kaiser Menilek war der Grossonkel des späteren Kaisers Haile Selassie I, der 1974 durch einen Militärputsch abgesetzt wurde.

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