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Ein Ständerat mit Draht zum Volk

Alain Berset ist für ein Jahr Präsident des Ständerates. Keystone

Der sozialdemokratische Ständerat Alain Berset ist am Montag für ein Jahr zum Präsidenten der kleinen Kammer gewählt worden. Eine neue Etappe für einen der bekanntesten Westschweizer Politiker in Bundesbern. swissinfo hat mit ihm gesprochen.

swissinfo: In der Schweiz kennt man vor allem den Präsidenten des Nationalrates, der grossen Parlamentskammer. Er gilt als “der höchste Schweizer”. Wie nehmen Sie das diskretere Amt des Ständerats-Präsidenten wahr?
Alain Berset: Es ist vor allem ein Dienstamt für die Institutionen, vor allem für die Institution des Ständerates. Der Präsident muss die Debatten leiten, die Geschäfte vorbereiten und den Rat in der Schweiz und im Ausland vertreten.

Natürlich ist das Amt auch eine grosse Ehre und eine ziemlich schwierige Aufgabe. Es stimmt, dass das Amt des Ständrats-Präsidenten diskreter ist als jenes des Nationalrats-Präsidenten, aber das missfällt mir eigentlich nicht…

swissinfo: Sie haben zusammen mit anderen Freiburger Parlamentariern so genannte “cafés nationaux” gegründet, wo sich die Bevölkerung nach jeder Parlamentssession mit Ihnen treffen kann. Sie wollen also nahe bei den Leuten sein?

A.B.: Wenn man auf nationaler Ebene Politik macht, heisst das, man sollte für die Gesellschaft möglichst viel machen und ihre Erwartungen möglichst ernst nehmen. Dies kann man nur, indem man einen guten Draht und einen direkten Kontakt zu den Leuten hat.

Diese Kontaktarbeit mache ich seit fünf Jahren in den “cafés nationaux”. Dort laden wir die Leute ein und hören ihnen zu, nehmen ihre Anliegen und Erfahrungen wahr.

Ich will von meinem Präsidialjahr profitieren und meine Kontakte zur Bevölkerung noch weiter entwickeln, insbesondere in der Deutschschweiz, wo diese weniger zahlreich sind.

swissinfo: In Freiburg hat Bischof Bernard Genoud ebenfalls solche “cafés” der Begegnung organisiert. Haben Sie sich davon inspirieren lassen?

A.B.: Hören Sie (lacht). Wir sind nicht von diesem Beispiel ausgegangen, auch wenn er das vor uns getan hat. Nein, wir haben das Beispiel eines deutschen Parlamentariers übernommen, der dies in seinem Bundesland organisiert hat.

Wir haben das zusammen mit Nationalrat und SP-Parteipräsident Christian Levrat seit unserer ersten Session in Bern gemacht. Den Leuten in diesem Rahmen zu begegnen und ihre Meinung anzuhören, liegt uns sehr am Herzen. Genau so macht man effiziente Politik – indem man versucht, die Anliegen und Sorgen der Leute auf Bundesebene sichtbar zu machen.

swissinfo: Sie haben mit Christian Levrat zusammen ein Buch geschrieben, in dem sie für eine Annäherung zwischen der Linken und der Mitte plädieren. Sie konstatierten eine Blockade wegen der Präsenz der nationalistischen Rechten in der Regierung. Hat sich die Situation seit der Abwahl Christoph Blochers aus dem Bundesrat verbessert?

A.B.: Vom Gesichtspunkt der Institutionen und des Funktionierens der Regierung aus gesehen, läuft es besser als während der vorherigen Legislaturperiode. Die Regierung funktioniert jetzt gut, man respektiert die Meinung der einen oder anderen, mit einer gewissen Kollegialität und einem gewissen Respekt der Vertraulichkeit. Dies erlaubt ein relativ problemloses Funktionieren.

swissinfo: Eines Ihrer Markenzeichen ist, dass Sie Berufspolitiker sind, während die Schweizer Politiker ihr Mandat oft neben ihrem Beruf ausüben.

A.B.: Das ist tatsächlich meine Haupttätigkeit. Wenn man im Ständerat seine Arbeit effizient und umfassend machen will, wenn man Einfluss auf die Geschäfte nehmen will, dann kann man diese Arbeit nicht teilzeitlich erledigen.

Übrigens habe ich festgestellt, dass dies für die grosse Mehrheit meiner Ständerats-Kollegen ebenfalls der Fall ist, auch wenn es nicht alle zugeben.

swissinfo: Sie werden oft als potentieller Bundesrat gehandelt. Denken Sie am Morgen beim Rasieren auch an diese Möglichkeit?

A.B.: Aber nein, überhaupt nicht (lacht). Ich bin seit fünf Jahren Bundesparlamentarier. Diese Tätigkeit ist spannend, und ich investiere dafür meine ganze Energie.

Zur Zeit besteht meine Hauptsorge darin, zu schauen, wie ich während meiner einjährigen Präsidialzeit die Erwartungen meiner Kollegen erfüllen kann. In der Tat gibt es relativ hohe Erwartungen in Sachen Arbeitsorganisation, Traktanden, Aufrechterhaltung und Entwicklung einer speziellen Ambiance im Ständerat.

Daran denke ich, wenn ich mich am Morgen rasiere.

swissinfo: Sie haben sich in letzter Zeit viel und kritisch zum Rettungspaket für die UBS geäussert. Werden Sie das in den kommenden Monaten weiterhin tun?

A.B.: Es ist klar, dass ich als Ständerats-Präsident an eine gewisse Zurückhaltung gebunden bin. Der Präsident muss für den ganzen Ständerat funktionieren. Er kann Einschätzungen im institutionellen Rahmen machen, Ratschläge erteilen, aber vielleicht mit ein bisschen weniger Engagement als dies in den letzten Monaten der Fall war.

Dagegen werde ich mich weiterhin in der Kommissionsarbeit engagieren und die grossen Dossiers verfolgen, die mich in den letzten Monaten beschäftig haben, so etwa die Wirtschafts- und Finanzkrise. Denn das ist eines der Schlüsselthemen meiner Reflexionen und politischen Aktionen in Bern.

swissinfo: Wir kennen Sie als Politiker, aber nicht als Privatperson. Welches sind Ihre grossen Leidenschaften?

A.B.: Es bleibt mir nicht viel Zeit, aber ich bemühe mich, genügend davon für meine Familie aufzubringen. Das ist für mich sehr wichtig.

Dann spiele ich seit langem Klavier. Auch wenn ich ein Amateur bin, setze ich mich immer noch gerne ans Piano. Für mich ist Klavier spielen sehr beruhigend und kreativ.

swissinfo-Interview: Olivier Pauchard
(Übertragung aus dem Französischen: Jean-Michel Berthoud)

Alain Berset wurde 1972 geboren. Er ist verheiratet und Vater von drei Kindern.

Berset studierte Politik- und Wirtschaftswissenschaften, wo er doktorierte. Von Beruf ist er Ökonom.

Sein erstes politisches Mandat hatte Berset als Mitglied im Parlament seines Dorfes Belfaux.

Von 2000 bis 2004 war er Präsident der sozialdemokratischen Fraktion im Freiburger Kantonsparlament.

2003 wurde Berset in den Ständerat, die klene Kammer des Schweizer Parlamentes, gewählt. Seit 2006 ist er Vizepräsident der sozialdemokratischen Fraktion.

Der Ständerat ist die kleine Kammer des Schweizer Parlamentes. Er repräsentiert die Kantone in der Legislative des Landes.

Der Ständerat zählt 46 Mitglieder. Jeder Kanton ist, unabhängig von seiner Grösse, mit zwei Mitgliedern vertreten. Jeder Halbkanton ist mit einem Mitglied vertreten.

Wenn der Ständerat zusammen mit dem Nationalrat, der grossen Parlamentskammer, tagt, bilden die beiden Räte die Vereinigte Bundesversammlung.

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